Jede einzelne Lehre der Physik, m. h. H., hat in Rücksicht auf die Art, wie sie unsre Aufmerksamkeit anzieht, in Rücksicht auf das Interesse, welches sie erregt, etwas Eigenthümliches, und muß mit Rücksicht auf diese Eigenthümlichkeit ins Auge gefaßt werden. Die mechanischen Lehren empfehlen sich uns nicht bloß durch die Anwendbarkeit auf Maschinen und durch den überall unverkenn- baren Nutzen, den sie gewähren, sondern auch durch die Sicherheit, mit welcher die Schlüsse sich an einander reihen, durch die über alle Zweifel sich erhebende Nothwendigkeit in den aus wenigen Grundlagen hervorgehenden Folgerungen. Die Lehre vom Lichte bietet dem Auge ebenso mannigfaltige Unterhaltung durch schöne Farben-Erscheinungen als dem Verstande durch die Auflösung der schwierigen Fragen, zu welchen diese Erscheinungen Veranlassung geben, dar; und fast auf ähnliche Weise kann man von der Electricität sagen, daß sie uns bald durch die Neuheit ganz uner- warteter Erscheinungen überrascht, bald durch die Gewalt ihrer Wirkungen uns in Erstaunen setzt, bald in einer Reihe räthsel- hafter Phänomene uns zur Bewunderung des Scharfsinns derer auffordert, die diese Phänomene in ein System zu ordnen, das eine aus dem andern zu erklären, mit so großem Glücke versucht haben. Die Lehre von der Wärme kann wohl nicht auf gleiche Weise auf den Ruhm Anspruch machen, solche Erscheinungen darzubieten, die dem Auge durch ihre Schönheit sich empfehlen, oder die als gänzlich unerwartet unser Erstaunen erregen; aber dagegen hat sie den Vor- zug, uns über zahllose Natur-Erscheinungen Aufschluß zu geben,
III. A
Erſte Vorleſung
Jede einzelne Lehre der Phyſik, m. h. H., hat in Ruͤckſicht auf die Art, wie ſie unſre Aufmerkſamkeit anzieht, in Ruͤckſicht auf das Intereſſe, welches ſie erregt, etwas Eigenthuͤmliches, und muß mit Ruͤckſicht auf dieſe Eigenthuͤmlichkeit ins Auge gefaßt werden. Die mechaniſchen Lehren empfehlen ſich uns nicht bloß durch die Anwendbarkeit auf Maſchinen und durch den uͤberall unverkenn- baren Nutzen, den ſie gewaͤhren, ſondern auch durch die Sicherheit, mit welcher die Schluͤſſe ſich an einander reihen, durch die uͤber alle Zweifel ſich erhebende Nothwendigkeit in den aus wenigen Grundlagen hervorgehenden Folgerungen. Die Lehre vom Lichte bietet dem Auge ebenſo mannigfaltige Unterhaltung durch ſchoͤne Farben-Erſcheinungen als dem Verſtande durch die Aufloͤſung der ſchwierigen Fragen, zu welchen dieſe Erſcheinungen Veranlaſſung geben, dar; und faſt auf aͤhnliche Weiſe kann man von der Electricitaͤt ſagen, daß ſie uns bald durch die Neuheit ganz uner- warteter Erſcheinungen uͤberraſcht, bald durch die Gewalt ihrer Wirkungen uns in Erſtaunen ſetzt, bald in einer Reihe raͤthſel- hafter Phaͤnomene uns zur Bewunderung des Scharfſinns derer auffordert, die dieſe Phaͤnomene in ein Syſtem zu ordnen, das eine aus dem andern zu erklaͤren, mit ſo großem Gluͤcke verſucht haben. Die Lehre von der Waͤrme kann wohl nicht auf gleiche Weiſe auf den Ruhm Anſpruch machen, ſolche Erſcheinungen darzubieten, die dem Auge durch ihre Schoͤnheit ſich empfehlen, oder die als gaͤnzlich unerwartet unſer Erſtaunen erregen; aber dagegen hat ſie den Vor- zug, uns uͤber zahlloſe Natur-Erſcheinungen Aufſchluß zu geben,
III. A
<TEI><text><pbfacs="#f0015"n="[1]"/><body><divn="1"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Erſte Vorleſung</hi></hi></head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p><hirendition="#in">J</hi>ede einzelne Lehre der Phyſik, m. h. H., hat in Ruͤckſicht auf<lb/>
die Art, wie ſie unſre Aufmerkſamkeit anzieht, in Ruͤckſicht auf<lb/>
