daß einige mich so für besser halten, als ich nach mei- nem eigenen Bewußtseyn nicht bin. Aber aller mei- ner Beichte ungeachtet, hätten denn doch hinwieder andre mich noch für schlimmer geachtet, als ich, un- ter dem Beystand des Höchsten mein Lebtag nicht seyn werde. Und mein einzig unpartheyischer Rich- ter kennt mich ja durch und durch, ohne meine Be- schreibung.
LXXIX. Meine Geständnisse.
Um indessen doch einigermaaßen ein solches Ge- ständniß abzulegen, und Euch, meine Nachkommen, einen Blick wenigstens auf die Oberfläche meines Her- zens zu öffnen, so will ich Euch sagen: Daß ich ein Mensch bin, der alle seine Tage mit heftigen Lei- denschaften zu kämpfen hatte. In meinen Jugend- jahren erwachten nur allzufrühe gewisse Naturtriebe in mir; etliche Geißbuben, und ein Paar alte Nar- ren von Nachbarn sagten mir Dinge vor, die einen unauslöschlichen Eindruck auf mein Gemüth machten, und es mit tausend romantischen Bildern und Fan- taseyen erfüllten, denen ich, trotz alles Kämpfens und Widerstrebens, oft bis zum unstunig werden nach- hängen mußte, und dabey wahre Höllenangst aus- stuhud. Denn um die nämliche Zeit hatte ich von meinem Vater, und aus ein Paar seiner Lieblings- bücher, allerley, nach meinen itzigen Begriffen über- triebene, Vorstellungen von dem, was eigentlich fromm
daß einige mich ſo fuͤr beſſer halten, als ich nach mei- nem eigenen Bewußtſeyn nicht bin. Aber aller mei- ner Beichte ungeachtet, haͤtten denn doch hinwieder andre mich noch fuͤr ſchlimmer geachtet, als ich, un- ter dem Beyſtand des Hoͤchſten mein Lebtag nicht ſeyn werde. Und mein einzig unpartheyiſcher Rich- ter kennt mich ja durch und durch, ohne meine Be- ſchreibung.
LXXIX. Meine Geſtaͤndniſſe.
Um indeſſen doch einigermaaßen ein ſolches Ge- ſtaͤndniß abzulegen, und Euch, meine Nachkommen, einen Blick wenigſtens auf die Oberflaͤche meines Her- zens zu oͤffnen, ſo will ich Euch ſagen: Daß ich ein Menſch bin, der alle ſeine Tage mit heftigen Lei- denſchaften zu kaͤmpfen hatte. In meinen Jugend- jahren erwachten nur allzufruͤhe gewiſſe Naturtriebe in mir; etliche Geißbuben, und ein Paar alte Nar- ren von Nachbarn ſagten mir Dinge vor, die einen unausloͤſchlichen Eindruck auf mein Gemuͤth machten, und es mit tauſend romantiſchen Bildern und Fan- taſeyen erfuͤllten, denen ich, trotz alles Kaͤmpfens und Widerſtrebens, oft bis zum unſtunig werden nach- haͤngen mußte, und dabey wahre Hoͤllenangſt aus- ſtuhud. Denn um die naͤmliche Zeit hatte ich von meinem Vater, und aus ein Paar ſeiner Lieblings- buͤcher, allerley, nach meinen itzigen Begriffen uͤber- triebene, Vorſtellungen von dem, was eigentlich fromm
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daß einige mich ſo fuͤr beſſer halten, als ich nach mei-
nem eigenen Bewußtſeyn nicht bin. Aber aller mei-
ner Beichte ungeachtet, haͤtten denn doch hinwieder
andre mich noch fuͤr ſchlimmer geachtet, als ich, un-
ter dem Beyſtand des Hoͤchſten mein Lebtag nicht
ſeyn werde. Und mein einzig unpartheyiſcher Rich-
ter kennt mich ja durch und durch, ohne meine Be-
ſchreibung.
LXXIX.
Meine Geſtaͤndniſſe.
Um indeſſen doch einigermaaßen ein ſolches Ge-
ſtaͤndniß abzulegen, und Euch, meine Nachkommen,
einen Blick wenigſtens auf die Oberflaͤche meines Her-
zens zu oͤffnen, ſo will ich Euch ſagen: Daß ich ein
Menſch bin, der alle ſeine Tage mit heftigen Lei-
denſchaften zu kaͤmpfen hatte. In meinen Jugend-
jahren erwachten nur allzufruͤhe gewiſſe Naturtriebe
in mir; etliche Geißbuben, und ein Paar alte Nar-
ren von Nachbarn ſagten mir Dinge vor, die einen
unausloͤſchlichen Eindruck auf mein Gemuͤth machten,
und es mit tauſend romantiſchen Bildern und Fan-
taſeyen erfuͤllten, denen ich, trotz alles Kaͤmpfens
und Widerſtrebens, oft bis zum unſtunig werden nach-
haͤngen mußte, und dabey wahre Hoͤllenangſt aus-
ſtuhud. Denn um die naͤmliche Zeit hatte ich von
meinem Vater, und aus ein Paar ſeiner Lieblings-
buͤcher, allerley, nach meinen itzigen Begriffen uͤber-
triebene, Vorſtellungen von dem, was eigentlich fromm
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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/251>, abgerufen am 01.03.2025.
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