Heute marschieren die Franzosen in Belgien ein, angeblich nur um Antwerpen zu erobern, vielleicht aber auch um den König Leopold gegen sein eigenes Land zu schützen, das seiner in den nächsten Tagen überdrüßig werden dürfte. Den Franzosen gegenüber ziehen sich die Preußen zusammen, darauf zu wachen, daß das Volk in seiner Lust nicht übermüthig werde, und sich nicht mehr Freiheit nähme, als man ihm zugemessen. Was ist dieses Frankreich gesunken! Wenn noch ein Stäubchen von Napoleons Asche übrig ist, es müßte sich jetzt entzünden. Gleich schwach und verächtlich wie heute, war Frankreich unter den Di¬ rektoren; aber die Ohnmacht damals war zu entschul¬ digen, sie war Erschöpfung nach einem ungeheuern Tagewerke. Die jetzige Regierung aber ist schwach und schlaff von vielem Schlafen. Und der Ernst ge¬ gen Holland soll nur Komödie seyn, gespielt der dok¬ trinären Regierung Gelegenheit zu geben mit Kraft zu paradiren, daß sie sich befestige; denn von den Doktrinärs erwartet die heilige Allianz den Ruin Frankreichs. Es ist die wohlfeilste Art Krieg zu füh¬ ren. Schon um acht Uhr diesen Morgen erhielt ich ein Billet von einem, guten Freunde von Rentier, der mich auf heute zu Tische bittet, um ihm den
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Donnerſtag, den 15. November.
Heute marſchieren die Franzoſen in Belgien ein, angeblich nur um Antwerpen zu erobern, vielleicht aber auch um den König Leopold gegen ſein eigenes Land zu ſchützen, das ſeiner in den nächſten Tagen überdrüßig werden dürfte. Den Franzoſen gegenüber ziehen ſich die Preußen zuſammen, darauf zu wachen, daß das Volk in ſeiner Luſt nicht übermüthig werde, und ſich nicht mehr Freiheit nähme, als man ihm zugemeſſen. Was iſt dieſes Frankreich geſunken! Wenn noch ein Stäubchen von Napoleons Aſche übrig iſt, es müßte ſich jetzt entzünden. Gleich ſchwach und verächtlich wie heute, war Frankreich unter den Di¬ rektoren; aber die Ohnmacht damals war zu entſchul¬ digen, ſie war Erſchöpfung nach einem ungeheuern Tagewerke. Die jetzige Regierung aber iſt ſchwach und ſchlaff von vielem Schlafen. Und der Ernſt ge¬ gen Holland ſoll nur Komödie ſeyn, geſpielt der dok¬ trinären Regierung Gelegenheit zu geben mit Kraft zu paradiren, daß ſie ſich befeſtige; denn von den Doktrinärs erwartet die heilige Allianz den Ruin Frankreichs. Es iſt die wohlfeilſte Art Krieg zu füh¬ ren. Schon um acht Uhr dieſen Morgen erhielt ich ein Billet von einem, guten Freunde von Rentier, der mich auf heute zu Tiſche bittet, um ihm den
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Donnerſtag, den 15. November.
Heute marſchieren die Franzoſen in Belgien ein,
angeblich nur um Antwerpen zu erobern, vielleicht
aber auch um den König Leopold gegen ſein eigenes
Land zu ſchützen, das ſeiner in den nächſten Tagen
überdrüßig werden dürfte. Den Franzoſen gegenüber
ziehen ſich die Preußen zuſammen, darauf zu wachen,
daß das Volk in ſeiner Luſt nicht übermüthig werde,
und ſich nicht mehr Freiheit nähme, als man ihm
zugemeſſen. Was iſt dieſes Frankreich geſunken!
Wenn noch ein Stäubchen von Napoleons Aſche übrig
iſt, es müßte ſich jetzt entzünden. Gleich ſchwach und
verächtlich wie heute, war Frankreich unter den Di¬
rektoren; aber die Ohnmacht damals war zu entſchul¬
digen, ſie war Erſchöpfung nach einem ungeheuern
Tagewerke. Die jetzige Regierung aber iſt ſchwach
und ſchlaff von vielem Schlafen. Und der Ernſt ge¬
gen Holland ſoll nur Komödie ſeyn, geſpielt der dok¬
trinären Regierung Gelegenheit zu geben mit Kraft
zu paradiren, daß ſie ſich befeſtige; denn von den
Doktrinärs erwartet die heilige Allianz den Ruin
Frankreichs. Es iſt die wohlfeilſte Art Krieg zu füh¬
ren. Schon um acht Uhr dieſen Morgen erhielt ich
ein Billet von einem, guten Freunde von Rentier,
der mich auf heute zu Tiſche bittet, um ihm den
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/29>, abgerufen am 22.02.2025.
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