-- Das muß einen ganz eignen Grund haben, daß Sie gestern nicht hier waren, daß Sie nicht den Othello und die Malibran als Desdemona gehört haben! So hart ist doch Gott sonst nicht gegen seine guten Kinder. Sie, die Sie das Alles mit hundert Lippen einsaugen, mit hundert Seelen emp¬ finden! Wie wäre Ihnen geworden, da es schon mich in solche Bewegung setzte! War es doch, als wäre das eigne Herz zur Harfe geworden, auf wel¬ cher Engel spielten -- das Ohr horchte nach Innen. So klagen die Seligen, wenn sie Schmerzen haben! So stürmen die Götter, wenn sie zornig sind, gegen Unsterbliche wie sie. So weinen, lächeln, lieben, bitten und trauern die Engel. Mit wahrer Seelen¬ angst klammerte ich mich an die irdischen Worte fest, damit ich nur den Boden nicht verlor, und von den Geistertönen hinaufgezogen würde. Die Malibran, die hat Gott beurkundet mit der Unterschrift seiner Schöpfung, die kann keiner nachmachen. Es war wie eine Blumenflur von allen milden und stolzen, stillen und hohen, süßen und bittern Gefühlen des Menschen, mit aller Farbenpracht, allen Wohlge¬
Mittwoch, den 26. Januar.
— Das muß einen ganz eignen Grund haben, daß Sie geſtern nicht hier waren, daß Sie nicht den Othello und die Malibran als Desdemona gehört haben! So hart iſt doch Gott ſonſt nicht gegen ſeine guten Kinder. Sie, die Sie das Alles mit hundert Lippen einſaugen, mit hundert Seelen emp¬ finden! Wie wäre Ihnen geworden, da es ſchon mich in ſolche Bewegung ſetzte! War es doch, als wäre das eigne Herz zur Harfe geworden, auf wel¬ cher Engel ſpielten — das Ohr horchte nach Innen. So klagen die Seligen, wenn ſie Schmerzen haben! So ſtürmen die Götter, wenn ſie zornig ſind, gegen Unſterbliche wie ſie. So weinen, lächeln, lieben, bitten und trauern die Engel. Mit wahrer Seelen¬ angſt klammerte ich mich an die irdiſchen Worte feſt, damit ich nur den Boden nicht verlor, und von den Geiſtertönen hinaufgezogen würde. Die Malibran, die hat Gott beurkundet mit der Unterſchrift ſeiner Schöpfung, die kann keiner nachmachen. Es war wie eine Blumenflur von allen milden und ſtolzen, ſtillen und hohen, ſüßen und bittern Gefühlen des Menſchen, mit aller Farbenpracht, allen Wohlge¬
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Mittwoch, den 26. Januar.
— Das muß einen ganz eignen Grund haben,
daß Sie geſtern nicht hier waren, daß Sie nicht den
Othello und die Malibran als Desdemona gehört
haben! So hart iſt doch Gott ſonſt nicht gegen
ſeine guten Kinder. Sie, die Sie das Alles mit
hundert Lippen einſaugen, mit hundert Seelen emp¬
finden! Wie wäre Ihnen geworden, da es ſchon
mich in ſolche Bewegung ſetzte! War es doch, als
wäre das eigne Herz zur Harfe geworden, auf wel¬
cher Engel ſpielten — das Ohr horchte nach Innen.
So klagen die Seligen, wenn ſie Schmerzen haben!
So ſtürmen die Götter, wenn ſie zornig ſind, gegen
Unſterbliche wie ſie. So weinen, lächeln, lieben,
bitten und trauern die Engel. Mit wahrer Seelen¬
angſt klammerte ich mich an die irdiſchen Worte feſt,
damit ich nur den Boden nicht verlor, und von den
Geiſtertönen hinaufgezogen würde. Die Malibran,
die hat Gott beurkundet mit der Unterſchrift ſeiner
Schöpfung, die kann keiner nachmachen. Es war
wie eine Blumenflur von allen milden und ſtolzen,
ſtillen und hohen, ſüßen und bittern Gefühlen des
Menſchen, mit aller Farbenpracht, allen Wohlge¬
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/19>, abgerufen am 22.02.2025.
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