Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Die Angriffswaffen.
nicht selten von Metall, doch der grössten Mehrzahl nach aus Holz
gefertigt und mit Leder oder Haut überzogen. In Deutschland war
es Sitte, wie die Schilde an der oberen Seite, auch die Köcher mit
Pelzwerk zu überziehen; derlei Köcher werden "Rauchköcher"
benannt. Die älteste bis jetzt bekannte Form eines Köchers erblickt
man in einem Basrelief des 4. Jahrhunderts (Fig. 480). Wie man
daraus erkennen kann, haben sich die Formen in den späteren Jahr-
hunderten im allgemeinen nur unwesentlich geändert. Die für dieses
Gerät charakteristischsten Formen bringen wir in nebenstehenden
Figuren. (Fig. 508, 509, 510.)



4. Die Feuerwaffen.

Wie wir in der Darstellung der Entwickelung des Waffenwesens
(S. Seite 13) bereits auseinandergesetzt haben, währte es Jahrhunderte,
bis die seit langer Zeit bekannte Sprengkraft des Schiesspulvers für
Kriegszwecke ausgenutzt wurde und der gegen das Feuergewehr ge-
richtete tiefe Widerwille des Kriegers, der bislang mit seiner Körper-
kraft und seiner Gewandtheit für sich selbst wie ein Held einstand,
durch die Macht der Thatsachen überwunden worden war.

Die Entdeckung der explosiven Kraft des Pulvers hatte zunächst
keine Bewunderer gefunden und die Kunde von ihr sich scheu in
in die Gelehrtenstuben, in die Mönchszellen zurückgezogen, wo sie
als Geheimnis der Alchimisten bis um die Mitte des 13. Jahrhunderts
bewahrt blieb. Es ist bezeichnend, dass es kein abendländisches Volk
war, dass das Schiesspulver in Europa zuerst für Kriegszwecke ver-
wendete, sondern ein asiatisches: die Tartaren, deren Begriffe vom
Heldentum wesentlich anders als die abendländischen geartet waren.
Im Gefühl ihrer Schwäche sahen sie sich veranlasst, das Missverhältnis
der Kräfte durch eine wesentliche Verstärkung der Waffenwirkung
auszugleichen und gaben so, ohne es zu wollen, den Anstoss zu dem
ungeheuren Umschwunge in der Kriegführung, der noch zur Stunde
nicht an seinem Zielpunkte angelangt ist. Genau dieselbe widerwillige
Empfindung hatte einst der Bogen und später die Armrust zu über-
winden gehabt; auch sie stehen im Widerspruche mit dem Begriffe des
persönlichen Heldentums, der bei dem Adel des Mittelalters geltenden
Ritterlichkeit. Indes waren die Vorzüge der neuen Kampfmittel für
den Schwachen, ebenso wie für den Eroberer zu verführerisch, als
dass nicht allmählich die alten Grundsätze preisgegeben worden wären,
wenn es galt, die Existenz zu retten oder einem feindlichen Nachbar
den eigenen Willen aufzuzwingen.


II. Die Angriffswaffen.
nicht selten von Metall, doch der gröſsten Mehrzahl nach aus Holz
gefertigt und mit Leder oder Haut überzogen. In Deutschland war
es Sitte, wie die Schilde an der oberen Seite, auch die Köcher mit
Pelzwerk zu überziehen; derlei Köcher werden „Rauchköcher
benannt. Die älteste bis jetzt bekannte Form eines Köchers erblickt
man in einem Basrelief des 4. Jahrhunderts (Fig. 480). Wie man
daraus erkennen kann, haben sich die Formen in den späteren Jahr-
hunderten im allgemeinen nur unwesentlich geändert. Die für dieses
Gerät charakteristischsten Formen bringen wir in nebenstehenden
Figuren. (Fig. 508, 509, 510.)



4. Die Feuerwaffen.

Wie wir in der Darstellung der Entwickelung des Waffenwesens
(S. Seite 13) bereits auseinandergesetzt haben, währte es Jahrhunderte,
bis die seit langer Zeit bekannte Sprengkraft des Schieſspulvers für
Kriegszwecke ausgenutzt wurde und der gegen das Feuergewehr ge-
richtete tiefe Widerwille des Kriegers, der bislang mit seiner Körper-
kraft und seiner Gewandtheit für sich selbst wie ein Held einstand,
durch die Macht der Thatsachen überwunden worden war.

