Das gerade Gegeutheil der Fledermäufe und der grabenden Maulwürfe sind die Seehunde, Sirenen und Wale, die massigsten aller Säugethiere, denen das Wasser zur Wohnstätte wurde. Jene zeichneten sich durch Größe oder besondere Stärke ihrer Glieder aus: bei diesen verkümmerten die Gliedmaßen zu Stummeln, welche nicht vollständig aus dem Kör- per hervorragen, sondern zum Theil von der allgemeinen Bedeckungshaut umhüllt sind. Nur noch die erste Ordnung besitzt vier Schleppbeine mit äußerlich mehr angedeuteten, als getheil- ten Zehen; die beiden letzten Ordnungen haben Flossenbeine, deren Zehen vollständig von der Körperhaut umhüllt und unbeweglich sind. Je mehr aber diese Bewegungswerkzeuge den eigent- lichen Flossen ähneln, um so größer, massiger ist der Körper. Das Wasser erleichtert die Fort- schaffung schwerer Lasten; deshalb genügen schon kurze, stummelartige, ruderkräftige Glieder, einen Seehund oder Wal von Ort zu Ort zu treiben. Dicke Specklagen unter der Haut tragen ebenfalls das Jhrige dazu bei, das eigenthümliche Gewicht zu verringern, und eine schleimige, haarlose oder mit kurzen, steifen, glatten Haaren bedeckte Haut steht im Einklange mit dem Ele- mente, in welchem unsere Thiere leben. Alles rundet und streckt sich an dem Körper; jeder mehr hervorragende Theil verschwindet. Nur noch bei den höchststehenden ist von äußeren Ohren eine Spur und auch ein Schwanzstummel zu bemerken; bei den übrigen verschwinden die Muscheln, und der Schwanz tritt gleichsam an die Stelle der Hinterfüße und breitet sich zum flossenartigen Ruder aus. Eine große Uebereinstimmung aller Seesäugethiere fällt Jedem auf, der einen ver- gleichenden Blick auf sie wirft. Gleichwohl läßt auch hier die Natur ihr oberstes Grundgesetz be- merklich werden: manchfaltigste Ausbildung ein und derselben Grundgestalt. Doch lassen sich alle Seesäuger naturgemäß in drei Gruppen ordnen: in dieselben, welche wir oben nannten. Der Werth dieser Gruppen wird verschieden beurtheilt: wir werden uns aber keines Fehlers schul- dig machen, wenn wir in jeder einzelnen eine Ordnung der Klasse erkennen.
Fünſte Reihe. Seeläugethiere (Pinnata).
Das gerade Gegeutheil der Fledermäufe und der grabenden Maulwürfe ſind die Seehunde, Sirenen und Wale, die maſſigſten aller Säugethiere, denen das Waſſer zur Wohnſtätte wurde. Jene zeichneten ſich durch Größe oder beſondere Stärke ihrer Glieder aus: bei dieſen verkümmerten die Gliedmaßen zu Stummeln, welche nicht vollſtändig aus dem Kör- per hervorragen, ſondern zum Theil von der allgemeinen Bedeckungshaut umhüllt ſind. Nur noch die erſte Ordnung beſitzt vier Schleppbeine mit äußerlich mehr angedeuteten, als getheil- ten Zehen; die beiden letzten Ordnungen haben Floſſenbeine, deren Zehen vollſtändig von der Körperhaut umhüllt und unbeweglich ſind. Je mehr aber dieſe Bewegungswerkzeuge den eigent- lichen Floſſen ähneln, um ſo größer, maſſiger iſt der Körper. Das Waſſer erleichtert die Fort- ſchaffung ſchwerer Laſten; deshalb genügen ſchon kurze, ſtummelartige, ruderkräftige Glieder, einen Seehund oder Wal von Ort zu Ort zu treiben. Dicke Specklagen unter der Haut tragen ebenfalls das Jhrige dazu bei, das eigenthümliche Gewicht zu verringern, und eine ſchleimige, haarloſe oder mit kurzen, ſteifen, glatten Haaren bedeckte Haut ſteht im Einklange mit dem Ele- mente, in welchem unſere Thiere leben. Alles rundet und ſtreckt ſich an dem Körper; jeder mehr hervorragende Theil verſchwindet. Nur noch bei den höchſtſtehenden iſt von äußeren Ohren eine Spur und auch ein Schwanzſtummel zu bemerken; bei den übrigen verſchwinden die Muſcheln, und der Schwanz tritt gleichſam an die Stelle der Hinterfüße und breitet ſich zum floſſenartigen Ruder aus. Eine große Uebereinſtimmung aller Seeſäugethiere fällt Jedem auf, der einen ver- gleichenden Blick auf ſie wirft. Gleichwohl läßt auch hier die Natur ihr oberſtes Grundgeſetz be- merklich werden: manchfaltigſte Ausbildung ein und derſelben Grundgeſtalt. Doch laſſen ſich alle Seeſäuger naturgemäß in drei Gruppen ordnen: in dieſelben, welche wir oben nannten. Der Werth dieſer Gruppen wird verſchieden beurtheilt: wir werden uns aber keines Fehlers ſchul- dig machen, wenn wir in jeder einzelnen eine Ordnung der Klaſſe erkennen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0825"n="[779]"/><divn="3"><head>Fünſte Reihe.<lb/><hirendition="#g"><hirendition="#b">Seeläugethiere</hi> (<hirendition="#aq">Pinnata</hi>).</hi></head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>as gerade Gegeutheil der <hirendition="#g">Fledermäufe</hi> und der grabenden <hirendition="#g">Maulwürfe</hi>ſind die<lb/><hirendition="#g">Seehunde, Sirenen</hi> und <hirendition="#g">Wale,</hi> die maſſigſten aller Säugethiere, denen das Waſſer zur<lb/>
