Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite
LXXVIII.
Also
?

Was anders, als ich, nicht Ich? Denn ich hab'
erst seit einiger Zeit wahrgenommen, daß man sich
selbst -- mit einem kleinen i schreibt. Doch, was
ist das gegen andre Fehler? Freylich muß ich zu mei-
ner etwelchen Entschuldigung sagen, daß ich mein
Bißchen Schreiben ganz aus mir selbst, ohne andern
Unterricht gelerut, dafür aber auch erst in meinem
dreyßigsten Jahr etwas Leserliches, doch nie nichts
recht orthographisches, auch unlinirt bis auf den heu-
tigen Tag nie eine ganz gerade Zeile heransbringen
konnte. Hingegen hatte für mich die sogenannte
Frakturschrift, und zierlich geschweifte Buchstaben al-
ler Art sehr viele Reitze, obschon ich's auch hieriun
nie weit gebracht. Nun denn, so geh' es auch hier-
inn eben weiter im Alten fort.

Als ich dieß Büchel zu schreiben anfieng, dacht' ich
Wunder, welch eine herrliche Geschicht' voll der selt-
samsten Abentheuer es absetzen würde. Ich Thor!
Und doch -- bey besserm Nachdenken -- was soll ich
mich selbst tadeln? Wäre das nicht Narrheit auf
Narrheit gehäuft? Mir ist's als wenn mir jemand
die Hand zurückzöge. Das Selbsttadeln muß also et-
was unnatürliches, das Entschuldigen und sich selbst
alles zum Beßten deuten etwas ganz natürliches seyn.
Ich will mich also herzlich gern' entschuldigen, daß
ich Anfangs so verliebt in meine Geschichte war, wie

LXXVIII.
Alſo
?

Was anders, als ich, nicht Ich? Denn ich hab’
erſt ſeit einiger Zeit wahrgenommen, daß man ſich
ſelbſt — mit einem kleinen i ſchreibt. Doch, was
iſt das gegen andre Fehler? Freylich muß ich zu mei-
ner etwelchen Entſchuldigung ſagen, daß ich mein
Bißchen Schreiben ganz aus mir ſelbſt, ohne andern
Unterricht gelerut, dafuͤr aber auch erſt in meinem
dreyßigſten Jahr etwas Leſerliches, doch nie nichts
recht orthographiſches, auch unlinirt bis auf den heu-
tigen Tag nie eine ganz gerade Zeile heransbringen
konnte. Hingegen hatte fuͤr mich die ſogenannte
Frakturſchrift, und zierlich geſchweifte Buchſtaben al-
ler Art ſehr viele Reitze, obſchon ich’s auch hieriun
nie weit gebracht. Nun denn, ſo geh’ es auch hier-
inn eben weiter im Alten fort.

