Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 1. Leipzig, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite
Einleitung.

§ 1. Mechanische Analogie für das Verhalten der Gase.

Schon Clausius unterschied strenge zwischen der all-
gemeinen mechanischen Wärmelehre, welche im Wesentlichen
auf den beiden, nach seinem Vorgange als die Hauptsätze der
Wärmelehre bezeichneten Theoremen basirt, und der speciellen
Wärmelehre, welche erstens die bestimmte Annahme macht,
dass die Wärme eine molekulare Bewegung sei, und zweitens
sich sogar von der Art dieser Bewegung eine genauere Vor-
stellung zu bilden sucht.

Auch die allgemeine Wärmetheorie bedarf gewisser, über
die nackten Thatsachen der Natur hinausgehender Hypothesen.
Trotzdem ist sie offenbar von willkürlichen Voraussetzungen
viel unabhängiger als die specielle und es hiesse nur die be-
kannten Principien, welche schon Clausius klar darlegte und
worauf er die Eintheilung seines Buches in zwei Theile basirte
unnütz wiederholen, wollte man nochmals ausführen, wie
wünschenswerth und nothwendig die Trennung ihrer Lehrsätze
von denen der speciellen Wärmelehre und der Nachweis der
Unabhängigkeit der ersteren von den subjectiven Annahmen
der letzteren ist.

In neuerer Zeit hat nun das gegenseitige Verhältniss dieser
beiden Zweige der Wärmelehre in gewisser Hinsicht eine Ver-
schiebung erfahren. Durch die Verfolgung der äusserst inter-
essanten Analogien und Verschiedenheiten, welche das Verhalten
der Energie in den verschiedenen Erscheinungsgebieten der
Physik zeigt, wurde die sogenannte Energetik geschaffen, welche
der Vorstellung abhold ist, dass die Wärme eine Molekular-

Boltzmann, Gastheorie. 1
Einleitung.

§ 1. Mechanische Analogie für das Verhalten der Gase.

Schon Clausius unterschied strenge zwischen der all-
gemeinen mechanischen Wärmelehre, welche im Wesentlichen
auf den beiden, nach seinem Vorgange als die Hauptsätze der
Wärmelehre bezeichneten Theoremen basirt, und der speciellen
Wärmelehre, welche erstens die bestimmte Annahme macht,
dass die Wärme eine molekulare Bewegung sei, und zweitens
sich sogar von der Art dieser Bewegung eine genauere Vor-
stellung zu bilden sucht.

Auch die allgemeine Wärmetheorie bedarf gewisser, über
die nackten Thatsachen der Natur hinausgehender Hypothesen.
Trotzdem ist sie offenbar von willkürlichen Voraussetzungen
viel unabhängiger als die specielle und es hiesse nur die be-
kannten Principien, welche schon Clausius klar darlegte und
worauf er die Eintheilung seines Buches in zwei Theile basirte
unnütz wiederholen, wollte man nochmals ausführen, wie
wünschenswerth und nothwendig die Trennung ihrer Lehrsätze
von denen der speciellen Wärmelehre und der Nachweis der
Unabhängigkeit der ersteren von den subjectiven Annahmen
der letzteren ist.

In neuerer Zeit hat nun das gegenseitige Verhältniss dieser
beiden Zweige der Wärmelehre in gewisser Hinsicht eine Ver-
schiebung erfahren. Durch die Verfolgung der äusserst inter-
essanten Analogien und Verschiedenheiten, welche das Verhalten
der Energie in den verschiedenen Erscheinungsgebieten der
Physik zeigt, wurde die sogenannte Energetik geschaffen, welche
der Vorstellung abhold ist, dass die Wärme eine Molekular-