Wohnſtätte wurde. Jene zeichneten ſich durch Größe oder beſondere Stärke ihrer Glieder aus:<lb/>
bei dieſen verkümmerten die Gliedmaßen zu Stummeln, welche nicht vollſtändig aus dem Kör-<lb/>
per hervorragen, ſondern zum Theil von der allgemeinen Bedeckungshaut umhüllt ſind. Nur<lb/>
noch die erſte Ordnung beſitzt vier Schleppbeine mit äußerlich mehr angedeuteten, als getheil-<lb/>
ten Zehen; die beiden letzten Ordnungen haben Floſſenbeine, deren Zehen vollſtändig von der<lb/>
Körperhaut umhüllt und unbeweglich ſind. Je mehr aber dieſe Bewegungswerkzeuge den eigent-<lb/>
lichen Floſſen ähneln, um ſo größer, maſſiger iſt der Körper. Das Waſſer erleichtert die Fort-<lb/>ſchaffung ſchwerer Laſten; deshalb genügen ſchon kurze, ſtummelartige, ruderkräftige Glieder,<lb/>
einen <hirendition="#g">Seehund</hi> oder <hirendition="#g">Wal</hi> von Ort zu Ort zu treiben. Dicke Specklagen unter der Haut tragen<lb/>
ebenfalls das Jhrige dazu bei, das eigenthümliche Gewicht zu verringern, und eine ſchleimige,<lb/>
haarloſe oder mit kurzen, ſteifen, glatten Haaren bedeckte Haut ſteht im Einklange mit dem Ele-<lb/>
mente, in welchem unſere Thiere leben. Alles rundet und ſtreckt ſich an dem Körper; jeder mehr<lb/>
hervorragende Theil verſchwindet. Nur noch bei den höchſtſtehenden iſt von äußeren Ohren eine<lb/>
Spur und auch ein Schwanzſtummel zu bemerken; bei den übrigen verſchwinden die Muſcheln,<lb/>
und der Schwanz tritt gleichſam an die Stelle der Hinterfüße und breitet ſich zum floſſenartigen<lb/>
Ruder aus. Eine große Uebereinſtimmung aller Seeſäugethiere fällt Jedem auf, der einen ver-<lb/>
gleichenden Blick auf ſie wirft. Gleichwohl läßt auch hier die Natur ihr oberſtes Grundgeſetz be-<lb/>
merklich werden: manchfaltigſte Ausbildung ein und derſelben Grundgeſtalt. Doch laſſen ſich<lb/>
alle Seeſäuger naturgemäß in drei Gruppen ordnen: in dieſelben, welche wir oben nannten.<lb/>
Der Werth dieſer Gruppen wird verſchieden beurtheilt: wir werden uns aber keines Fehlers ſchul-<lb/>
dig machen, wenn wir in jeder einzelnen eine Ordnung der Klaſſe erkennen.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[[779]/0825]
Fünſte Reihe.
Seeläugethiere (Pinnata).
Das gerade Gegeutheil der Fledermäufe und der grabenden Maulwürfe ſind die
Seehunde, Sirenen und Wale, die maſſigſten aller Säugethiere, denen das Waſſer zur
Wohnſtätte wurde. Jene zeichneten ſich durch Größe oder beſondere Stärke ihrer Glieder aus:
bei dieſen verkümmerten die Gliedmaßen zu Stummeln, welche nicht vollſtändig aus dem Kör-
per hervorragen, ſondern zum Theil von der allgemeinen Bedeckungshaut umhüllt ſind. Nur
noch die erſte Ordnung beſitzt vier Schleppbeine mit äußerlich mehr angedeuteten, als getheil-
ten Zehen; die beiden letzten Ordnungen haben Floſſenbeine, deren Zehen vollſtändig von der
Körperhaut umhüllt und unbeweglich ſind. Je mehr aber dieſe Bewegungswerkzeuge den eigent-
lichen Floſſen ähneln, um ſo größer, maſſiger iſt der Körper. Das Waſſer erleichtert die Fort-
ſchaffung ſchwerer Laſten; deshalb genügen ſchon kurze, ſtummelartige, ruderkräftige Glieder,
einen Seehund oder Wal von Ort zu Ort zu treiben. Dicke Specklagen unter der Haut tragen
ebenfalls das Jhrige dazu bei, das eigenthümliche Gewicht zu verringern, und eine ſchleimige,
haarloſe oder mit kurzen, ſteifen, glatten Haaren bedeckte Haut ſteht im Einklange mit dem Ele-
mente, in welchem unſere Thiere leben. Alles rundet und ſtreckt ſich an dem Körper; jeder mehr
hervorragende Theil verſchwindet. Nur noch bei den höchſtſtehenden iſt von äußeren Ohren eine
Spur und auch ein Schwanzſtummel zu bemerken; bei den übrigen verſchwinden die Muſcheln,
und der Schwanz tritt gleichſam an die Stelle der Hinterfüße und breitet ſich zum floſſenartigen
Ruder aus. Eine große Uebereinſtimmung aller Seeſäugethiere fällt Jedem auf, der einen ver-
gleichenden Blick auf ſie wirft. Gleichwohl läßt auch hier die Natur ihr oberſtes Grundgeſetz be-
merklich werden: manchfaltigſte Ausbildung ein und derſelben Grundgeſtalt. Doch laſſen ſich
alle Seeſäuger naturgemäß in drei Gruppen ordnen: in dieſelben, welche wir oben nannten.
Der Werth dieſer Gruppen wird verſchieden beurtheilt: wir werden uns aber keines Fehlers ſchul-
dig machen, wenn wir in jeder einzelnen eine Ordnung der Klaſſe erkennen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. [779]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/825>, abgerufen am 19.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.