Die Entdeckung der explosiven Kraft des Pulvers hatte zunächst
keine Bewunderer gefunden und die Kunde von ihr sich scheu in
in die Gelehrtenstuben, in die Mönchszellen zurückgezogen, wo sie
als Geheimnis der Alchimisten bis um die Mitte des 13. Jahrhunderts
bewahrt blieb. Es ist bezeichnend, daſs es kein abendländisches Volk
war, daſs das Schieſspulver in Europa zuerst für Kriegszwecke ver-
wendete, sondern ein asiatisches: die Tartaren, deren Begriffe vom
Heldentum wesentlich anders als die abendländischen geartet waren.
Im Gefühl ihrer Schwäche sahen sie sich veranlaſst, das Miſsverhältnis
der Kräfte durch eine wesentliche Verstärkung der Waffenwirkung
auszugleichen und gaben so, ohne es zu wollen, den Anstoſs zu dem
ungeheuren Umschwunge in der Kriegführung, der noch zur Stunde
nicht an seinem Zielpunkte angelangt ist. Genau dieselbe widerwillige
Empfindung hatte einst der Bogen und später die Armrust zu über-
winden gehabt; auch sie stehen im Widerspruche mit dem Begriffe des
persönlichen Heldentums, der bei dem Adel des Mittelalters geltenden
Ritterlichkeit. Indes waren die Vorzüge der neuen Kampfmittel für
den Schwachen, ebenso wie für den Eroberer zu verführerisch, als
daſs nicht allmählich die alten Grundsätze preisgegeben worden wären,
wenn es galt, die Existenz zu retten oder einem feindlichen Nachbar
den eigenen Willen aufzuzwingen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0448" n="430"/><fw place="top" type="header">II. Die Angriffswaffen.</fw><lb/>
nicht selten von Metall, doch der grö&#x017F;sten Mehrzahl nach aus Holz<lb/>
gefertigt und mit Leder oder Haut überzogen. In Deutschland war<lb/>
es Sitte, wie die Schilde an der oberen Seite, auch die Köcher mit<lb/>
Pelzwerk zu überziehen; derlei Köcher werden &#x201E;<hi rendition="#g">Rauchköcher</hi>&#x201C;<lb/>
benannt. Die älteste bis jetzt bekannte Form eines Köchers erblickt<lb/>
man in einem Basrelief des 4. Jahrhunderts (Fig. 480). Wie man<lb/>
daraus erkennen kann, haben sich die Formen in den späteren Jahr-<lb/>
hunderten im allgemeinen nur unwesentlich geändert. Die für dieses<lb/>
Gerät charakteristischsten Formen bringen wir in nebenstehenden<lb/>
Figuren. (Fig. 508, 509, 510.)</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">4. Die Feuerwaffen.</hi> </head><lb/>
            <p>Wie wir in der Darstellung der Entwickelung des Waffenwesens<lb/>
(S. Seite 13) bereits auseinandergesetzt haben, währte es Jahrhunderte,<lb/>
bis die seit langer Zeit bekannte Sprengkraft des Schie&#x017F;spulvers für<lb/>
Kriegszwecke ausgenutzt wurde und der gegen das Feuergewehr ge-<lb/>
richtete tiefe Widerwille des Kriegers, der bislang mit seiner Körper-<lb/>
kraft und seiner Gewandtheit für sich selbst wie ein Held einstand,<lb/>
durch die Macht der Thatsachen überwunden worden war.</p><lb/>
            <p>Die Entdeckung der explosiven Kraft des Pulvers hatte zunächst<lb/>
keine Bewunderer gefunden und die Kunde von ihr sich scheu in<lb/>
in die Gelehrtenstuben, in die Mönchszellen zurückgezogen, wo sie<lb/>
als Geheimnis der Alchimisten bis um die Mitte des 13. Jahrhunderts<lb/>
bewahrt blieb. Es ist bezeichnend, da&#x017F;s es kein abendländisches Volk<lb/>
war, da&#x017F;s das Schie&#x017F;spulver in Europa zuerst für Kriegszwecke ver-<lb/>
wendete, sondern ein asiatisches: die Tartaren, deren Begriffe vom<lb/>
Heldentum wesentlich anders als die abendländischen geartet waren.<lb/>
Im Gefühl ihrer Schwäche sahen sie sich veranla&#x017F;st, das Mi&#x017F;sverhältnis<lb/>
