Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 4. Zürich, 1742.

Bild:
<< vorherige Seite
Grundriß
Zum sechsten Buche.

Neben andern anständigen Geschäften, wel-
che der Poet vor die Eingeschifften erfinden muß,
damit die Handlung nicht aufhöre, oder ein Sprung
müsse gemachet werden, gefällt mir auch die Er-
klärung der Schilder- und Bilderarbeit, in wel-
cher die Geschichte der Menschen nach der Sünd-
flut durch eine englische Arbeit vorgestellt worden.
Diese Erfindung dienete statt derjenigen, da Vir-
gil die Helden der Stadt Rom in dem Stand ei-
ner gewissen Vorexistentz aufgeführet, u. daher An-
laß genommen hat, die Geschichten der Nachkom-
men seines Helden vor der Hand zu erzehlen. Sie
ist Miltons Erdichtung nicht ungleich, da er die
Kirchengeschichte in Gesichtern vorgestellet hat.
An diesem Orte wird man dichten müssen, daß
dem Noah einige Offenbarung von den Nahmen
und andern Dingen geschehen, welche sich nicht
durch den Pinsel oder Grabstichel vorstellig ma-
chen lassen, damit er sie hernach seinen Kindern
erklären könne. Diese vorgestellten Geschichten rich-
ten zugleich die halbzweifelnden Hertzen der Kinder
Noah wieder auf. Auf eine andere Weise könn-
te man Japhets Weib beschäftigen, wann man
sie den Zustand ihres Hertzens, als sie zum er-
sten mal den Japhet gesehen, demselben erzehlen
liesse. Das wäre ein Stück von der Art, wie der
Eva Erzehlung von der ersten Erblickung Adams
im Milton. Die Besichtigung des Geräthes
und der Kunstwercke der ersten Welt, so sie mit
in das Schiff gebracht, und die Beschreibung
ihres Gebrauches, könnten hier auch einen gehöri-
gen Platz bekommen.

Zum
Grundriß
Zum ſechsten Buche.

Neben andern anſtaͤndigen Geſchaͤften, wel-
che der Poet vor die Eingeſchifften erfinden muß,
damit die Handlung nicht aufhoͤre, oder ein Sprung
muͤſſe gemachet werden, gefaͤllt mir auch die Er-
klaͤrung der Schilder- und Bilderarbeit, in wel-
cher die Geſchichte der Menſchen nach der Suͤnd-
flut durch eine engliſche Arbeit vorgeſtellt worden.
Dieſe Erfindung dienete ſtatt derjenigen, da Vir-
gil die Helden der Stadt Rom in dem Stand ei-
ner gewiſſen Vorexiſtentz aufgefuͤhret, u. daher An-
laß genommen hat, die Geſchichten der Nachkom-
men ſeines Helden vor der Hand zu erzehlen. Sie
iſt Miltons Erdichtung nicht ungleich, da er die
Kirchengeſchichte in Geſichtern vorgeſtellet hat.
An dieſem Orte wird man dichten muͤſſen, daß
dem Noah einige Offenbarung von den Nahmen
und andern Dingen geſchehen, welche ſich nicht
durch den Pinſel oder Grabſtichel vorſtellig ma-
chen laſſen, damit er ſie hernach ſeinen Kindern
erklaͤren koͤnne. Dieſe vorgeſtellten Geſchichten rich-
ten zugleich die halbzweifelnden Hertzen der Kinder
Noah wieder auf. Auf eine andere Weiſe koͤnn-
te man Japhets Weib beſchaͤftigen, wann man
ſie den Zuſtand ihres Hertzens, als ſie zum er-
ſten mal den Japhet geſehen, demſelben erzehlen
lieſſe. Das waͤre ein Stuͤck von der Art, wie der
Eva Erzehlung von der erſten Erblickung Adams
im Milton. Die Beſichtigung des Geraͤthes
und der Kunſtwercke der erſten Welt, ſo ſie mit
in das Schiff gebracht, und die Beſchreibung
ihres Gebrauches, koͤnnten hier auch einen gehoͤri-
gen Platz bekommen.

