So eben komme ich vergnügt aus dem Lese¬ kabinette -- vergnügt, weil ich mich geärgert habe. So oft mir dergleichen Aergerliches begegnet, halte ich es gleich fest, und mache mir den Aerger ein; denn in Paris ist er nicht alle Tage frisch zu haben; die deutschen Zeitungen kommen so unregelmäßig hier an. Sie werden vielleicht in meinen Briefen einen Widerspruch mit meiner Klage finden; Sie werden meinen, über französisches Wesen hätte ich mich doch oft genug geärgert. Das ist aber etwas ganz anders. Das war nicht Aerger, das war Zorn; Aerger aber ist zurückgetretener Zorn. Man ärgert sich nicht, wenn Einem dem Gegner an Macht über¬ legen ist -- das merkt und berechnet man in der Leidenschaft nicht -- sondern wenn uns der Gegner, entweder an Unverschämtheit überlegen ist, so daß er uns unter die Beine kriecht und uns umwirft, oder an Autorität, so daß er uns das Sprechen verbietet und wir uns nicht wehren dürfen. Der Zorn aber ist wohlgemuth, stark und darf seine Kraft gebrauchen. Darum gerathe ich in Zorn über das Treiben hier, denn ich darf dagegen eifern, und hundert gleichge¬ sinnte thun es für mich alle Tage; darum ärgere ich
Freitag, den 28. Januar.
So eben komme ich vergnügt aus dem Leſe¬ kabinette — vergnügt, weil ich mich geärgert habe. So oft mir dergleichen Aergerliches begegnet, halte ich es gleich feſt, und mache mir den Aerger ein; denn in Paris iſt er nicht alle Tage friſch zu haben; die deutſchen Zeitungen kommen ſo unregelmäßig hier an. Sie werden vielleicht in meinen Briefen einen Widerſpruch mit meiner Klage finden; Sie werden meinen, über franzöſiſches Weſen hätte ich mich doch oft genug geärgert. Das iſt aber etwas ganz anders. Das war nicht Aerger, das war Zorn; Aerger aber iſt zurückgetretener Zorn. Man ärgert ſich nicht, wenn Einem dem Gegner an Macht über¬ legen iſt — das merkt und berechnet man in der Leidenſchaft nicht — ſondern wenn uns der Gegner, entweder an Unverſchämtheit überlegen iſt, ſo daß er uns unter die Beine kriecht und uns umwirft, oder an Autorität, ſo daß er uns das Sprechen verbietet und wir uns nicht wehren dürfen. Der Zorn aber iſt wohlgemuth, ſtark und darf ſeine Kraft gebrauchen. Darum gerathe ich in Zorn über das Treiben hier, denn ich darf dagegen eifern, und hundert gleichge¬ ſinnte thun es für mich alle Tage; darum ärgere ich
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Freitag, den 28. Januar.
So eben komme ich vergnügt aus dem Leſe¬
kabinette — vergnügt, weil ich mich geärgert habe.
So oft mir dergleichen Aergerliches begegnet, halte
ich es gleich feſt, und mache mir den Aerger ein;
denn in Paris iſt er nicht alle Tage friſch zu haben;
die deutſchen Zeitungen kommen ſo unregelmäßig
hier an. Sie werden vielleicht in meinen Briefen
einen Widerſpruch mit meiner Klage finden; Sie
werden meinen, über franzöſiſches Weſen hätte ich
mich doch oft genug geärgert. Das iſt aber etwas
ganz anders. Das war nicht Aerger, das war Zorn;
Aerger aber iſt zurückgetretener Zorn. Man ärgert
ſich nicht, wenn Einem dem Gegner an Macht über¬
legen iſt — das merkt und berechnet man in der
Leidenſchaft nicht — ſondern wenn uns der Gegner,
entweder an Unverſchämtheit überlegen iſt, ſo daß er
uns unter die Beine kriecht und uns umwirft, oder an
Autorität, ſo daß er uns das Sprechen verbietet und
wir uns nicht wehren dürfen. Der Zorn aber iſt
wohlgemuth, ſtark und darf ſeine Kraft gebrauchen.
Darum gerathe ich in Zorn über das Treiben hier,
denn ich darf dagegen eifern, und hundert gleichge¬
ſinnte thun es für mich alle Tage; darum ärgere ich
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/32>, abgerufen am 16.07.2024.
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