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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Ein Blick auf das Leben der Gesammtheit.
gibt es blos einige nächtlich lebende Arten; die Fledermäuse dagegen schlafen fast den ganzen
Tag, und nur wenige kommen aus ihren Schlupfwinkeln zum Vorschein, so lange noch die Sonne
am Himmel steht; unter den Kerbthier- und Fleischfressern, den Nagern, Vielhufern
und Wiederkäuern gibt es wenigstens sehr viele Nachtthiere, wenn auch mehrere Arten der Wehr-
loseren
solche erst aus Furcht vor Verfolgung geworden sein mögen. Die starken und die sehr flüch-
tigen oder auf Bäumen Lebenden sind Tagthiere: sie sind aber auch einer Verfolgung weniger
ausgesetzt.

Es würde sehr voreilig sein, wenn man behaupten wollte, daß alle Nachtthiere feigere, schwä-
chere, dümmere und plumpere Thiere seien, als die, welche bei Tage thätig sind: denn wir brauchen
eben blos an die Katzen, Marder, Hirsche und andere, welche fast ohne Ausnahme bei Tage ruhen
und bei Nacht wach sind, zu denken, um des Gegentheils uns bewußt zu werden. Als allgemeine
Regel kann gelten, daß die wehrloseren Thiere, welche durch ihren Aufenthalt nicht vor Gefahren
geschützt sind, die Nacht zu ihrer Thätigkeit benutzen.

Während ihres Wachens beschäftigen sich die meisten Säuger ausschließlich mit Aufsuchen
ihrer Nahrung. Dieselbe kann höchst verschieden sein. Alle Mitglieder unserer Klasse sind selbstver-
ständlich Pflanzenfresser oder aber Räuber, welche andere Thiere verzehren. Fast alle Erzeugnisse
der beiden Reiche finden ihre Liebhaber. Die Pflanzenfresser verzehren ganze Pflanzen, z. B.
Gräser, Disteln, Moose, Flechten, oder einzelne Theile von Pflanzen, als Blüthen, Blätter, Früchte,
Körner, Sämereien, Nüsse, Zweige, Aeste, Dornen, Rinde u. s. w. Die Raubthiere nähren sich
von andern Sängern oder von Vögeln, Lurchen, Fischen, Würmern und Weichthieren;
einige fressen blos ihre selbst erlegte Beute, andere lieben Aas; manche verschonen sogar ihr eigenes
Fleisch und Blut nicht: sie fressen ihre Jungen!

Diese Manchfaltigkeit der Nahrung bedingt auch die Verschiedenheit des Erwerbs derselben,
d. h. die Verschiedenheit in der Erbeutung und Aufnahme. Einige nehmen ihre Nahrung mit den
Händen zu sich: der Elefant steckt sie mit dem Rüssel in das Maul; die größte Mehrzal aber nimmt
sie unmittelbar mit dem Maule auf, oft, nachdem sie dieselbe vorher mit den Tatzen erfaßt und festge-
halten hat. Die Pflanzennahrung wird mit den Händen oder dem Rüssel abgebrochen, mit den Zäh-
nen abgebissen, mit Zunge und Lippen abgerupft, mit dem Rüssel aus der Erde gewühlt; die thie-
rische Nahrung dagegen wird bei wenigen, z. B. bei den Fledermäusen, Hunden, Fischottern,
Robben
und Walen gleich mit dem Maule aufgenommen, bei andern aber mit den Händen oder
Tatzen erfaßt und dem Maule zugeführt und bei einigen auch mit dem Rüssel ausgegraben, so von
den Maulwürfen, Spitzmäusen, Jgeln und Schweinen.