der Kräfte durch eine wesentliche Verstärkung der Waffenwirkung<lb/>
auszugleichen und gaben so, ohne es zu wollen, den Ansto&#x017F;s zu dem<lb/>
ungeheuren Umschwunge in der Kriegführung, der noch zur Stunde<lb/>
nicht an seinem Zielpunkte angelangt ist. Genau dieselbe widerwillige<lb/>
Empfindung hatte einst der Bogen und später die Armrust zu über-<lb/>
winden gehabt; auch sie stehen im Widerspruche mit dem Begriffe des<lb/>
persönlichen Heldentums, der bei dem Adel des Mittelalters geltenden<lb/>
Ritterlichkeit. Indes waren die Vorzüge der neuen Kampfmittel für<lb/>
den Schwachen, ebenso wie für den Eroberer zu verführerisch, als<lb/>
da&#x017F;s nicht allmählich die alten Grundsätze preisgegeben worden wären,<lb/>
wenn es galt, die Existenz zu retten oder einem feindlichen Nachbar<lb/>
den eigenen Willen aufzuzwingen.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[430/0448] II. Die Angriffswaffen. nicht selten von Metall, doch der gröſsten Mehrzahl nach aus Holz gefertigt und mit Leder oder Haut überzogen. In Deutschland war es Sitte, wie die Schilde an der oberen Seite, auch die Köcher mit Pelzwerk zu überziehen; derlei Köcher werden „Rauchköcher“ benannt. Die älteste bis jetzt bekannte Form eines Köchers erblickt man in einem Basrelief des 4. Jahrhunderts (Fig. 480). Wie man daraus erkennen kann, haben sich die Formen in den späteren Jahr- hunderten im allgemeinen nur unwesentlich geändert. Die für dieses Gerät charakteristischsten Formen bringen wir in nebenstehenden Figuren. (Fig. 508, 509, 510.) 4. Die Feuerwaffen. Wie wir in der Darstellung der Entwickelung des Waffenwesens (S. Seite 13) bereits auseinandergesetzt haben, währte es Jahrhunderte, bis die seit langer Zeit bekannte Sprengkraft des Schieſspulvers für Kriegszwecke ausgenutzt wurde und der gegen das Feuergewehr ge- richtete tiefe Widerwille des Kriegers, der bislang mit seiner Körper- kraft und seiner Gewandtheit für sich selbst wie ein Held einstand, durch die Macht der Thatsachen überwunden worden war. Die Entdeckung der explosiven Kraft des Pulvers hatte zunächst keine Bewunderer gefunden und die Kunde von ihr sich scheu in in die Gelehrtenstuben, in die Mönchszellen zurückgezogen, wo sie als Geheimnis der Alchimisten bis um die Mitte des 13. Jahrhunderts bewahrt blieb. Es ist bezeichnend, daſs es kein abendländisches Volk war, daſs das Schieſspulver in Europa zuerst für Kriegszwecke ver- wendete, sondern ein asiatisches: die Tartaren, deren Begriffe vom Heldentum wesentlich anders als die abendländischen geartet waren. Im Gefühl ihrer Schwäche sahen sie sich veranlaſst, das Miſsverhältnis der Kräfte durch eine wesentliche Verstärkung der Waffenwirkung auszugleichen und gaben so, ohne es zu wollen, den Anstoſs zu dem ungeheuren Umschwunge in der Kriegführung, der noch zur Stunde nicht an seinem Zielpunkte angelangt ist. Genau dieselbe widerwillige Empfindung hatte einst der Bogen und später die Armrust zu über- winden gehabt; auch sie stehen im Widerspruche mit dem Begriffe des persönlichen Heldentums, der bei dem Adel des Mittelalters geltenden Ritterlichkeit. Indes waren die Vorzüge der neuen Kampfmittel für den Schwachen, ebenso wie für den Eroberer zu verführerisch, als daſs nicht allmählich die alten Grundsätze preisgegeben worden wären, wenn es galt, die Existenz zu retten oder einem feindlichen Nachbar den eigenen Willen aufzuzwingen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/448
Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/448>, abgerufen am 21.12.2024.