Boltzmann, Gastheorie. 1
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0015" n="[1]"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Einleitung.</hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>§ 1. <hi rendition="#g">Mechanische Analogie für das Verhalten der Gase</hi>.</head><lb/>
          <p>Schon <hi rendition="#g">Clausius</hi> unterschied strenge zwischen der all-<lb/>
gemeinen mechanischen Wärmelehre, welche im Wesentlichen<lb/>
auf den beiden, nach seinem Vorgange als die Hauptsätze der<lb/>
Wärmelehre bezeichneten Theoremen basirt, und der speciellen<lb/>
Wärmelehre, welche erstens die bestimmte Annahme macht,<lb/>
dass die Wärme eine molekulare Bewegung sei, und zweitens<lb/>
sich sogar von der Art dieser Bewegung eine genauere Vor-<lb/>
stellung zu bilden sucht.</p><lb/>
          <p>Auch die allgemeine Wärmetheorie bedarf gewisser, über<lb/>
die nackten Thatsachen der Natur hinausgehender Hypothesen.<lb/>
Trotzdem ist sie offenbar von willkürlichen Voraussetzungen<lb/>
viel unabhängiger als die specielle und es hiesse nur die be-<lb/>
kannten Principien, welche schon <hi rendition="#g">Clausius</hi> klar darlegte und<lb/>
worauf er die Eintheilung seines Buches in zwei Theile basirte<lb/>
unnütz wiederholen, wollte man nochmals ausführen, wie<lb/>
wünschenswerth und nothwendig die Trennung ihrer Lehrsätze<lb/>
von denen der speciellen Wärmelehre und der Nachweis der<lb/>
Unabhängigkeit der ersteren von den subjectiven Annahmen<lb/>
der letzteren ist.</p><lb/>
          <p>In neuerer Zeit hat nun das gegenseitige Verhältniss dieser<lb/>
beiden Zweige der Wärmelehre in gewisser Hinsicht eine Ver-<lb/>
schiebung erfahren. Durch die Verfolgung der äusserst inter-<lb/>
essanten Analogien und Verschiedenheiten, welche das Verhalten<lb/>
der Energie in den verschiedenen Erscheinungsgebieten der<lb/>
Physik zeigt, wurde die sogenannte Energetik geschaffen, welche<lb/>
der Vorstellung abhold ist, dass die Wärme eine Molekular-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Boltzmann,</hi> Gastheorie. 1</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[1]/0015] Einleitung. § 1. Mechanische Analogie für das Verhalten der Gase. Schon Clausius unterschied strenge zwischen der all- gemeinen mechanischen Wärmelehre, welche im Wesentlichen auf den beiden, nach seinem Vorgange als die Hauptsätze der Wärmelehre bezeichneten Theoremen basirt, und der speciellen Wärmelehre, welche erstens die bestimmte Annahme macht, dass die Wärme eine molekulare Bewegung sei, und zweitens sich sogar von der Art dieser Bewegung eine genauere Vor- stellung zu bilden sucht. Auch die allgemeine Wärmetheorie bedarf gewisser, über die nackten Thatsachen der Natur hinausgehender Hypothesen. Trotzdem ist sie offenbar von willkürlichen Voraussetzungen viel unabhängiger als die specielle und es hiesse nur die be- kannten Principien, welche schon Clausius klar darlegte und worauf er die Eintheilung seines Buches in zwei Theile basirte unnütz wiederholen, wollte man nochmals ausführen, wie wünschenswerth und nothwendig die Trennung ihrer Lehrsätze von denen der speciellen Wärmelehre und der Nachweis der Unabhängigkeit der ersteren von den subjectiven Annahmen der letzteren ist. In neuerer Zeit hat nun das gegenseitige Verhältniss dieser beiden Zweige der Wärmelehre in gewisser Hinsicht eine Ver- schiebung erfahren. Durch die Verfolgung der äusserst inter- essanten Analogien und Verschiedenheiten, welche das Verhalten der Energie in den verschiedenen Erscheinungsgebieten der Physik zeigt, wurde die sogenannte Energetik geschaffen, welche der Vorstellung abhold ist, dass die Wärme eine Molekular- Boltzmann, Gastheorie. 1

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie01_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie01_1896/15
Zitationshilfe: Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 1. Leipzig, 1896, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie01_1896/15>, abgerufen am 21.12.2024.