Die Säugethiere fressen viel, verhältnißmäßig aber doch weniger, als die Vögel. Dies
steht auch mit der geringeren Regsamkeit vollkommen im Einklange. Nach der Mahlzeit suchen sie die
Ruhe und verfallen hierbei entweder blos in einen Halbschlummer, wie die Wiederkäuer, oder in wirk-
lichen Schlaf. Zum Spielen oder unnützen Bewegen sind, wie gesagt, nur wenige aufgelegt; es sind
fast nur die Jungen, welche hierzu Lust haben und durch ihr tolles Treiben auch die gefälligen Alten
aufzurütteln wissen. Bei guter und reichlicher Nahrung bekommen alle Säugethiere ein glattes, glän-
zendes Haarkleid und lagern im Zellgewebe und in den Leibeshöhlen viel Fett ab, welches bei einigen
zur Erhaltung des Lebens während der Hungerzeit dienen muß. Einigen Pflanzen- und Kerbthier-
fressern nämlich geht während des Winters die Nahrung vollkommen aus, und sie sind zu klein und zu
schwach, als daß sie sich dagegen lange halten könnten. Zum Wandern in wärmere oder nahrungs-
reichere Gegenden sind sie unfähig: und so würden sie unbedingt zu Grunde gehen, wenn die Natur
nicht in sehr merkwürdiger Weise für sie gesorgt hätte. Es scheint zwar, daß sie sich selbst schützen
könnten, indem sie sich tief gelegene, dick und weich ausgepolsterte und deshalb warme Wohnungen
unter der Erde bauen und in ihnen Vorrathskammern anlegen, welche auch reichlich mit Nahrung
versehen werden: allein die Natur übernimmt doch die Hauptsorge für ihre Erhaltung, und die einge-
tragene Nahrung dient blos dazu, sie während der Zeit, in welcher sie wirklich noch Nahrung be-
dürfen, gegen das Verhungern zu schützen. Diese Säuger, welche so recht eigentlich als Schutz-
kinder der Natur erscheinen, bedürfen lange Zeit gar keine Nahrung von außen her, sondern
zehren, während sie in einen todesähnlichen Schlaf versinken, langsam von ihrem Fette: sie hal-
ten Winterschlaf.

Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit.
gibt es blos einige nächtlich lebende Arten; die Fledermäuſe dagegen ſchlafen faſt den ganzen
Tag, und nur wenige kommen aus ihren Schlupfwinkeln zum Vorſchein, ſo lange noch die Sonne
am Himmel ſteht; unter den Kerbthier- und Fleiſchfreſſern, den Nagern, Vielhufern
und Wiederkäuern gibt es wenigſtens ſehr viele Nachtthiere, wenn auch mehrere Arten der Wehr-
loſeren
ſolche erſt aus Furcht vor Verfolgung geworden ſein mögen. Die ſtarken und die ſehr flüch-
tigen oder auf Bäumen Lebenden ſind Tagthiere: ſie ſind aber auch einer Verfolgung weniger
ausgeſetzt.

Es würde ſehr voreilig ſein, wenn man behaupten wollte, daß alle Nachtthiere feigere, ſchwä-
chere, dümmere und plumpere Thiere ſeien, als die, welche bei Tage thätig ſind: denn wir brauchen
eben blos an die Katzen, Marder, Hirſche und andere, welche faſt ohne Ausnahme bei Tage ruhen
und bei Nacht wach ſind, zu denken, um des Gegentheils uns bewußt zu werden. Als allgemeine
Regel kann gelten, daß die wehrloſeren Thiere, welche durch ihren Aufenthalt nicht vor Gefahren
geſchützt ſind, die Nacht zu ihrer Thätigkeit benutzen.

Während ihres Wachens beſchäftigen ſich die meiſten Säuger ausſchließlich mit Aufſuchen
ihrer Nahrung. Dieſelbe kann höchſt verſchieden ſein. Alle Mitglieder unſerer Klaſſe ſind ſelbſtver-
ſtändlich Pflanzenfreſſer oder aber Räuber, welche andere Thiere verzehren. Faſt alle Erzeugniſſe
der beiden Reiche finden ihre Liebhaber. Die Pflanzenfreſſer verzehren ganze Pflanzen, z. B.
Gräſer, Diſteln, Mooſe, Flechten, oder einzelne Theile von Pflanzen, als Blüthen, Blätter, Früchte,
Körner, Sämereien, Nüſſe, Zweige, Aeſte, Dornen, Rinde u. ſ. w. Die Raubthiere nähren ſich
von andern Sängern oder von Vögeln, Lurchen, Fiſchen, Würmern und Weichthieren;
einige freſſen blos ihre ſelbſt erlegte Beute, andere lieben Aas; manche verſchonen ſogar ihr eigenes
Fleiſch und Blut nicht: ſie freſſen ihre Jungen!

