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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die fliegende Maus.
keit der Schwarzen, ihr scharfes Auge und ihre geschickte Hand. Und deshalb sind auch alle Jäger
oder Reisenden stets von einer Bande jener Naturmenschen begleitet.

Wenn der Taguan vollständig erwacht ist, zeichnet er sich durch Gewandtheit, Behendigkeit und
Sicherheit der Bewegung vor allen übrigen Gattungsverwandten aus. Er fliegt förmlich von einem
Zweig zum anderen, springt über bedeutende Entfernungen weg, klettert ungemein rasch wieder zu
einem neuen Wipfel empor und geht so weiter von Baum zu Baum, von Krone zu Krone. Sein
langes, weiches und seidenglänzendes Haar wellt bei diesen Sprüngen, und das blasse Mondlicht
legt sich wahrhaft zauberhaft auf das Fell, dessen Glätte den Schimmer in eigenthümlicher Weise
wiederspiegelt.

Die Nahrung des Taguan besteht in Blättern, Knospen, jungen Zweigen und vielleicht auch
Wurzeln. Selten steigt unser Flugbeutler zur Erde nieder, um da zu weiden; gewöhnlich betritt er
den Boden blos dann, wenn er von einem sehr entfernten Baume zu einem anderen wandern will.
Die Gefangenschaft soll er ohne Schwierigkeiten längere Zeit aushalten; doch glückt es nur äußerst
selten, ihn zu erlangen, und europäische Reisende haben schon vergeblich ziemlich bedeutende Summen
geboten, um seiner habhaft zu werden.



Auch der Zwerg unter den Flugbeutlern, die fliegende Maus (Acrobates pygmaeus) wird als

[Abbildung] Die fliegende Maus (Aerobates pygmacus)
Vertreter einer besonderen Sippe betrachtet. Sein Zahnbau ist gewissermaßen umgekehrt der des
vorhergehenden. Er hat oben sechs und unten sieben Backzähne. Die Ohren sind mäßig behaart,
die breite Flughaut reicht bis zur Handwurzel herab, der Schwanz ist zweizeilig. Das niedliche
Thierchen hat ungefähr die Größe unserer gemeinen Maus, und wenn es so auf einem Aste sitzt,
die dehnbare Flughaut an den Leib gelegt, sieht es unseren niedlichen und verhaßten Nagern täuschend
ähnlich. Seine ganze Länge übertrifft kaum sechs Zoll, davon kommt ein wenig mehr als die Hälfte
auf die Leibeslänge und das Uebrige auf den Schwanz. Der kurze, weiche Pelz ist oben graubraun,
unten gelblichweiß gefärbt; die Augen sind schwarz umringelt, die Ohren vorn dunkel, hinten weiß-
lich; der Schwanz ist oben braungrau, unten lichter. Beide Hauptfarben des Leibes sind scharf von
einander geschieden, wie es auch auf unserer Abbildung sich zeigt. Jm Sitzen legt sich die Flughaut
faltig an den Leib an und wird so zu einem ganz besonderen Schmucke der "Opossummaus". Das
zarte Weiß am unteren Rande erscheint dann wie ein geschmackvoller Spitzensaum an dem Mantel,
welcher auf den Schultern des Thieres liegt. Der Schwanz zeichnet sich durch zweizeilige, feder-

3 *

Die fliegende Maus.
keit der Schwarzen, ihr ſcharfes Auge und ihre geſchickte Hand. Und deshalb ſind auch alle Jäger
oder Reiſenden ſtets von einer Bande jener Naturmenſchen begleitet.

Wenn der Taguan vollſtändig erwacht iſt, zeichnet er ſich durch Gewandtheit, Behendigkeit und
Sicherheit der Bewegung vor allen übrigen Gattungsverwandten aus. Er fliegt förmlich von einem
Zweig zum anderen, ſpringt über bedeutende Entfernungen weg, klettert ungemein raſch wieder zu
einem neuen Wipfel empor und geht ſo weiter von Baum zu Baum, von Krone zu Krone. Sein
langes, weiches und ſeidenglänzendes Haar wellt bei dieſen Sprüngen, und das blaſſe Mondlicht
legt ſich wahrhaft zauberhaft auf das Fell, deſſen Glätte den Schimmer in eigenthümlicher Weiſe
wiederſpiegelt.

Die Nahrung des Taguan beſteht in Blättern, Knospen, jungen Zweigen und vielleicht auch
Wurzeln. Selten ſteigt unſer Flugbeutler zur Erde nieder, um da zu weiden; gewöhnlich betritt er
den Boden blos dann, wenn er von einem ſehr entfernten Baume zu einem anderen wandern will.
Die Gefangenſchaft ſoll er ohne Schwierigkeiten längere Zeit aushalten; doch glückt es nur äußerſt
ſelten, ihn zu erlangen, und europäiſche Reiſende haben ſchon vergeblich ziemlich bedeutende Summen
geboten, um ſeiner habhaft zu werden.



