Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite
Erste Vorlesung


Jede einzelne Lehre der Physik, m. h. H., hat in Rücksicht auf
die Art, wie sie unsre Aufmerksamkeit anzieht, in Rücksicht auf
das Interesse, welches sie erregt, etwas Eigenthümliches, und muß
mit Rücksicht auf diese Eigenthümlichkeit ins Auge gefaßt werden.
Die mechanischen Lehren empfehlen sich uns nicht bloß durch die
Anwendbarkeit auf Maschinen und durch den überall unverkenn-
baren Nutzen, den sie gewähren, sondern auch durch die Sicherheit,
mit welcher die Schlüsse sich an einander reihen, durch die über
alle Zweifel sich erhebende Nothwendigkeit in den aus wenigen
Grundlagen hervorgehenden Folgerungen. Die Lehre vom Lichte
bietet dem Auge ebenso mannigfaltige Unterhaltung durch schöne
Farben-Erscheinungen als dem Verstande durch die Auflösung der
schwierigen Fragen, zu welchen diese Erscheinungen Veranlassung
geben, dar; und fast auf ähnliche Weise kann man von der
Electricität sagen, daß sie uns bald durch die Neuheit ganz uner-
warteter Erscheinungen überrascht, bald durch die Gewalt ihrer
Wirkungen uns in Erstaunen setzt, bald in einer Reihe räthsel-
hafter Phänomene uns zur Bewunderung des Scharfsinns derer
auffordert, die diese Phänomene in ein System zu ordnen, das eine
aus dem andern zu erklären, mit so großem Glücke versucht haben.
Die Lehre von der Wärme kann wohl nicht auf gleiche Weise auf
den Ruhm Anspruch machen, solche Erscheinungen darzubieten, die
dem Auge durch ihre Schönheit sich empfehlen, oder die als gänzlich
unerwartet unser Erstaunen erregen; aber dagegen hat sie den Vor-
zug, uns über zahllose Natur-Erscheinungen Aufschluß zu geben,

III. A
Erſte Vorleſung


Jede einzelne Lehre der Phyſik, m. h. H., hat in Ruͤckſicht auf
die Art, wie ſie unſre Aufmerkſamkeit anzieht, in Ruͤckſicht auf
das Intereſſe, welches ſie erregt, etwas Eigenthuͤmliches, und muß
mit Ruͤckſicht auf dieſe Eigenthuͤmlichkeit ins Auge gefaßt werden.
Die mechaniſchen Lehren empfehlen ſich uns nicht bloß durch die
Anwendbarkeit auf Maſchinen und durch den uͤberall unverkenn-
baren Nutzen, den ſie gewaͤhren, ſondern auch durch die Sicherheit,
mit welcher die Schluͤſſe ſich an einander reihen, durch die uͤber
alle Zweifel ſich erhebende Nothwendigkeit in den aus wenigen
Grundlagen hervorgehenden Folgerungen. Die Lehre vom Lichte
bietet dem Auge ebenſo mannigfaltige Unterhaltung durch ſchoͤne
Farben-Erſcheinungen als dem Verſtande durch die Aufloͤſung der
ſchwierigen Fragen, zu welchen dieſe Erſcheinungen Veranlaſſung
geben, dar; und faſt auf aͤhnliche Weiſe kann man von der
Electricitaͤt ſagen, daß ſie uns bald durch die Neuheit ganz uner-
warteter Erſcheinungen uͤberraſcht, bald durch die Gewalt ihrer
Wirkungen uns in Erſtaunen ſetzt, bald in einer Reihe raͤthſel-
hafter Phaͤnomene uns zur Bewunderung des Scharfſinns derer
auffordert, die dieſe Phaͤnomene in ein Syſtem zu ordnen, das eine
aus dem andern zu erklaͤren, mit ſo großem Gluͤcke verſucht haben.
Die Lehre von der Waͤrme kann wohl nicht auf gleiche Weiſe auf
den Ruhm Anſpruch machen, ſolche Erſcheinungen darzubieten, die
dem Auge durch ihre Schoͤnheit ſich empfehlen, oder die als gaͤnzlich
unerwartet unſer Erſtaunen erregen; aber dagegen hat ſie den Vor-
zug, uns uͤber zahlloſe Natur-Erſcheinungen Aufſchluß zu geben,

