der gegenseitigen Anziehung der Theilchen an einer gekrümmten Oberfläche ist, theils wie bedeutend sich die Größe dieser Kräfte zeigt. Und doch war hier immer nur von der Differenz dieser Kräfte die Rede; denn wenn das Wasser an der emporgehobenen Platte AB (Fig. 17.) anliegt, so ist es nur der Ueberschuß der anziehenden Kraft der Platte gegen das Wasser über die Anzie- hungskraft der Wassertheilchen unter einander, welcher die Platte fähig macht, das Wasser zu heben, und eben so ist es in den Haarröhrchen nur der Unterschied der anziehenden Kräfte, welche die Röhrenwand und welche die Wassertheilchen ausüben, die wir kennen lernen. In andern Fällen sehen wir nur, daß die die krumme Oberfläche bildenden Theilchen eine etwas andere Ein- wirkung auf die benachbarten Theilchen zeigen, als es an einer ebenen Oberfläche der Fall ist, und immer lernen wir nur den Unterschied beider kennen; die ganze Kraft der Anziehung benach- barter Theilchen auf einander muß daher ganz gewiß noch weit größer seyn.
Ein Versuch, wo sich eine noch größere Anziehungskraft zeigt.
Es giebt einige Phänomene, wo eine viel größere Anziehungs- kraft thätig zu sein scheint, und wo wir also wohl glauben dürfen, wenigstens etwas näher jene ganze Kraft kennen zu lernen. Dahin rechnet Laplace den schon oft angestellten Versuch, daß man eine 4 oder 5 Fuß lange Glasröhre, die am einen Ende in einer reinen Wölbung zugeschmolzen ist, mit Quecksilber füllt, sie dann, wie eine mit der Mündung eingetauchte Barometerröhre, umkehrt, sie vorsichtig mit dem Finger geschlossen hält, bis man sie zu einer ganz ruhigen Stellung gebracht hat, und nun sehr oft das Queck- silber bis zum höchsten Theile der Röhre hängen bleibend sieht. Der Versuch gelingt etwas schwer, aber er gelingt doch, und das Quecksilber bleibt oft lange genug hängen, um die Ueberzeugung, daß es durch eine Adhäsion an der obern Wölbung der Röhre ge- halten werde, zu begründen, indem der Druck der Luft es nicht so hoch erhalten könnte. Laplace sieht diese Wirkung als von der gesammten Größe jener Kraft abhängend an, glaubt aber, daß wir ihre wahre Größe doch selbst da nur sehr unvollkommen kennen
der gegenſeitigen Anziehung der Theilchen an einer gekruͤmmten Oberflaͤche iſt, theils wie bedeutend ſich die Groͤße dieſer Kraͤfte zeigt. Und doch war hier immer nur von der Differenz dieſer Kraͤfte die Rede; denn wenn das Waſſer an der emporgehobenen Platte AB (Fig. 17.) anliegt, ſo iſt es nur der Ueberſchuß der anziehenden Kraft der Platte gegen das Waſſer uͤber die Anzie- hungskraft der Waſſertheilchen unter einander, welcher die Platte faͤhig macht, das Waſſer zu heben, und eben ſo iſt es in den Haarroͤhrchen nur der Unterſchied der anziehenden Kraͤfte, welche die Roͤhrenwand und welche die Waſſertheilchen ausuͤben, die wir kennen lernen. In andern Faͤllen ſehen wir nur, daß die die krumme Oberflaͤche bildenden Theilchen eine etwas andere Ein- wirkung auf die benachbarten Theilchen zeigen, als es an einer ebenen Oberflaͤche der Fall iſt, und immer lernen wir nur den Unterſchied beider kennen; die ganze Kraft der Anziehung benach- barter Theilchen auf einander muß daher ganz gewiß noch weit groͤßer ſeyn.
Ein Verſuch, wo ſich eine noch groͤßere Anziehungskraft zeigt.
