Was anders, als ich, nicht Ich? Denn ich hab' erst seit einiger Zeit wahrgenommen, daß man sich selbst -- mit einem kleinen i schreibt. Doch, was ist das gegen andre Fehler? Freylich muß ich zu mei- ner etwelchen Entschuldigung sagen, daß ich mein Bißchen Schreiben ganz aus mir selbst, ohne andern Unterricht gelerut, dafür aber auch erst in meinem dreyßigsten Jahr etwas Leserliches, doch nie nichts recht orthographisches, auch unlinirt bis auf den heu- tigen Tag nie eine ganz gerade Zeile heransbringen konnte. Hingegen hatte für mich die sogenannte Frakturschrift, und zierlich geschweifte Buchstaben al- ler Art sehr viele Reitze, obschon ich's auch hieriun nie weit gebracht. Nun denn, so geh' es auch hier- inn eben weiter im Alten fort.
Als ich dieß Büchel zu schreiben anfieng, dacht' ich Wunder, welch eine herrliche Geschicht' voll der selt- samsten Abentheuer es absetzen würde. Ich Thor! Und doch -- bey besserm Nachdenken -- was soll ich mich selbst tadeln? Wäre das nicht Narrheit auf Narrheit gehäuft? Mir ist's als wenn mir jemand die Hand zurückzöge. Das Selbsttadeln muß also et- was unnatürliches, das Entschuldigen und sich selbst alles zum Beßten deuten etwas ganz natürliches seyn. Ich will mich also herzlich gern' entschuldigen, daß ich Anfangs so verliebt in meine Geschichte war, wie
LXXVIII. Alſo?
Was anders, als ich, nicht Ich? Denn ich hab’ erſt ſeit einiger Zeit wahrgenommen, daß man ſich ſelbſt — mit einem kleinen i ſchreibt. Doch, was iſt das gegen andre Fehler? Freylich muß ich zu mei- ner etwelchen Entſchuldigung ſagen, daß ich mein Bißchen Schreiben ganz aus mir ſelbſt, ohne andern Unterricht gelerut, dafuͤr aber auch erſt in meinem dreyßigſten Jahr etwas Leſerliches, doch nie nichts recht orthographiſches, auch unlinirt bis auf den heu- tigen Tag nie eine ganz gerade Zeile heransbringen konnte. Hingegen hatte fuͤr mich die ſogenannte Frakturſchrift, und zierlich geſchweifte Buchſtaben al- ler Art ſehr viele Reitze, obſchon ich’s auch hieriun nie weit gebracht. Nun denn, ſo geh’ es auch hier- inn eben weiter im Alten fort.
Als ich dieß Buͤchel zu ſchreiben anfieng, dacht’ ich Wunder, welch eine herrliche Geſchicht’ voll der ſelt- ſamſten Abentheuer es abſetzen wuͤrde. Ich Thor! Und doch — bey beſſerm Nachdenken — was ſoll ich mich ſelbſt tadeln? Waͤre das nicht Narrheit auf Narrheit gehaͤuft? Mir iſt’s als wenn mir jemand die Hand zuruͤckzoͤge. Das Selbſttadeln muß alſo et- was unnatuͤrliches, das Entſchuldigen und ſich ſelbſt alles zum Beßten deuten etwas ganz natuͤrliches ſeyn. Ich will mich alſo herzlich gern’ entſchuldigen, daß ich Anfangs ſo verliebt in meine Geſchichte war, wie
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LXXVIII.
Alſo?
Was anders, als ich, nicht Ich? Denn ich hab’
erſt ſeit einiger Zeit wahrgenommen, daß man ſich
ſelbſt — mit einem kleinen i ſchreibt. Doch, was
iſt das gegen andre Fehler? Freylich muß ich zu mei-
ner etwelchen Entſchuldigung ſagen, daß ich mein
Bißchen Schreiben ganz aus mir ſelbſt, ohne andern
Unterricht gelerut, dafuͤr aber auch erſt in meinem
dreyßigſten Jahr etwas Leſerliches, doch nie nichts
recht orthographiſches, auch unlinirt bis auf den heu-
tigen Tag nie eine ganz gerade Zeile heransbringen
konnte. Hingegen hatte fuͤr mich die ſogenannte
Frakturſchrift, und zierlich geſchweifte Buchſtaben al-
ler Art ſehr viele Reitze, obſchon ich’s auch hieriun
nie weit gebracht. Nun denn, ſo geh’ es auch hier-
inn eben weiter im Alten fort.
Als ich dieß Buͤchel zu ſchreiben anfieng, dacht’ ich
Wunder, welch eine herrliche Geſchicht’ voll der ſelt-
ſamſten Abentheuer es abſetzen wuͤrde. Ich Thor!
Und doch — bey beſſerm Nachdenken — was ſoll ich
mich ſelbſt tadeln? Waͤre das nicht Narrheit auf
Narrheit gehaͤuft? Mir iſt’s als wenn mir jemand
die Hand zuruͤckzoͤge. Das Selbſttadeln muß alſo et-
was unnatuͤrliches, das Entſchuldigen und ſich ſelbſt
alles zum Beßten deuten etwas ganz natuͤrliches ſeyn.
Ich will mich alſo herzlich gern’ entſchuldigen, daß
ich Anfangs ſo verliebt in meine Geſchichte war, wie
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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/249>, abgerufen am 01.03.2025.
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