Mit Belgien, denke ich, wird sich alles fried¬ lich beilegen. Die großen Mächte haben seine Un¬ abhängigkeit bereits anerkannt, und dem Gedanken entsagt, ihm dem Prinzen von Oranien aufzudrin¬ gen. Nur das Eine wird verlangt, daß es sich zu keiner Republik mache. Die meisten, wenigstens die einflußreichsten Belgier, sollen freilich für die republikanische Regierungsform gestimmt seyn; sie werden aber nachgeben müssen. Ich wollte, sie gäben nicht nach. Zwar halte ich eine Republik weder Belgien, noch einem andern Lande unsers entnervten Welttheils zuträglich; doch wäre das an deutscher Grenze von großem Vortheile; es würde unseren Absolutismus etwas geschmeidiger machen. Die Furcht ist die beste Gouvernante der Fürsten, die einzige, der sie gehorchen. Die Furcht muß Deutschlands Grenze bilden, oder alle Hoffnung ist aufzugeben. Auf Talleyrand in London setze ich großes Zutrauen, und ich lasse mich hierin von den Pariser Manieristen nicht irre machen. Er setzt bestimmt alles durch; denn er ist der einzige Staats¬ mann, der keine Leidenschaften und kein System hat und darum die Verhältnisse klar erkennt, wie sie sind. Er wußte die Fehler der Andern immer sehr gut zu benutzen, und an Fehlern wird es auch diesmal nicht
Dienſtag, den 16. November.
Mit Belgien, denke ich, wird ſich alles fried¬ lich beilegen. Die großen Mächte haben ſeine Un¬ abhängigkeit bereits anerkannt, und dem Gedanken entſagt, ihm dem Prinzen von Oranien aufzudrin¬ gen. Nur das Eine wird verlangt, daß es ſich zu keiner Republik mache. Die meiſten, wenigſtens die einflußreichſten Belgier, ſollen freilich für die republikaniſche Regierungsform geſtimmt ſeyn; ſie werden aber nachgeben müſſen. Ich wollte, ſie gäben nicht nach. Zwar halte ich eine Republik weder Belgien, noch einem andern Lande unſers entnervten Welttheils zuträglich; doch wäre das an deutſcher Grenze von großem Vortheile; es würde unſeren Abſolutismus etwas geſchmeidiger machen. Die Furcht iſt die beſte Gouvernante der Fürſten, die einzige, der ſie gehorchen. Die Furcht muß Deutſchlands Grenze bilden, oder alle Hoffnung iſt aufzugeben. Auf Talleyrand in London ſetze ich großes Zutrauen, und ich laſſe mich hierin von den Pariſer Manieriſten nicht irre machen. Er ſetzt beſtimmt alles durch; denn er iſt der einzige Staats¬ mann, der keine Leidenſchaften und kein Syſtem hat und darum die Verhältniſſe klar erkennt, wie ſie ſind. Er wußte die Fehler der Andern immer ſehr gut zu benutzen, und an Fehlern wird es auch diesmal nicht
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Dienſtag, den 16. November.
Mit Belgien, denke ich, wird ſich alles fried¬
lich beilegen. Die großen Mächte haben ſeine Un¬
abhängigkeit bereits anerkannt, und dem Gedanken
entſagt, ihm dem Prinzen von Oranien aufzudrin¬
gen. Nur das Eine wird verlangt, daß es ſich
zu keiner Republik mache. Die meiſten, wenigſtens
die einflußreichſten Belgier, ſollen freilich für die
republikaniſche Regierungsform geſtimmt ſeyn; ſie
werden aber nachgeben müſſen. Ich wollte, ſie
gäben nicht nach. Zwar halte ich eine Republik
weder Belgien, noch einem andern Lande unſers
entnervten Welttheils zuträglich; doch wäre das an
deutſcher Grenze von großem Vortheile; es würde
unſeren Abſolutismus etwas geſchmeidiger machen.
Die Furcht iſt die beſte Gouvernante der Fürſten,
die einzige, der ſie gehorchen. Die Furcht muß
Deutſchlands Grenze bilden, oder alle Hoffnung iſt
aufzugeben. Auf Talleyrand in London ſetze ich
großes Zutrauen, und ich laſſe mich hierin von den
Pariſer Manieriſten nicht irre machen. Er ſetzt
beſtimmt alles durch; denn er iſt der einzige Staats¬
mann, der keine Leidenſchaften und kein Syſtem hat
und darum die Verhältniſſe klar erkennt, wie ſie ſind.
Er wußte die Fehler der Andern immer ſehr gut zu
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/109>, abgerufen am 21.02.2025.
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