das Intereſſe, welches ſie erregt, etwas Eigenthuͤmliches, und muß<lb/>
mit Ruͤckſicht auf dieſe Eigenthuͤmlichkeit ins Auge gefaßt werden.<lb/>
Die mechaniſchen Lehren empfehlen ſich uns nicht bloß durch die<lb/>
Anwendbarkeit auf Maſchinen und durch den uͤberall unverkenn-<lb/>
baren Nutzen, den ſie gewaͤhren, ſondern auch durch die Sicherheit,<lb/>
mit welcher die Schluͤſſe ſich an einander reihen, durch die uͤber<lb/>
alle Zweifel ſich erhebende Nothwendigkeit in den aus wenigen<lb/>
Grundlagen hervorgehenden Folgerungen. Die Lehre vom Lichte<lb/>
bietet dem Auge ebenſo mannigfaltige Unterhaltung durch ſchoͤne<lb/>
Farben-Erſcheinungen als dem Verſtande durch die Aufloͤſung der<lb/>ſchwierigen Fragen, zu welchen dieſe Erſcheinungen Veranlaſſung<lb/>
geben, dar; und faſt auf aͤhnliche Weiſe kann man von der<lb/>
Electricitaͤt ſagen, daß ſie uns bald durch die Neuheit ganz uner-<lb/>
warteter Erſcheinungen uͤberraſcht, bald durch die Gewalt ihrer<lb/>
Wirkungen uns in Erſtaunen ſetzt, bald in einer Reihe raͤthſel-<lb/>
hafter Phaͤnomene uns zur Bewunderung des Scharfſinns derer<lb/>
auffordert, die dieſe Phaͤnomene in ein Syſtem zu ordnen, das eine<lb/>
aus dem andern zu erklaͤren, mit ſo großem Gluͤcke verſucht haben.<lb/>
Die Lehre von der Waͤrme kann wohl nicht auf gleiche Weiſe auf<lb/>
den Ruhm Anſpruch machen, ſolche Erſcheinungen darzubieten, die<lb/>
dem Auge durch ihre Schoͤnheit ſich empfehlen, oder die als gaͤnzlich<lb/>
unerwartet unſer Erſtaunen erregen; aber dagegen hat ſie den Vor-<lb/>
zug, uns uͤber zahlloſe Natur-Erſcheinungen Aufſchluß zu geben,<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#aq"><hirendition="#b">III.</hi></hi> A</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[[1]/0015]
Erſte Vorleſung
Jede einzelne Lehre der Phyſik, m. h. H., hat in Ruͤckſicht auf
die Art, wie ſie unſre Aufmerkſamkeit anzieht, in Ruͤckſicht auf
das Intereſſe, welches ſie erregt, etwas Eigenthuͤmliches, und muß
mit Ruͤckſicht auf dieſe Eigenthuͤmlichkeit ins Auge gefaßt werden.
Die mechaniſchen Lehren empfehlen ſich uns nicht bloß durch die
Anwendbarkeit auf Maſchinen und durch den uͤberall unverkenn-
baren Nutzen, den ſie gewaͤhren, ſondern auch durch die Sicherheit,
mit welcher die Schluͤſſe ſich an einander reihen, durch die uͤber
alle Zweifel ſich erhebende Nothwendigkeit in den aus wenigen
Grundlagen hervorgehenden Folgerungen. Die Lehre vom Lichte
bietet dem Auge ebenſo mannigfaltige Unterhaltung durch ſchoͤne
Farben-Erſcheinungen als dem Verſtande durch die Aufloͤſung der
ſchwierigen Fragen, zu welchen dieſe Erſcheinungen Veranlaſſung
geben, dar; und faſt auf aͤhnliche Weiſe kann man von der
Electricitaͤt ſagen, daß ſie uns bald durch die Neuheit ganz uner-
warteter Erſcheinungen uͤberraſcht, bald durch die Gewalt ihrer
Wirkungen uns in Erſtaunen ſetzt, bald in einer Reihe raͤthſel-
hafter Phaͤnomene uns zur Bewunderung des Scharfſinns derer
auffordert, die dieſe Phaͤnomene in ein Syſtem zu ordnen, das eine
aus dem andern zu erklaͤren, mit ſo großem Gluͤcke verſucht haben.
Die Lehre von der Waͤrme kann wohl nicht auf gleiche Weiſe auf
den Ruhm Anſpruch machen, ſolche Erſcheinungen darzubieten, die
dem Auge durch ihre Schoͤnheit ſich empfehlen, oder die als gaͤnzlich
unerwartet unſer Erſtaunen erregen; aber dagegen hat ſie den Vor-
zug, uns uͤber zahlloſe Natur-Erſcheinungen Aufſchluß zu geben,
III. A
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1832, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre03_1832/15>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.