Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite
Arion, eine poet. Erzehlung.


Arion
Eine poetische Erzehlung.

DJe Schiffer empfiengen den Wind mit
fröhlichem Gejauchze, die aufgeschwelleten
Segel trugen das Schiff pfeilgeschwin-
de durch die flache See weg, der starcke Mast bog
sich, längst hatte sich der gellende Klang verlohren,
der abwechselend kam, verschwand, und bald et-
was schwächer unsre Fahrenden erreichte, und der
ihnen von tausend Zungen nachgeschickt ward, die
mit unverständlichem Gemische Glück und Arion
erthönen liessen, die versengten Spitzen des Aetna
wurden gantz blau, und vermischten sich mit den
Wolcken: Als Arion, der zwar über den innigen
Abschied seiner Freunde einige Bitterkeit im Her-
zen fühlte, sich aber mit dem nahen Anblicke sei-
nes Corinthens allen Unmuth vertrieb, auf das
Oberdach des Schiffes hinauf stieg. Er satzte sich
ohnweit von dem Orte, wo das goldene Geräthe
lag, welches ihm der bezaubernde Ton seiner
Leyer durch das fruchtbare Jtalien, und das ange-
nehme Sicilien erworben hatte. Hier stämmete
er sich auf seinen Arm, und betrachtete ein Stü-
ke nach dem andern; Ringe, darinn Rubinen brann-
ten, Saphire, die das klare Grüne des Meeres
nachmahleten, wenn überher der blaue Himmel
lächelt, oder den Schmuck, den Flora der jun-
gen Erde umschürzet, wo der fette Klee, und die

braune
E 4
Arion, eine poet. Erzehlung.


Arion
Eine poetiſche Erzehlung.

DJe Schiffer empfiengen den Wind mit
froͤhlichem Gejauchze, die aufgeſchwelleten
Segel trugen das Schiff pfeilgeſchwin-
de durch die flache See weg, der ſtarcke Maſt bog
ſich, laͤngſt hatte ſich der gellende Klang verlohren,
der abwechſelend kam, verſchwand, und bald et-
was ſchwaͤcher unſre Fahrenden erreichte, und der
ihnen von tauſend Zungen nachgeſchickt ward, die
mit unverſtaͤndlichem Gemiſche Gluͤck und Arion
erthoͤnen lieſſen, die verſengten Spitzen des Aetna
wurden gantz blau, und vermiſchten ſich mit den
Wolcken: Als Arion, der zwar uͤber den innigen
Abſchied ſeiner Freunde einige Bitterkeit im Her-
zen fuͤhlte, ſich aber mit dem nahen Anblicke ſei-
nes Corinthens allen Unmuth vertrieb, auf das
Oberdach des Schiffes hinauf ſtieg. Er ſatzte ſich
ohnweit von dem Orte, wo das goldene Geraͤthe
lag, welches ihm der bezaubernde Ton ſeiner
Leyer durch das fruchtbare Jtalien, und das ange-
nehme Sicilien erworben hatte. Hier ſtaͤmmete
er ſich auf ſeinen Arm, und betrachtete ein Stuͤ-
ke nach dem andern; Ringe, darinn Rubinen brann-
ten, Saphire, die das klare Gruͤne des Meeres
nachmahleten, wenn uͤberher der blaue Himmel
laͤchelt, oder den Schmuck, den Flora der jun-
gen Erde umſchuͤrzet, wo der fette Klee, und die