Zum
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0018" n="16"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Grundriß</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head>Zum &#x017F;echsten Buche.</head><lb/>
          <p>Neben andern an&#x017F;ta&#x0364;ndigen Ge&#x017F;cha&#x0364;ften, wel-<lb/>
che der Poet vor die Einge&#x017F;chifften erfinden muß,<lb/>
damit die Handlung nicht aufho&#x0364;re, oder ein Sprung<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e gemachet werden, gefa&#x0364;llt mir auch die Er-<lb/>
kla&#x0364;rung der Schilder- und Bilderarbeit, in wel-<lb/>
cher die Ge&#x017F;chichte der Men&#x017F;chen nach der Su&#x0364;nd-<lb/>
flut durch eine engli&#x017F;che Arbeit vorge&#x017F;tellt worden.<lb/>
Die&#x017F;e Erfindung dienete &#x017F;tatt derjenigen, da Vir-<lb/>
gil die Helden der Stadt Rom in dem Stand ei-<lb/>
ner gewi&#x017F;&#x017F;en Vorexi&#x017F;tentz aufgefu&#x0364;hret, u. daher An-<lb/>
laß genommen hat, die Ge&#x017F;chichten der Nachkom-<lb/>
men &#x017F;eines Helden vor der Hand zu erzehlen. Sie<lb/>
i&#x017F;t Miltons Erdichtung nicht ungleich, da er die<lb/>
Kirchenge&#x017F;chichte in Ge&#x017F;ichtern vorge&#x017F;tellet hat.<lb/>
An die&#x017F;em Orte wird man dichten mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, daß<lb/>
dem Noah einige Offenbarung von den Nahmen<lb/>
und andern Dingen ge&#x017F;chehen, welche &#x017F;ich nicht<lb/>
durch den Pin&#x017F;el oder Grab&#x017F;tichel vor&#x017F;tellig ma-<lb/>
chen la&#x017F;&#x017F;en, damit er &#x017F;ie hernach &#x017F;einen Kindern<lb/>
erkla&#x0364;ren ko&#x0364;nne. Die&#x017F;e vorge&#x017F;tellten Ge&#x017F;chichten rich-<lb/>
ten zugleich die halbzweifelnden Hertzen der Kinder<lb/>
Noah wieder auf. Auf eine andere Wei&#x017F;e ko&#x0364;nn-<lb/>
te man Japhets Weib be&#x017F;cha&#x0364;ftigen, wann man<lb/>
&#x017F;ie den Zu&#x017F;tand ihres Hertzens, als &#x017F;ie zum er-<lb/>
&#x017F;ten mal den Japhet ge&#x017F;ehen, dem&#x017F;elben erzehlen<lb/>
lie&#x017F;&#x017F;e. Das wa&#x0364;re ein Stu&#x0364;ck von der Art, wie der<lb/>
Eva Erzehlung von der er&#x017F;ten Erblickung Adams<lb/>
im Milton. Die Be&#x017F;ichtigung des Gera&#x0364;thes<lb/>
und der Kun&#x017F;twercke der er&#x017F;ten Welt, &#x017F;o &#x017F;ie mit<lb/>
in das Schiff gebracht, und die Be&#x017F;chreibung<lb/>
ihres Gebrauches, ko&#x0364;nnten hier auch einen geho&#x0364;ri-<lb/>
gen Platz bekommen.</p>
        </div><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Zum</fw><lb/>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[16/0018] Grundriß Zum ſechsten Buche. Neben andern anſtaͤndigen Geſchaͤften, wel- che der Poet vor die Eingeſchifften erfinden muß, damit die Handlung nicht aufhoͤre, oder ein Sprung muͤſſe gemachet werden, gefaͤllt mir auch die Er- klaͤrung der Schilder- und Bilderarbeit, in wel- cher die Geſchichte der Menſchen nach der Suͤnd- flut durch eine engliſche Arbeit vorgeſtellt worden. Dieſe Erfindung dienete ſtatt derjenigen, da Vir- gil die Helden der Stadt Rom in dem Stand ei- ner gewiſſen Vorexiſtentz aufgefuͤhret, u. daher An- laß genommen hat, die Geſchichten der Nachkom- men ſeines Helden vor der Hand zu erzehlen. Sie iſt Miltons Erdichtung nicht ungleich, da er die Kirchengeſchichte in Geſichtern vorgeſtellet hat. An dieſem Orte wird man dichten muͤſſen, daß dem Noah einige Offenbarung von den Nahmen und andern Dingen geſchehen, welche ſich nicht durch den Pinſel oder Grabſtichel vorſtellig ma- chen laſſen, damit er ſie hernach ſeinen Kindern erklaͤren koͤnne. Dieſe vorgeſtellten Geſchichten rich- ten zugleich die halbzweifelnden Hertzen der Kinder Noah wieder auf. Auf eine andere Weiſe koͤnn- te man Japhets Weib beſchaͤftigen, wann man ſie den Zuſtand ihres Hertzens, als ſie zum er- ſten mal den Japhet geſehen, demſelben erzehlen lieſſe. Das waͤre ein Stuͤck von der Art, wie der Eva Erzehlung von der erſten Erblickung Adams im Milton. Die Beſichtigung des Geraͤthes und der Kunſtwercke der erſten Welt, ſo ſie mit in das Schiff gebracht, und die Beſchreibung ihres Gebrauches, koͤnnten hier auch einen gehoͤri- gen Platz bekommen. Zum

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung04_1742
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung04_1742/18
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 4. Zürich, 1742, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung04_1742/18>, abgerufen am 22.12.2024.