Lachen Sie mich aus! Ich bin gar nicht libe¬ ral mehr, sondern seit gestern Abend ein vollständi¬ ger Narr und lachender Gutheißer. Was gehet mich die Noth der Menschen an, wenn ich froh bin? Was ihre Dummheit, wenn ich selbst klug bin und das Leben genieße! Mögen sie weinen, wenn es singt um mich herum. Ich habe bei den Italienern Rossini's Barbier gehört, und darin Lablache als Figaro, die Malibran als Rosine. Und schlimmer als gehört auch gesehen. Ich war entzückt und bin es noch, daß ich mich todt schämen sollte. Stunde auf Stunde, diese so bittern Pillen unserer Zeit schluckte ich fröhlich hinunter, so vergoldet waren sie mir. Ich dachte nicht mehr an die hessische Con¬ stitution und ließe jede fünf gerade seyn, würde die Lüge immer so gesungen. Welch ein Gesang! Welch
Sechs und zwanzigſter Brief.
Paris, den 16. Januar 1831.
Lachen Sie mich aus! Ich bin gar nicht libe¬ ral mehr, ſondern ſeit geſtern Abend ein vollſtändi¬ ger Narr und lachender Gutheißer. Was gehet mich die Noth der Menſchen an, wenn ich froh bin? Was ihre Dummheit, wenn ich ſelbſt klug bin und das Leben genieße! Mögen ſie weinen, wenn es ſingt um mich herum. Ich habe bei den Italienern Roſſini's Barbier gehört, und darin Lablache als Figaro, die Malibran als Roſine. Und ſchlimmer als gehört auch geſehen. Ich war entzückt und bin es noch, daß ich mich todt ſchämen ſollte. Stunde auf Stunde, dieſe ſo bittern Pillen unſerer Zeit ſchluckte ich fröhlich hinunter, ſo vergoldet waren ſie mir. Ich dachte nicht mehr an die heſſiſche Con¬ ſtitution und ließe jede fünf gerade ſeyn, würde die Lüge immer ſo geſungen. Welch ein Geſang! Welch
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Sechs und zwanzigſter Brief.
Paris, den 16. Januar 1831.
Lachen Sie mich aus! Ich bin gar nicht libe¬
ral mehr, ſondern ſeit geſtern Abend ein vollſtändi¬
ger Narr und lachender Gutheißer. Was gehet mich
die Noth der Menſchen an, wenn ich froh bin?
Was ihre Dummheit, wenn ich ſelbſt klug bin und
das Leben genieße! Mögen ſie weinen, wenn es
ſingt um mich herum. Ich habe bei den Italienern
Roſſini's Barbier gehört, und darin Lablache als
Figaro, die Malibran als Roſine. Und ſchlimmer
als gehört auch geſehen. Ich war entzückt und bin
es noch, daß ich mich todt ſchämen ſollte. Stunde
auf Stunde, dieſe ſo bittern Pillen unſerer Zeit
ſchluckte ich fröhlich hinunter, ſo vergoldet waren ſie
mir. Ich dachte nicht mehr an die heſſiſche Con¬
ſtitution und ließe jede fünf gerade ſeyn, würde die
Lüge immer ſo geſungen. Welch ein Geſang! Welch
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. [198]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/212>, abgerufen am 21.02.2025.
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