braune
E 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0073" n="71"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Arion, eine poet. Erzehlung.</hi> </fw><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Arion</hi></hi><lb/>
Eine poeti&#x017F;che Erzehlung.</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">D</hi>Je Schiffer empfiengen den Wind mit<lb/>
fro&#x0364;hlichem Gejauchze, die aufge&#x017F;chwelleten<lb/>
Segel trugen das Schiff pfeilge&#x017F;chwin-<lb/>
de durch die flache See weg, der &#x017F;tarcke Ma&#x017F;t bog<lb/>
&#x017F;ich, la&#x0364;ng&#x017F;t hatte &#x017F;ich der gellende Klang verlohren,<lb/>
der abwech&#x017F;elend kam, ver&#x017F;chwand, und bald et-<lb/>
was &#x017F;chwa&#x0364;cher un&#x017F;re Fahrenden erreichte, und der<lb/>
ihnen von tau&#x017F;end Zungen nachge&#x017F;chickt ward, die<lb/>
mit unver&#x017F;ta&#x0364;ndlichem Gemi&#x017F;che Glu&#x0364;ck und Arion<lb/>
ertho&#x0364;nen lie&#x017F;&#x017F;en, die ver&#x017F;engten Spitzen des Aetna<lb/>
wurden gantz blau, und vermi&#x017F;chten &#x017F;ich mit den<lb/>
Wolcken: Als Arion, der zwar u&#x0364;ber den innigen<lb/>
Ab&#x017F;chied &#x017F;einer Freunde einige Bitterkeit im Her-<lb/>
zen fu&#x0364;hlte, &#x017F;ich aber mit dem nahen Anblicke &#x017F;ei-<lb/>
nes Corinthens allen Unmuth vertrieb, auf das<lb/>
Oberdach des Schiffes hinauf &#x017F;tieg. Er &#x017F;atzte &#x017F;ich<lb/>
ohnweit von dem Orte, wo das goldene Gera&#x0364;the<lb/>
lag, welches ihm der bezaubernde Ton &#x017F;einer<lb/>
Leyer durch das fruchtbare Jtalien, und das ange-<lb/>
nehme Sicilien erworben hatte. Hier &#x017F;ta&#x0364;mmete<lb/>
er &#x017F;ich auf &#x017F;einen Arm, und betrachtete ein Stu&#x0364;-<lb/>
ke nach dem andern; Ringe, darinn Rubinen brann-<lb/>
ten, Saphire, die das klare Gru&#x0364;ne des Meeres<lb/>
nachmahleten, wenn u&#x0364;berher der blaue Himmel<lb/>
la&#x0364;chelt, oder den Schmuck, den Flora der jun-<lb/>
gen Erde um&#x017F;chu&#x0364;rzet, wo der fette Klee, und die<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 4</fw><fw place="bottom" type="catch">braune</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0073] Arion, eine poet. Erzehlung. Arion Eine poetiſche Erzehlung. DJe Schiffer empfiengen den Wind mit froͤhlichem Gejauchze, die aufgeſchwelleten Segel trugen das Schiff pfeilgeſchwin- de durch die flache See weg, der ſtarcke Maſt bog ſich, laͤngſt hatte ſich der gellende Klang verlohren, der abwechſelend kam, verſchwand, und bald et- was ſchwaͤcher unſre Fahrenden erreichte, und der ihnen von tauſend Zungen nachgeſchickt ward, die mit unverſtaͤndlichem Gemiſche Gluͤck und Arion erthoͤnen lieſſen, die verſengten Spitzen des Aetna wurden gantz blau, und vermiſchten ſich mit den Wolcken: Als Arion, der zwar uͤber den innigen Abſchied ſeiner Freunde einige Bitterkeit im Her- zen fuͤhlte, ſich aber mit dem nahen Anblicke ſei- nes Corinthens allen Unmuth vertrieb, auf das Oberdach des Schiffes hinauf ſtieg. Er ſatzte ſich ohnweit von dem Orte, wo das goldene Geraͤthe lag, welches ihm der bezaubernde Ton ſeiner Leyer durch das fruchtbare Jtalien, und das ange- nehme Sicilien erworben hatte. Hier ſtaͤmmete er ſich auf ſeinen Arm, und betrachtete ein Stuͤ- ke nach dem andern; Ringe, darinn Rubinen brann- ten, Saphire, die das klare Gruͤne des Meeres nachmahleten, wenn uͤberher der blaue Himmel laͤchelt, oder den Schmuck, den Flora der jun- gen Erde umſchuͤrzet, wo der fette Klee, und die braune E 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung11_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung11_1743/73
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung11_1743/73>, abgerufen am 21.11.2024.