Geliebter Mensch, du daurest mich! Luft, Erd' und Flut bemühen sich, Mit ihren ungezäl'ten Schätzen Dich zu belehren, zu ergetzen. Es hat der grosse Schöpfer dir Jn deinen Sinnen manche Thür Zum Eintritt mancher Lust gegeben, Damit du mögtest fröhlich leben. Es spärren sich die Thüren nie; Es drengt sich mit Gewalt durch sie Und ihre nie-geschloss'nen Gänge Der Creaturen holde Menge. Du bist von dem, was Anmut bringt, Recht eingeschlossen und umringt; Du aber streubest dich, und suchest dich dagegen Bloß durch Unachtsamkeit zu legen. Du machst bey ihrer Gegenwart Dich selber fühl los, blind und hart; Du willt nicht riechen, schmecken, hören, Dich nicht vergnügen, GOtt nicht ehren. Was felet dir an deiner Lust, Die GOtt dich würdigt dir zu schenken? Nichts als allein dein eig'nes Denken. Erweg' einst in gelass'ner Stille, Wie so gar vielerley Am Denken dir gelegen sey! Besteht, o Mensch, dein freyer Wille, Jm Denken nicht fast bloß allein?
Sprich:
Der Schatten.
Geliebter Menſch, du daureſt mich! Luft, Erd’ und Flut bemuͤhen ſich, Mit ihren ungezaͤl’ten Schaͤtzen Dich zu belehren, zu ergetzen. Es hat der groſſe Schoͤpfer dir Jn deinen Sinnen manche Thuͤr Zum Eintritt mancher Luſt gegeben, Damit du moͤgteſt froͤhlich leben. Es ſpaͤrren ſich die Thuͤren nie; Es drengt ſich mit Gewalt durch ſie Und ihre nie-geſchloſſ’nen Gaͤnge Der Creaturen holde Menge. Du biſt von dem, was Anmut bringt, Recht eingeſchloſſen und umringt; Du aber ſtreubeſt dich, und ſucheſt dich dagegen Bloß durch Unachtſamkeit zu legen. Du machſt bey ihrer Gegenwart Dich ſelber fuͤhl los, blind und hart; Du willt nicht riechen, ſchmecken, hoͤren, Dich nicht vergnuͤgen, GOtt nicht ehren. Was felet dir an deiner Luſt, Die GOtt dich wuͤrdigt dir zu ſchenken? Nichts als allein dein eig’nes Denken. Erweg’ einſt in gelaſſ’ner Stille, Wie ſo gar vielerley Am Denken dir gelegen ſey! Beſteht, o Menſch, dein freyer Wille, Jm Denken nicht faſt bloß allein?
Sprich:
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Der Schatten.
Geliebter Menſch, du daureſt mich!
Luft, Erd’ und Flut bemuͤhen ſich,
Mit ihren ungezaͤl’ten Schaͤtzen
Dich zu belehren, zu ergetzen.
Es hat der groſſe Schoͤpfer dir
Jn deinen Sinnen manche Thuͤr
Zum Eintritt mancher Luſt gegeben,
Damit du moͤgteſt froͤhlich leben.
Es ſpaͤrren ſich die Thuͤren nie;
Es drengt ſich mit Gewalt durch ſie
Und ihre nie-geſchloſſ’nen Gaͤnge
Der Creaturen holde Menge.
Du biſt von dem, was Anmut bringt,
Recht eingeſchloſſen und umringt;
Du aber ſtreubeſt dich, und ſucheſt dich dagegen
Bloß durch Unachtſamkeit zu legen.
Du machſt bey ihrer Gegenwart
Dich ſelber fuͤhl los, blind und hart;
Du willt nicht riechen, ſchmecken, hoͤren,
Dich nicht vergnuͤgen, GOtt nicht ehren.
Was felet dir an deiner Luſt,
Die GOtt dich wuͤrdigt dir zu ſchenken?
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Beſteht, o Menſch, dein freyer Wille,
Jm Denken nicht faſt bloß allein?
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/115>, abgerufen am 22.02.2025.
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