Auch der Zwerg unter den Flugbeutlern, die fliegende Maus (Acrobates pygmaeus) wird als

[Abbildung] Die fliegende Maus (Aerobates pygmacus)
Vertreter einer beſonderen Sippe betrachtet. Sein Zahnbau iſt gewiſſermaßen umgekehrt der des
vorhergehenden. Er hat oben ſechs und unten ſieben Backzähne. Die Ohren ſind mäßig behaart,
die breite Flughaut reicht bis zur Handwurzel herab, der Schwanz iſt zweizeilig. Das niedliche
Thierchen hat ungefähr die Größe unſerer gemeinen Maus, und wenn es ſo auf einem Aſte ſitzt,
die dehnbare Flughaut an den Leib gelegt, ſieht es unſeren niedlichen und verhaßten Nagern täuſchend
ähnlich. Seine ganze Länge übertrifft kaum ſechs Zoll, davon kommt ein wenig mehr als die Hälfte
auf die Leibeslänge und das Uebrige auf den Schwanz. Der kurze, weiche Pelz iſt oben graubraun,
unten gelblichweiß gefärbt; die Augen ſind ſchwarz umringelt, die Ohren vorn dunkel, hinten weiß-
lich; der Schwanz iſt oben braungrau, unten lichter. Beide Hauptfarben des Leibes ſind ſcharf von
einander geſchieden, wie es auch auf unſerer Abbildung ſich zeigt. Jm Sitzen legt ſich die Flughaut
faltig an den Leib an und wird ſo zu einem ganz beſonderen Schmucke der „Opoſſummaus‟. Das
zarte Weiß am unteren Rande erſcheint dann wie ein geſchmackvoller Spitzenſaum an dem Mantel,
welcher auf den Schultern des Thieres liegt. Der Schwanz zeichnet ſich durch zweizeilige, feder-

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[35/0047] Die fliegende Maus. keit der Schwarzen, ihr ſcharfes Auge und ihre geſchickte Hand. Und deshalb ſind auch alle Jäger oder Reiſenden ſtets von einer Bande jener Naturmenſchen begleitet. Wenn der Taguan vollſtändig erwacht iſt, zeichnet er ſich durch Gewandtheit, Behendigkeit und Sicherheit der Bewegung vor allen übrigen Gattungsverwandten aus. Er fliegt förmlich von einem Zweig zum anderen, ſpringt über bedeutende Entfernungen weg, klettert ungemein raſch wieder zu einem neuen Wipfel empor und geht ſo weiter von Baum zu Baum, von Krone zu Krone. Sein langes, weiches und ſeidenglänzendes Haar wellt bei dieſen Sprüngen, und das blaſſe Mondlicht legt ſich wahrhaft zauberhaft auf das Fell, deſſen Glätte den Schimmer in eigenthümlicher Weiſe wiederſpiegelt. Die Nahrung des Taguan beſteht in Blättern, Knospen, jungen Zweigen und vielleicht auch Wurzeln. Selten ſteigt unſer Flugbeutler zur Erde nieder, um da zu weiden; gewöhnlich betritt er den Boden blos dann, wenn er von einem ſehr entfernten Baume zu einem anderen wandern will. Die Gefangenſchaft ſoll er ohne Schwierigkeiten längere Zeit aushalten; doch glückt es nur äußerſt ſelten, ihn zu erlangen, und europäiſche Reiſende haben ſchon vergeblich ziemlich bedeutende Summen geboten, um ſeiner habhaft zu werden. Auch der Zwerg unter den Flugbeutlern, die fliegende Maus (Acrobates pygmaeus) wird als [Abbildung Die fliegende Maus (Aerobates pygmacus)] Vertreter einer beſonderen Sippe betrachtet. Sein Zahnbau iſt gewiſſermaßen umgekehrt der des vorhergehenden. Er hat oben ſechs und unten ſieben Backzähne. Die Ohren ſind mäßig behaart, die breite Flughaut reicht bis zur Handwurzel herab, der Schwanz iſt zweizeilig. Das niedliche Thierchen hat ungefähr die Größe unſerer gemeinen Maus, und wenn es ſo auf einem Aſte ſitzt, die dehnbare Flughaut an den Leib gelegt, ſieht es unſeren niedlichen und verhaßten Nagern täuſchend ähnlich. Seine ganze Länge übertrifft kaum ſechs Zoll, davon kommt ein wenig mehr als die Hälfte auf die Leibeslänge und das Uebrige auf den Schwanz. Der kurze, weiche Pelz iſt oben graubraun, unten gelblichweiß gefärbt; die Augen ſind ſchwarz umringelt, die Ohren vorn dunkel, hinten weiß- lich; der Schwanz iſt oben braungrau, unten lichter. Beide Hauptfarben des Leibes ſind ſcharf von einander geſchieden, wie es auch auf unſerer Abbildung ſich zeigt. Jm Sitzen legt ſich die Flughaut faltig an den Leib an und wird ſo zu einem ganz beſonderen Schmucke der „Opoſſummaus‟. Das zarte Weiß am unteren Rande erſcheint dann wie ein geſchmackvoller Spitzenſaum an dem Mantel, welcher auf den Schultern des Thieres liegt. Der Schwanz zeichnet ſich durch zweizeilige, feder- 3 *

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/47>, abgerufen am 26.04.2024.