Als ich dieß Buͤchel zu ſchreiben anfieng, dacht’ ich
Wunder, welch eine herrliche Geſchicht’ voll der ſelt-
ſamſten Abentheuer es abſetzen wuͤrde. Ich Thor!
Und doch — bey beſſerm Nachdenken — was ſoll ich
mich ſelbſt tadeln? Waͤre das nicht Narrheit auf
Narrheit gehaͤuft? Mir iſt’s als wenn mir jemand
die Hand zuruͤckzoͤge. Das Selbſttadeln muß alſo et-
was unnatuͤrliches, das Entſchuldigen und ſich ſelbſt
alles zum Beßten deuten etwas ganz natuͤrliches ſeyn.
Ich will mich alſo herzlich gern’ entſchuldigen, daß
ich Anfangs ſo verliebt in meine Geſchichte war, wie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0249" n="233"/>
      <div n="1">
        <head><hi rendition="#g"><hi rendition="#aq">LXXVIII.</hi><lb/><hi rendition="#fr">Al&#x017F;o</hi></hi>?</head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">W</hi>as anders, als ich, nicht <hi rendition="#fr">Ich</hi>? Denn ich hab&#x2019;<lb/>
er&#x017F;t &#x017F;eit einiger Zeit wahrgenommen, daß man &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t &#x2014; mit einem kleinen i &#x017F;chreibt. Doch, was<lb/>
i&#x017F;t das gegen andre Fehler? Freylich muß ich zu mei-<lb/>
ner etwelchen Ent&#x017F;chuldigung &#x017F;agen, daß ich mein<lb/>
Bißchen Schreiben ganz aus mir &#x017F;elb&#x017F;t, ohne andern<lb/>
Unterricht gelerut, dafu&#x0364;r aber auch er&#x017F;t in meinem<lb/>
dreyßig&#x017F;ten Jahr etwas Le&#x017F;erliches, doch nie nichts<lb/>
recht orthographi&#x017F;ches, auch unlinirt bis auf den heu-<lb/>
tigen Tag nie eine ganz gerade Zeile heransbringen<lb/>
konnte. Hingegen hatte fu&#x0364;r mich die &#x017F;ogenannte<lb/>
Fraktur&#x017F;chrift, und zierlich ge&#x017F;chweifte Buch&#x017F;taben al-<lb/>
ler Art &#x017F;ehr viele Reitze, ob&#x017F;chon ich&#x2019;s auch hieriun<lb/>
nie weit gebracht. Nun denn, &#x017F;o geh&#x2019; es auch hier-<lb/>
inn eben weiter im Alten fort.</p><lb/>
        <p>Als ich dieß Bu&#x0364;chel zu &#x017F;chreiben anfieng, dacht&#x2019; ich<lb/>
Wunder, welch eine herrliche Ge&#x017F;chicht&#x2019; voll der &#x017F;elt-<lb/>
&#x017F;am&#x017F;ten Abentheuer es ab&#x017F;etzen wu&#x0364;rde. Ich Thor!<lb/>
Und doch &#x2014; bey be&#x017F;&#x017F;erm Nachdenken &#x2014; was &#x017F;oll ich<lb/>
mich &#x017F;elb&#x017F;t tadeln? Wa&#x0364;re das nicht Narrheit auf<lb/>
Narrheit geha&#x0364;uft? Mir i&#x017F;t&#x2019;s als wenn mir jemand<lb/>
die Hand zuru&#x0364;ckzo&#x0364;ge. Das Selb&#x017F;ttadeln muß al&#x017F;o et-<lb/>
was unnatu&#x0364;rliches, das Ent&#x017F;chuldigen und &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
alles zum Beßten deuten etwas ganz natu&#x0364;rliches &#x017F;eyn.<lb/>
Ich will mich al&#x017F;o herzlich gern&#x2019; ent&#x017F;chuldigen, daß<lb/>
ich Anfangs &#x017F;o verliebt in meine Ge&#x017F;chichte war, wie<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[233/0249] LXXVIII. Alſo? Was anders, als ich, nicht Ich? Denn ich hab’ erſt ſeit einiger Zeit wahrgenommen, daß man ſich ſelbſt — mit einem kleinen i ſchreibt. Doch, was iſt das gegen andre Fehler? Freylich muß ich zu mei- ner etwelchen Entſchuldigung ſagen, daß ich mein Bißchen Schreiben ganz aus mir ſelbſt, ohne andern Unterricht gelerut, dafuͤr aber auch erſt in meinem dreyßigſten Jahr etwas Leſerliches, doch nie nichts recht orthographiſches, auch unlinirt bis auf den heu- tigen Tag nie eine ganz gerade Zeile heransbringen konnte. Hingegen hatte fuͤr mich die ſogenannte Frakturſchrift, und zierlich geſchweifte Buchſtaben al- ler Art ſehr viele Reitze, obſchon ich’s auch hieriun nie weit gebracht. Nun denn, ſo geh’ es auch hier- inn eben weiter im Alten fort. Als ich dieß Buͤchel zu ſchreiben anfieng, dacht’ ich Wunder, welch eine herrliche Geſchicht’ voll der ſelt- ſamſten Abentheuer es abſetzen wuͤrde. Ich Thor! Und doch — bey beſſerm Nachdenken — was ſoll ich mich ſelbſt tadeln? Waͤre das nicht Narrheit auf Narrheit gehaͤuft? Mir iſt’s als wenn mir jemand die Hand zuruͤckzoͤge. Das Selbſttadeln muß alſo et- was unnatuͤrliches, das Entſchuldigen und ſich ſelbſt alles zum Beßten deuten etwas ganz natuͤrliches ſeyn. Ich will mich alſo herzlich gern’ entſchuldigen, daß ich Anfangs ſo verliebt in meine Geſchichte war, wie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/249
Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/249>, abgerufen am 13.11.2024.