Mein Barbier (mein Minister der auswär¬ tigen Angelegenheiten) erzählt mir eben, es sähe schlecht aus in der Stadt. Das Militär und die National-Garden ziehen durch die Straßen. Das Volk schreit vive la ligne! a bas la garde Na¬ tionale! a bas Lafayette! (da sieht man doch ganz deutlich, wie diese Bewegung von den Carlisten an¬ gelegt) la mort des Ministres! vielleicht ist es doch gut für mich, daß ich heute nicht ausgehen kann, und wenn Sie mir versprechen, mir die zwan¬ zig Franken zu erstatten, die mir meine Zahn¬ schmerzen kosten, will ich mit allem zufrieden seyn und Gott preisen. -- Mein heutiger Brief wird auch nicht viel größer werden, als er jetzt schon ist, ich habe keine Geduld zum Schreiben. Ich bin neugierig, was in der Stadt vorgehet, und ärgerlich, daß ich nicht ausgehen kann. -- Wie konnten Sie nur glauben, daß mich Polen nicht interessirt! Das ist ja der Hauptakt der ganzen Tragödie. Ich meine doch, ich hätte Ihnen darüber geschrieben, und ge¬
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Vormittags halb zwölf.
Mein Barbier (mein Miniſter der auswär¬ tigen Angelegenheiten) erzählt mir eben, es ſähe ſchlecht aus in der Stadt. Das Militär und die National-Garden ziehen durch die Straßen. Das Volk ſchreit vive la ligne! à bas la garde Na¬ tionale! à bas Lafayette! (da ſieht man doch ganz deutlich, wie dieſe Bewegung von den Carliſten an¬ gelegt) la mort des Ministres! vielleicht iſt es doch gut für mich, daß ich heute nicht ausgehen kann, und wenn Sie mir verſprechen, mir die zwan¬ zig Franken zu erſtatten, die mir meine Zahn¬ ſchmerzen koſten, will ich mit allem zufrieden ſeyn und Gott preiſen. — Mein heutiger Brief wird auch nicht viel größer werden, als er jetzt ſchon iſt, ich habe keine Geduld zum Schreiben. Ich bin neugierig, was in der Stadt vorgehet, und ärgerlich, daß ich nicht ausgehen kann. — Wie konnten Sie nur glauben, daß mich Polen nicht intereſſirt! Das iſt ja der Hauptakt der ganzen Tragödie. Ich meine doch, ich hätte Ihnen darüber geſchrieben, und ge¬
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Vormittags halb zwölf.
Mein Barbier (mein Miniſter der auswär¬
tigen Angelegenheiten) erzählt mir eben, es ſähe
ſchlecht aus in der Stadt. Das Militär und die
National-Garden ziehen durch die Straßen. Das
Volk ſchreit vive la ligne! à bas la garde Na¬
tionale! à bas Lafayette! (da ſieht man doch ganz
deutlich, wie dieſe Bewegung von den Carliſten an¬
gelegt) la mort des Ministres! vielleicht iſt es
doch gut für mich, daß ich heute nicht ausgehen
kann, und wenn Sie mir verſprechen, mir die zwan¬
zig Franken zu erſtatten, die mir meine Zahn¬
ſchmerzen koſten, will ich mit allem zufrieden ſeyn
und Gott preiſen. — Mein heutiger Brief wird
auch nicht viel größer werden, als er jetzt ſchon iſt,
ich habe keine Geduld zum Schreiben. Ich bin
neugierig, was in der Stadt vorgehet, und ärgerlich,
daß ich nicht ausgehen kann. — Wie konnten Sie
nur glauben, daß mich Polen nicht intereſſirt! Das
iſt ja der Hauptakt der ganzen Tragödie. Ich meine
doch, ich hätte Ihnen darüber geſchrieben, und ge¬
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/159>, abgerufen am 21.02.2025.
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