Es giebt einige Phaͤnomene, wo eine viel groͤßere Anziehungs- kraft thaͤtig zu ſein ſcheint, und wo wir alſo wohl glauben duͤrfen, wenigſtens etwas naͤher jene ganze Kraft kennen zu lernen. Dahin rechnet Laplace den ſchon oft angeſtellten Verſuch, daß man eine 4 oder 5 Fuß lange Glasroͤhre, die am einen Ende in einer reinen Woͤlbung zugeſchmolzen iſt, mit Queckſilber fuͤllt, ſie dann, wie eine mit der Muͤndung eingetauchte Barometerroͤhre, umkehrt, ſie vorſichtig mit dem Finger geſchloſſen haͤlt, bis man ſie zu einer ganz ruhigen Stellung gebracht hat, und nun ſehr oft das Queck- ſilber bis zum hoͤchſten Theile der Roͤhre haͤngen bleibend ſieht. Der Verſuch gelingt etwas ſchwer, aber er gelingt doch, und das Queckſilber bleibt oft lange genug haͤngen, um die Ueberzeugung, daß es durch eine Adhaͤſion an der obern Woͤlbung der Roͤhre ge- halten werde, zu begruͤnden, indem der Druck der Luft es nicht ſo hoch erhalten koͤnnte. Laplace ſieht dieſe Wirkung als von der geſammten Groͤße jener Kraft abhaͤngend an, glaubt aber, daß wir ihre wahre Groͤße doch ſelbſt da nur ſehr unvollkommen kennen
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der gegenſeitigen Anziehung der Theilchen an einer gekruͤmmten
Oberflaͤche iſt, theils wie bedeutend ſich die Groͤße dieſer Kraͤfte
zeigt. Und doch war hier immer nur von der Differenz dieſer
Kraͤfte die Rede; denn wenn das Waſſer an der emporgehobenen
Platte AB (Fig. 17.) anliegt, ſo iſt es nur der Ueberſchuß der
anziehenden Kraft der Platte gegen das Waſſer uͤber die Anzie-
hungskraft der Waſſertheilchen unter einander, welcher die Platte
faͤhig macht, das Waſſer zu heben, und eben ſo iſt es in den
Haarroͤhrchen nur der Unterſchied der anziehenden Kraͤfte, welche
die Roͤhrenwand und welche die Waſſertheilchen ausuͤben, die wir
kennen lernen. In andern Faͤllen ſehen wir nur, daß die die
krumme Oberflaͤche bildenden Theilchen eine etwas andere Ein-
wirkung auf die benachbarten Theilchen zeigen, als es an einer
ebenen Oberflaͤche der Fall iſt, und immer lernen wir nur den
Unterſchied beider kennen; die ganze Kraft der Anziehung benach-
barter Theilchen auf einander muß daher ganz gewiß noch weit
groͤßer ſeyn.
Ein Verſuch, wo ſich eine noch groͤßere Anziehungskraft
zeigt.
Es giebt einige Phaͤnomene, wo eine viel groͤßere Anziehungs-
kraft thaͤtig zu ſein ſcheint, und wo wir alſo wohl glauben duͤrfen,
wenigſtens etwas naͤher jene ganze Kraft kennen zu lernen. Dahin
rechnet Laplace den ſchon oft angeſtellten Verſuch, daß man eine
4 oder 5 Fuß lange Glasroͤhre, die am einen Ende in einer reinen
Woͤlbung zugeſchmolzen iſt, mit Queckſilber fuͤllt, ſie dann, wie
eine mit der Muͤndung eingetauchte Barometerroͤhre, umkehrt, ſie
vorſichtig mit dem Finger geſchloſſen haͤlt, bis man ſie zu einer
ganz ruhigen Stellung gebracht hat, und nun ſehr oft das Queck-
ſilber bis zum hoͤchſten Theile der Roͤhre haͤngen bleibend ſieht.
Der Verſuch gelingt etwas ſchwer, aber er gelingt doch, und das
Queckſilber bleibt oft lange genug haͤngen, um die Ueberzeugung,
daß es durch eine Adhaͤſion an der obern Woͤlbung der Roͤhre ge-
halten werde, zu begruͤnden, indem der Druck der Luft es nicht ſo
hoch erhalten koͤnnte. Laplace ſieht dieſe Wirkung als von der
geſammten Groͤße jener Kraft abhaͤngend an, glaubt aber, daß wir
ihre wahre Groͤße doch ſelbſt da nur ſehr unvollkommen kennen
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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre02_1831/35>, abgerufen am 22.02.2025.
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