Dieſe Manchfaltigkeit der Nahrung bedingt auch die Verſchiedenheit des Erwerbs derſelben,
d. h. die Verſchiedenheit in der Erbeutung und Aufnahme. Einige nehmen ihre Nahrung mit den
Händen zu ſich: der Elefant ſteckt ſie mit dem Rüſſel in das Maul; die größte Mehrzal aber nimmt
ſie unmittelbar mit dem Maule auf, oft, nachdem ſie dieſelbe vorher mit den Tatzen erfaßt und feſtge-
halten hat. Die Pflanzennahrung wird mit den Händen oder dem Rüſſel abgebrochen, mit den Zäh-
nen abgebiſſen, mit Zunge und Lippen abgerupft, mit dem Rüſſel aus der Erde gewühlt; die thie-
riſche Nahrung dagegen wird bei wenigen, z. B. bei den Fledermäuſen, Hunden, Fiſchottern,
Robben
und Walen gleich mit dem Maule aufgenommen, bei andern aber mit den Händen oder
Tatzen erfaßt und dem Maule zugeführt und bei einigen auch mit dem Rüſſel ausgegraben, ſo von
den Maulwürfen, Spitzmäuſen, Jgeln und Schweinen.

Die Säugethiere freſſen viel, verhältnißmäßig aber doch weniger, als die Vögel. Dies
ſteht auch mit der geringeren Regſamkeit vollkommen im Einklange. Nach der Mahlzeit ſuchen ſie die
Ruhe und verfallen hierbei entweder blos in einen Halbſchlummer, wie die Wiederkäuer, oder in wirk-
lichen Schlaf. Zum Spielen oder unnützen Bewegen ſind, wie geſagt, nur wenige aufgelegt; es ſind
faſt nur die Jungen, welche hierzu Luſt haben und durch ihr tolles Treiben auch die gefälligen Alten
aufzurütteln wiſſen. Bei guter und reichlicher Nahrung bekommen alle Säugethiere ein glattes, glän-
zendes Haarkleid und lagern im Zellgewebe und in den Leibeshöhlen viel Fett ab, welches bei einigen
zur Erhaltung des Lebens während der Hungerzeit dienen muß. Einigen Pflanzen- und Kerbthier-
freſſern nämlich geht während des Winters die Nahrung vollkommen aus, und ſie ſind zu klein und zu
ſchwach, als daß ſie ſich dagegen lange halten könnten. Zum Wandern in wärmere oder nahrungs-
reichere Gegenden ſind ſie unfähig: und ſo würden ſie unbedingt zu Grunde gehen, wenn die Natur
nicht in ſehr merkwürdiger Weiſe für ſie geſorgt hätte. Es ſcheint zwar, daß ſie ſich ſelbſt ſchützen
könnten, indem ſie ſich tief gelegene, dick und weich ausgepolſterte und deshalb warme Wohnungen
unter der Erde bauen und in ihnen Vorrathskammern anlegen, welche auch reichlich mit Nahrung
verſehen werden: allein die Natur übernimmt doch die Hauptſorge für ihre Erhaltung, und die einge-
tragene Nahrung dient blos dazu, ſie während der Zeit, in welcher ſie wirklich noch Nahrung be-
dürfen, gegen das Verhungern zu ſchützen. Dieſe Säuger, welche ſo recht eigentlich als Schutz-
kinder der Natur erſcheinen, bedürfen lange Zeit gar keine Nahrung von außen her, ſondern
zehren, während ſie in einen todesähnlichen Schlaf verſinken, langſam von ihrem Fette: ſie hal-
ten Winterſchlaf.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. XXXIV[XXXIV]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/44>, abgerufen am 26.04.2024.