Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bohse, August: Des Franzöischen Helicons Monat-Früchte. Leipzig, 1696.

Bild:
<< vorherige Seite

des Frauenvolcks.
kosung. Auf so gefährliche Beypflichtung verläßt sie
sich/ und fraget nicht die Wissenschafft um Rath/ die
ihr am besten könte die Augen aufthun. Die Selbst-
Liebe überredet sie/ daß sie vor andern am Verstande
erleuchtet; und sie meynet/ daß sie Sachen wisse/ da-
von sie kaum den Nahmen im Gedächtnisse behält.
Also mischet sie das hunderte ins tausende/ und diese
Menge der unvollkommenen Wissenschafften erfül-
let ihr Hertz sowohl als ihren Verstand. Der Wahn
verderbet ihren Willen/ und die Unordnung im Ge-
müthe befestiget auch darinnen ihre Jrrthümer/ und
verstattet nicht wohl/ sich zu ändern.

Die Sorgfalt/ so sie hat/ ihre irrende Fähigkeit
zu vermehren/ dienet zu nichts/ als sie je länger je
mehr blind zu machen; und sie immer weiter von der
Warheit abzuleiten. Die Maxim/ so sie einmahl an-
genommen/ muß der Grund seyn/ darauf sie alles
andere bauet. Da sie nun durch den Wahn verfüh-
ret/ ist selbiger stärcker als die Warheit selbsten in ih-
rem Gemüthe; und sie suchet solche zu drehen/ nach-
dem sie sie haben will. Also betrüget sie sich selbst/ in-
dem sie sich will wunderwürdig machen/ und betrüget
auch diejenigen/ die sich über sie verwundern.

Die Wissenschafft.
Das 6. Cap.

Der Verstand ist beyderley Geschlecht gemein;
und die Seele würcket so wohl in dem weib-
lichen als in dem männlichen. Ein Frauen-
zimmer kan eben auch nach Gelehrsamkeit trachten;
und die Wissenschafft ist jederman nöthig.

Eine geschickte Person soll vor allen Dingen/ ehe sie
etwas lernet/ erkennen/ daß sie noch nichts wisse/ und
dabey verlangen/ viel zu wissen.

Dazu

des Frauenvolcks.
koſung. Auf ſo gefaͤhrliche Beypflichtung verlaͤßt ſie
ſich/ und fraget nicht die Wiſſenſchafft um Rath/ die
ihr am beſten koͤnte die Augen aufthun. Die Selbſt-
Liebe uͤberredet ſie/ daß ſie vor andern am Verſtande
erleuchtet; und ſie meynet/ daß ſie Sachen wiſſe/ da-
von ſie kaum den Nahmen im Gedaͤchtniſſe behaͤlt.
Alſo miſchet ſie das hunderte ins tauſende/ und dieſe
Menge der unvollkommenen Wiſſenſchafften erfuͤl-
let ihr Hertz ſowohl als ihren Verſtand. Der Wahn
verderbet ihren Willen/ und die Unordnung im Ge-
muͤthe befeſtiget auch darinnen ihre Jrꝛthuͤmer/ und
verſtattet nicht wohl/ ſich zu aͤndern.

Die Sorgfalt/ ſo ſie hat/ ihre irrende Faͤhigkeit
zu vermehren/ dienet zu nichts/ als ſie je laͤnger je
mehr blind zu machen; und ſie immer weiter von der
Warheit abzuleiten. Die Maxim/ ſo ſie einmahl an-
genommen/ muß der Grund ſeyn/ darauf ſie alles
andere bauet. Da ſie nun durch den Wahn verfuͤh-
ret/ iſt ſelbiger ſtaͤrcker als die Warheit ſelbſten in ih-
rem Gemuͤthe; und ſie ſuchet ſolche zu drehen/ nach-
dem ſie ſie haben will. Alſo betruͤget ſie ſich ſelbſt/ in-
dem ſie ſich will wunderwuͤrdig machen/ und betruͤget
auch diejenigen/ die ſich uͤber ſie verwundern.

Die Wiſſenſchafft.
Das 6. Cap.

Der Verſtand iſt beyderley Geſchlecht gemein;
und die Seele wuͤrcket ſo wohl in dem weib-
lichen als in dem maͤnnlichen. Ein Frauen-
zimmer kan eben auch nach Gelehrſamkeit trachten;
und die Wiſſenſchafft iſt jederman noͤthig.

Eine geſchickte Perſon ſoll vor allen Dingen/ ehe ſie
etwas lernet/ erkennen/ daß ſie noch nichts wiſſe/ und
dabey verlangen/ viel zu wiſſen.

