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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831.

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Zwölfte Vorlesung.


Die große Reihe von Erscheinungen, m. h. H., womit ich
Sie bisher unterhalten habe, gewährt uns eine schon sehr umfas-
sende Kenntniß von den Gesetzen, nach welchen das Licht seine Wir-
kungen äußert; und obgleich noch sehr merkwürdige Erscheinungen
übrig sind, so ist es doch wohl angemessen, hier einmal still zu
stehen, und die Versuche, die man gemacht hat, um die bisher
betrachteten Phänomene aus einer über die Natur des Lichtes an-
genommenen Hypothese zu erklären, einer genauern Prüfung zu
unterwerfen.

Zwei Hypothesen sind es vorzüglich, die man zu diesem Zwecke
aufgestellt hat, die Emissionstheorie und die Undula-
tionstheorie. Die erstere ist vorzüglich von Newton ausge-
bildet und in der neuesten Zeit von Biot und dem jüngern Her-
schel so weit, als es für jetzt möglich scheint, auf alle Erscheinun-
gen angewandt worden. Die zweite ist von Huyghens schon mit
vielem Scharfsinn durchgeführt, von Euler vertheidigt und in
neuern Zeiten aus Gründen, die später vorkommen, von Young,
Poisson, Fresnel, Fraunhofer weiter ausgebildet worden.
Ich werde heute nur von jener reden.

Die Emissionstheorie.

Der Hauptgedanke in der Emissionstheorie ist der allerdings
am natürlichsten scheinende, daß die Lichtmaterie, die wir uns als
aus kleinen Körpertheilchen bestehend denken, von den selbstleuch-
tenden Körpern ausgehe, daß diese Lichttheilchen durch eine unbe-
kannte Kraft fortgetrieben in graden Linien den Weltraum durch-
eilen, und unser Auge treffend uns die Empfindung des Lichtes
gewähren. Daß wir die Ursache der so großen, fast unermeßlichen
Geschwindigkeit des Lichtes nicht kennen, ist gegen diese Ansicht kein
erheblicher Einwurf, da uns über die ersten Ursachen auch andrer
Erscheinungen gleiche Dunkelheiten übrig bleiben. Aber bedeutender

Zwoͤlfte Vorleſung.


Die große Reihe von Erſcheinungen, m. h. H., womit ich
Sie bisher unterhalten habe, gewaͤhrt uns eine ſchon ſehr umfaſ-
ſende Kenntniß von den Geſetzen, nach welchen das Licht ſeine Wir-
kungen aͤußert; und obgleich noch ſehr merkwuͤrdige Erſcheinungen
uͤbrig ſind, ſo iſt es doch wohl angemeſſen, hier einmal ſtill zu
ſtehen, und die Verſuche, die man gemacht hat, um die bisher
betrachteten Phaͤnomene aus einer uͤber die Natur des Lichtes an-
genommenen Hypotheſe zu erklaͤren, einer genauern Pruͤfung zu
unterwerfen.

Zwei Hypotheſen ſind es vorzuͤglich, die man zu dieſem Zwecke
aufgeſtellt hat, die Emiſſionstheorie und die Undula-
tionstheorie. Die erſtere iſt vorzuͤglich von Newton ausge-
bildet und in der neueſten Zeit von Biot und dem juͤngern Her-
ſchel ſo weit, als es fuͤr jetzt moͤglich ſcheint, auf alle Erſcheinun-
gen angewandt worden. Die zweite iſt von Huyghens ſchon mit
vielem Scharfſinn durchgefuͤhrt, von Euler vertheidigt und in
neuern Zeiten aus Gruͤnden, die ſpaͤter vorkommen, von Young,
Poiſſon, Fresnel, Fraunhofer weiter ausgebildet worden.
Ich werde heute nur von jener reden.

Die Emiſſionstheorie.

Der Hauptgedanke in der Emiſſionstheorie iſt der allerdings
am natuͤrlichſten ſcheinende, daß die Lichtmaterie, die wir uns als
aus kleinen Koͤrpertheilchen beſtehend denken, von den ſelbſtleuch-
tenden Koͤrpern ausgehe, daß dieſe Lichttheilchen durch eine unbe-
kannte Kraft fortgetrieben in graden Linien den Weltraum durch-
eilen, und unſer Auge treffend uns die Empfindung des Lichtes
gewaͤhren. Daß wir die Urſache der ſo großen, faſt unermeßlichen
Geſchwindigkeit des Lichtes nicht kennen, iſt gegen dieſe Anſicht kein
erheblicher Einwurf, da uns uͤber die erſten Urſachen auch andrer
Erſcheinungen gleiche Dunkelheiten uͤbrig bleiben. Aber bedeutender

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[231/0245] Zwoͤlfte Vorleſung. Die große Reihe von Erſcheinungen, m. h. H., womit ich Sie bisher unterhalten habe, gewaͤhrt uns eine ſchon ſehr umfaſ- ſende Kenntniß von den Geſetzen, nach welchen das Licht ſeine Wir- kungen aͤußert; und obgleich noch ſehr merkwuͤrdige Erſcheinungen uͤbrig ſind, ſo iſt es doch wohl angemeſſen, hier einmal ſtill zu ſtehen, und die Verſuche, die man gemacht hat, um die bisher betrachteten Phaͤnomene aus einer uͤber die Natur des Lichtes an- genommenen Hypotheſe zu erklaͤren, einer genauern Pruͤfung zu unterwerfen. Zwei Hypotheſen ſind es vorzuͤglich, die man zu dieſem Zwecke aufgeſtellt hat, die Emiſſionstheorie und die Undula- tionstheorie. Die erſtere iſt vorzuͤglich von Newton ausge- bildet und in der neueſten Zeit von Biot und dem juͤngern Her- ſchel ſo weit, als es fuͤr jetzt moͤglich ſcheint, auf alle Erſcheinun- gen angewandt worden. Die zweite iſt von Huyghens ſchon mit vielem Scharfſinn durchgefuͤhrt, von Euler vertheidigt und in neuern Zeiten aus Gruͤnden, die ſpaͤter vorkommen, von Young, Poiſſon, Fresnel, Fraunhofer weiter ausgebildet worden. Ich werde heute nur von jener reden. Die Emiſſionstheorie. Der Hauptgedanke in der Emiſſionstheorie iſt der allerdings am natuͤrlichſten ſcheinende, daß die Lichtmaterie, die wir uns als aus kleinen Koͤrpertheilchen beſtehend denken, von den ſelbſtleuch- tenden Koͤrpern ausgehe, daß dieſe Lichttheilchen durch eine unbe- kannte Kraft fortgetrieben in graden Linien den Weltraum durch- eilen, und unſer Auge treffend uns die Empfindung des Lichtes gewaͤhren. Daß wir die Urſache der ſo großen, faſt unermeßlichen Geſchwindigkeit des Lichtes nicht kennen, iſt gegen dieſe Anſicht kein erheblicher Einwurf, da uns uͤber die erſten Urſachen auch andrer Erſcheinungen gleiche Dunkelheiten uͤbrig bleiben. Aber bedeutender

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre02_1831/245>, abgerufen am 21.11.2024.