III. A
<TEI>
  <text>
    <pb facs="#f0015" n="[1]"/>
    <body>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Er&#x017F;te Vorle&#x017F;ung</hi> </hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p><hi rendition="#in">J</hi>ede einzelne Lehre der Phy&#x017F;ik, m. h. H., hat in Ru&#x0364;ck&#x017F;icht auf<lb/>
die Art, wie &#x017F;ie un&#x017F;re Aufmerk&#x017F;amkeit anzieht, in Ru&#x0364;ck&#x017F;icht auf<lb/>
das Intere&#x017F;&#x017F;e, welches &#x017F;ie erregt, etwas Eigenthu&#x0364;mliches, und muß<lb/>
mit Ru&#x0364;ck&#x017F;icht auf die&#x017F;e Eigenthu&#x0364;mlichkeit ins Auge gefaßt werden.<lb/>
Die mechani&#x017F;chen Lehren empfehlen &#x017F;ich uns nicht bloß durch die<lb/>
Anwendbarkeit auf Ma&#x017F;chinen und durch den u&#x0364;berall unverkenn-<lb/>
baren Nutzen, den &#x017F;ie gewa&#x0364;hren, &#x017F;ondern auch durch die Sicherheit,<lb/>
mit welcher die Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich an einander reihen, durch die u&#x0364;ber<lb/>
alle Zweifel &#x017F;ich erhebende Nothwendigkeit in den aus wenigen<lb/>
Grundlagen hervorgehenden Folgerungen. Die Lehre vom Lichte<lb/>
bietet dem Auge eben&#x017F;o mannigfaltige Unterhaltung durch &#x017F;cho&#x0364;ne<lb/>
Farben-Er&#x017F;cheinungen als dem Ver&#x017F;tande durch die Auflo&#x0364;&#x017F;ung der<lb/>
&#x017F;chwierigen Fragen, zu welchen die&#x017F;e Er&#x017F;cheinungen Veranla&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
geben, dar; und fa&#x017F;t auf a&#x0364;hnliche Wei&#x017F;e kann man von der<lb/>
Electricita&#x0364;t &#x017F;agen, daß &#x017F;ie uns bald durch die Neuheit ganz uner-<lb/>
warteter Er&#x017F;cheinungen u&#x0364;berra&#x017F;cht, bald durch die Gewalt ihrer<lb/>
Wirkungen uns in Er&#x017F;taunen &#x017F;etzt, bald in einer Reihe ra&#x0364;th&#x017F;el-<lb/>
hafter Pha&#x0364;nomene uns zur Bewunderung des Scharf&#x017F;inns derer<lb/>
auffordert, die die&#x017F;e Pha&#x0364;nomene in ein Sy&#x017F;tem zu ordnen, das eine<lb/>
aus dem andern zu erkla&#x0364;ren, mit &#x017F;o großem Glu&#x0364;cke ver&#x017F;ucht haben.<lb/>
Die Lehre von der Wa&#x0364;rme kann wohl nicht auf gleiche Wei&#x017F;e auf<lb/>
den Ruhm An&#x017F;pruch machen, &#x017F;olche Er&#x017F;cheinungen darzubieten, die<lb/>
dem Auge durch ihre Scho&#x0364;nheit &#x017F;ich empfehlen, oder die als ga&#x0364;nzlich<lb/>
unerwartet un&#x017F;er Er&#x017F;taunen erregen; aber dagegen hat &#x017F;ie den Vor-<lb/>
zug, uns u&#x0364;ber zahllo&#x017F;e Natur-Er&#x017F;cheinungen Auf&#x017F;chluß zu geben,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">III.</hi></hi> A</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[1]/0015] Erſte Vorleſung Jede einzelne Lehre der Phyſik, m. h. H., hat in Ruͤckſicht auf die Art, wie ſie unſre Aufmerkſamkeit anzieht, in Ruͤckſicht auf das Intereſſe, welches ſie erregt, etwas Eigenthuͤmliches, und muß mit Ruͤckſicht auf dieſe Eigenthuͤmlichkeit ins Auge gefaßt werden. Die mechaniſchen Lehren empfehlen ſich uns nicht bloß durch die Anwendbarkeit auf Maſchinen und durch den uͤberall unverkenn- baren Nutzen, den ſie gewaͤhren, ſondern auch durch die Sicherheit, mit welcher die Schluͤſſe ſich an einander reihen, durch die uͤber alle Zweifel ſich erhebende Nothwendigkeit in den aus wenigen Grundlagen hervorgehenden Folgerungen. Die Lehre vom Lichte bietet dem Auge ebenſo mannigfaltige Unterhaltung durch ſchoͤne Farben-Erſcheinungen als dem Verſtande durch die Aufloͤſung der ſchwierigen Fragen, zu welchen dieſe Erſcheinungen Veranlaſſung geben, dar; und faſt auf aͤhnliche Weiſe kann man von der Electricitaͤt ſagen, daß ſie uns bald durch die Neuheit ganz uner- warteter Erſcheinungen uͤberraſcht, bald durch die Gewalt ihrer Wirkungen uns in Erſtaunen ſetzt, bald in einer Reihe raͤthſel- hafter Phaͤnomene uns zur Bewunderung des Scharfſinns derer auffordert, die dieſe Phaͤnomene in ein Syſtem zu ordnen, das eine aus dem andern zu erklaͤren, mit ſo großem Gluͤcke verſucht haben. Die Lehre von der Waͤrme kann wohl nicht auf gleiche Weiſe auf den Ruhm Anſpruch machen, ſolche Erſcheinungen darzubieten, die dem Auge durch ihre Schoͤnheit ſich empfehlen, oder die als gaͤnzlich unerwartet unſer Erſtaunen erregen; aber dagegen hat ſie den Vor- zug, uns uͤber zahlloſe Natur-Erſcheinungen Aufſchluß zu geben, III. A

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre03_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre03_1832/15
Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1832, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre03_1832/15>, abgerufen am 21.12.2024.