Dazu
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0323" n="291"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">des Frauenvolcks.</hi></fw><lb/>
ko&#x017F;ung. Auf &#x017F;o gefa&#x0364;hrliche Beypflichtung verla&#x0364;ßt &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich/ und fraget nicht die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chafft um Rath/ die<lb/>
ihr am be&#x017F;ten ko&#x0364;nte die Augen aufthun. Die Selb&#x017F;t-<lb/>
Liebe u&#x0364;berredet &#x017F;ie/ daß &#x017F;ie vor andern am Ver&#x017F;tande<lb/>
erleuchtet; und &#x017F;ie meynet/ daß &#x017F;ie Sachen wi&#x017F;&#x017F;e/ da-<lb/>
von &#x017F;ie kaum den Nahmen im Geda&#x0364;chtni&#x017F;&#x017F;e beha&#x0364;lt.<lb/>
Al&#x017F;o mi&#x017F;chet &#x017F;ie das hunderte ins tau&#x017F;ende/ und die&#x017F;e<lb/>
Menge der unvollkommenen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chafften erfu&#x0364;l-<lb/>
let ihr Hertz &#x017F;owohl als ihren Ver&#x017F;tand. Der Wahn<lb/>
verderbet ihren Willen/ und die Unordnung im Ge-<lb/>
mu&#x0364;the befe&#x017F;tiget auch darinnen ihre Jr&#xA75B;thu&#x0364;mer/ und<lb/>
ver&#x017F;tattet nicht wohl/ &#x017F;ich zu a&#x0364;ndern.</p><lb/>
            <p>Die Sorgfalt/ &#x017F;o &#x017F;ie hat/ ihre irrende Fa&#x0364;higkeit<lb/>
zu vermehren/ dienet zu nichts/ als &#x017F;ie je la&#x0364;nger je<lb/>
mehr blind zu machen; und &#x017F;ie immer weiter von der<lb/>
Warheit abzuleiten. Die Maxim/ &#x017F;o &#x017F;ie einmahl an-<lb/>
genommen/ muß der Grund &#x017F;eyn/ darauf &#x017F;ie alles<lb/>
andere bauet. Da &#x017F;ie nun durch den Wahn verfu&#x0364;h-<lb/>
ret/ i&#x017F;t &#x017F;elbiger &#x017F;ta&#x0364;rcker als die Warheit &#x017F;elb&#x017F;ten in ih-<lb/>
rem Gemu&#x0364;the; und &#x017F;ie &#x017F;uchet &#x017F;olche zu drehen/ nach-<lb/>
dem &#x017F;ie &#x017F;ie haben will. Al&#x017F;o betru&#x0364;get &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t/ in-<lb/>
dem &#x017F;ie &#x017F;ich will wunderwu&#x0364;rdig machen/ und betru&#x0364;get<lb/>
auch diejenigen/ die &#x017F;ich u&#x0364;ber &#x017F;ie verwundern.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>Die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chafft.<lb/><hi rendition="#b">Das 6. Cap.</hi></head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">D</hi>er Ver&#x017F;tand i&#x017F;t beyderley Ge&#x017F;chlecht gemein;<lb/>
und die Seele wu&#x0364;rcket &#x017F;o wohl in dem weib-<lb/>
lichen als in dem ma&#x0364;nnlichen. Ein Frauen-<lb/>
zimmer kan eben auch nach Gelehr&#x017F;amkeit trachten;<lb/>
und die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chafft i&#x017F;t jederman no&#x0364;thig.</p><lb/>
            <p>Eine ge&#x017F;chickte Per&#x017F;on &#x017F;oll vor allen Dingen/ ehe &#x017F;ie<lb/>
etwas lernet/ erkennen/ daß &#x017F;ie noch nichts wi&#x017F;&#x017F;e/ und<lb/>
dabey verlangen/ viel zu wi&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Dazu</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[291/0323] des Frauenvolcks. koſung. Auf ſo gefaͤhrliche Beypflichtung verlaͤßt ſie ſich/ und fraget nicht die Wiſſenſchafft um Rath/ die ihr am beſten koͤnte die Augen aufthun. Die Selbſt- Liebe uͤberredet ſie/ daß ſie vor andern am Verſtande erleuchtet; und ſie meynet/ daß ſie Sachen wiſſe/ da- von ſie kaum den Nahmen im Gedaͤchtniſſe behaͤlt. Alſo miſchet ſie das hunderte ins tauſende/ und dieſe Menge der unvollkommenen Wiſſenſchafften erfuͤl- let ihr Hertz ſowohl als ihren Verſtand. Der Wahn verderbet ihren Willen/ und die Unordnung im Ge- muͤthe befeſtiget auch darinnen ihre Jrꝛthuͤmer/ und verſtattet nicht wohl/ ſich zu aͤndern. Die Sorgfalt/ ſo ſie hat/ ihre irrende Faͤhigkeit zu vermehren/ dienet zu nichts/ als ſie je laͤnger je mehr blind zu machen; und ſie immer weiter von der Warheit abzuleiten. Die Maxim/ ſo ſie einmahl an- genommen/ muß der Grund ſeyn/ darauf ſie alles andere bauet. Da ſie nun durch den Wahn verfuͤh- ret/ iſt ſelbiger ſtaͤrcker als die Warheit ſelbſten in ih- rem Gemuͤthe; und ſie ſuchet ſolche zu drehen/ nach- dem ſie ſie haben will. Alſo betruͤget ſie ſich ſelbſt/ in- dem ſie ſich will wunderwuͤrdig machen/ und betruͤget auch diejenigen/ die ſich uͤber ſie verwundern. Die Wiſſenſchafft. Das 6. Cap. Der Verſtand iſt beyderley Geſchlecht gemein; und die Seele wuͤrcket ſo wohl in dem weib- lichen als in dem maͤnnlichen. Ein Frauen- zimmer kan eben auch nach Gelehrſamkeit trachten; und die Wiſſenſchafft iſt jederman noͤthig. Eine geſchickte Perſon ſoll vor allen Dingen/ ehe ſie etwas lernet/ erkennen/ daß ſie noch nichts wiſſe/ und dabey verlangen/ viel zu wiſſen. Dazu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Diese Ausgabe ist ein Exemplar der Zeitschrift „D… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bohse_helicon_1696
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bohse_helicon_1696/323
Zitationshilfe: Bohse, August: Des Franzöischen Helicons Monat-Früchte. Leipzig, 1696, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bohse_helicon_1696/323>, abgerufen am 21.11.2024.