Ich kehre zum französisch-europäisch-litterarischen Winde zurück. Der Herausgeber des neuen Jour¬ nals schrieb früher den Figaro mit viel Geist und Witz. Unter der Regierung Casimir Periers zog er sich mit seinem Witze, seinem Gelde und seiner Tu¬ gend zurück, und hing, wie man zu sagen pflegt, die Politik an den Nagel, das haben schon viele ge¬ than; es ist eine gefahrlose Inokulation des Gal¬ gens. Seitdem lebt er von seinen Renten. Die Moral eines Schriftstellers hat in Frankreich große Fortschritte gemacht. Der ärgste Schelm wenn er sein Gewerbe versteht, kann mit dem Code moral in der Hand sich vor die himmlischen Assisen stellen, und Gott und seine Engel keck herausfordern, ihm den Paragraphen zu nennen, den er übertreten. Ein deutscher Journalist verkauft sein Gewissen, ein französischer verkauft seine Aktien. So kömmt das Journal in andere Hände und man braucht die eig¬ nen nicht zu beschmutzen. Ein deutscher Journalist stellt sich an den Pranger, ein französischer begnügt sich ihn zu verdienen. Der Unternehmer der Eu¬ rope literaire, der die Gefahren der Tugend einmal kennen gelernt, meidet sie ängstlich und, um nicht zum zweitenmale in Versuchung zu kommen,
Dienſtag, den 1. Januar 1833
Ich kehre zum franzöſiſch-europäiſch-litterariſchen Winde zurück. Der Herausgeber des neuen Jour¬ nals ſchrieb früher den Figaro mit viel Geiſt und Witz. Unter der Regierung Caſimir Periers zog er ſich mit ſeinem Witze, ſeinem Gelde und ſeiner Tu¬ gend zurück, und hing, wie man zu ſagen pflegt, die Politik an den Nagel, das haben ſchon viele ge¬ than; es iſt eine gefahrloſe Inokulation des Gal¬ gens. Seitdem lebt er von ſeinen Renten. Die Moral eines Schriftſtellers hat in Frankreich große Fortſchritte gemacht. Der ärgſte Schelm wenn er ſein Gewerbe verſteht, kann mit dem Code moral in der Hand ſich vor die himmliſchen Aſſiſen ſtellen, und Gott und ſeine Engel keck herausfordern, ihm den Paragraphen zu nennen, den er übertreten. Ein deutſcher Journaliſt verkauft ſein Gewiſſen, ein franzöſiſcher verkauft ſeine Aktien. So kömmt das Journal in andere Hände und man braucht die eig¬ nen nicht zu beſchmutzen. Ein deutſcher Journaliſt ſtellt ſich an den Pranger, ein franzöſiſcher begnügt ſich ihn zu verdienen. Der Unternehmer der Eu¬ rope litéraire, der die Gefahren der Tugend einmal kennen gelernt, meidet ſie ängſtlich und, um nicht zum zweitenmale in Verſuchung zu kommen,
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0171"n="159"/><div><datelinerendition="#right">Dienſtag, den 1. Januar 1833</dateline><lb/><p>Ich kehre zum franzöſiſch-europäiſch-litterariſchen<lb/>
Winde zurück. Der Herausgeber des neuen Jour¬<lb/>
nals ſchrieb früher den Figaro mit viel Geiſt und<lb/>
Witz. Unter der Regierung Caſimir Periers zog er<lb/>ſich mit ſeinem Witze, ſeinem Gelde und ſeiner Tu¬<lb/>
gend zurück, und hing, wie man zu ſagen pflegt,<lb/>
die Politik an den Nagel, das haben ſchon viele ge¬<lb/>
than; es iſt eine gefahrloſe Inokulation des Gal¬<lb/>
gens. Seitdem lebt er von ſeinen Renten. Die<lb/>
Moral eines Schriftſtellers hat in Frankreich große<lb/>
Fortſchritte gemacht. Der ärgſte Schelm wenn er<lb/>ſein Gewerbe verſteht, kann mit dem <hirendition="#aq">Code moral</hi><lb/>
in der Hand ſich vor die himmliſchen Aſſiſen ſtellen,<lb/>
und Gott und ſeine Engel keck herausfordern, ihm<lb/>
den Paragraphen zu nennen, den er übertreten.<lb/>
Ein deutſcher Journaliſt verkauft ſein Gewiſſen, ein<lb/>
franzöſiſcher verkauft ſeine Aktien. So kömmt das<lb/>
Journal in andere Hände und man braucht die eig¬<lb/>
nen nicht zu beſchmutzen. Ein deutſcher Journaliſt<lb/>ſtellt ſich an den Pranger, ein franzöſiſcher begnügt<lb/>ſich ihn zu verdienen. Der Unternehmer der <hirendition="#aq #g">Eu¬<lb/>
rope litéraire</hi>, der die Gefahren der Tugend<lb/>
einmal kennen gelernt, meidet ſie ängſtlich und, um<lb/>
nicht zum zweitenmale in Verſuchung zu kommen,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[159/0171]
Dienſtag, den 1. Januar 1833
Ich kehre zum franzöſiſch-europäiſch-litterariſchen
Winde zurück. Der Herausgeber des neuen Jour¬
nals ſchrieb früher den Figaro mit viel Geiſt und
Witz. Unter der Regierung Caſimir Periers zog er
ſich mit ſeinem Witze, ſeinem Gelde und ſeiner Tu¬
gend zurück, und hing, wie man zu ſagen pflegt,
die Politik an den Nagel, das haben ſchon viele ge¬
than; es iſt eine gefahrloſe Inokulation des Gal¬
gens. Seitdem lebt er von ſeinen Renten. Die
Moral eines Schriftſtellers hat in Frankreich große
Fortſchritte gemacht. Der ärgſte Schelm wenn er
ſein Gewerbe verſteht, kann mit dem Code moral
in der Hand ſich vor die himmliſchen Aſſiſen ſtellen,
und Gott und ſeine Engel keck herausfordern, ihm
den Paragraphen zu nennen, den er übertreten.
Ein deutſcher Journaliſt verkauft ſein Gewiſſen, ein
franzöſiſcher verkauft ſeine Aktien. So kömmt das
Journal in andere Hände und man braucht die eig¬
nen nicht zu beſchmutzen. Ein deutſcher Journaliſt
ſtellt ſich an den Pranger, ein franzöſiſcher begnügt
ſich ihn zu verdienen. Der Unternehmer der Eu¬
rope litéraire, der die Gefahren der Tugend
einmal kennen gelernt, meidet ſie ängſtlich und, um
nicht zum zweitenmale in Verſuchung zu kommen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/171>, abgerufen am 22.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.