Stat tritt. Aber immerhin ist die Fortdauer und Wirksamkeit solcher persönlichen Rechte mehr gefährdet als die der örtlichen Rechte, weil die persönlichen Verhältnisse von der politischen Umgestaltung leichter erfaßt und gewandelt werden als bloße örtliche Einrichtungen.
48.
Dagegen gehen keineswegs alle vertragsmäßigen Rechte und Ver- bindlichkeiten eines States gegenüber andern Staten von Rechts wegen, weder im Ganzen noch im Verhältniß der Ausdehnung des Gebietes oder der Volkszahl auf den abgetrennten Theil über, wenn gleich dieser Theil nun zu einem selbständigen neuen State geworden ist. Die alte Vertrags- person bleibt berechtigt und verpflichtet, der neue Stat ist weder Ver- tragsperson, noch Nachfolger jener Vertragsperson.
Z. B. Die Vereinigten Staten von Nordamerika sind nicht in alle Vertragsverhältnisse von Rechts wegen eingetreten, welche von den Königen von England zu der Zeit mit fremden Staten abgeschlossen worden waren, als die nordamerikanischen Colonien noch einen Theil des englischen Reiches bildeten. Ebenso tritt das Königreich Italien nicht ohne weiters in die sämmtlichen Vertragsver- hältnisse Oesterreichs mit andern Staten ein, an welchen auch die norditalienischen Provinzen mittelbar Theil hatten, so lange sie zu Oesterreich gehörten, sondern nur in diejenigen, welche sich örtlich auf die Lombardei oder auf Venedig insbesondere bezogen, wie z. B. die Lombardische und Venetianische Schuld.
49.
Zerfällt ein Stat in zwei oder mehrere neue Staten, von denen keiner als die Fortsetzung des alten States zu betrachten ist, so ist der alte Gesammtstat untergegangen und es treten die neuen Staten als neue Personen an seine Stelle.
Neuere Beispiele sind die Auflösung des römischen Reiches deutscher Nation in eine Anzahl souveräner deutscher Staten 1805 und 1806, die Theilung des Cantons Basel in die Halbcantone Baselstadt und Baselland, 1833. Das Beispiel der Theilung der Vereinigten Niederlande in die Königreiche Hol- land und Belgien 1831 gehört theilweise auch hieher, obwohl in gewissem Sinne die Niederlande in Holland vorzugsweise fortdauerten, namentlich im Verhältniß zu den Colonien.
50.
Wird ein bisheriger Stat einem andern State einverleibt, so geht zwar jener Stat unter, aber sein Untergang zieht deßhalb nicht noth-
Völkerrechtliche Perſonen.
Stat tritt. Aber immerhin iſt die Fortdauer und Wirkſamkeit ſolcher perſönlichen Rechte mehr gefährdet als die der örtlichen Rechte, weil die perſönlichen Verhältniſſe von der politiſchen Umgeſtaltung leichter erfaßt und gewandelt werden als bloße örtliche Einrichtungen.
48.
Dagegen gehen keineswegs alle vertragsmäßigen Rechte und Ver- bindlichkeiten eines States gegenüber andern Staten von Rechts wegen, weder im Ganzen noch im Verhältniß der Ausdehnung des Gebietes oder der Volkszahl auf den abgetrennten Theil über, wenn gleich dieſer Theil nun zu einem ſelbſtändigen neuen State geworden iſt. Die alte Vertrags- perſon bleibt berechtigt und verpflichtet, der neue Stat iſt weder Ver- tragsperſon, noch Nachfolger jener Vertragsperſon.
Z. B. Die Vereinigten Staten von Nordamerika ſind nicht in alle Vertragsverhältniſſe von Rechts wegen eingetreten, welche von den Königen von England zu der Zeit mit fremden Staten abgeſchloſſen worden waren, als die nordamerikaniſchen Colonien noch einen Theil des engliſchen Reiches bildeten. Ebenſo tritt das Königreich Italien nicht ohne weiters in die ſämmtlichen Vertragsver- hältniſſe Oeſterreichs mit andern Staten ein, an welchen auch die norditalieniſchen Provinzen mittelbar Theil hatten, ſo lange ſie zu Oeſterreich gehörten, ſondern nur in diejenigen, welche ſich örtlich auf die Lombardei oder auf Venedig insbeſondere bezogen, wie z. B. die Lombardiſche und Venetianiſche Schuld.
49.
Zerfällt ein Stat in zwei oder mehrere neue Staten, von denen keiner als die Fortſetzung des alten States zu betrachten iſt, ſo iſt der alte Geſammtſtat untergegangen und es treten die neuen Staten als neue Perſonen an ſeine Stelle.
Neuere Beiſpiele ſind die Auflöſung des römiſchen Reiches deutſcher Nation in eine Anzahl ſouveräner deutſcher Staten 1805 und 1806, die Theilung des Cantons Baſel in die Halbcantone Baſelſtadt und Baſelland, 1833. Das Beiſpiel der Theilung der Vereinigten Niederlande in die Königreiche Hol- land und Belgien 1831 gehört theilweiſe auch hieher, obwohl in gewiſſem Sinne die Niederlande in Holland vorzugsweiſe fortdauerten, namentlich im Verhältniß zu den Colonien.
50.
Wird ein bisheriger Stat einem andern State einverleibt, ſo geht zwar jener Stat unter, aber ſein Untergang zieht deßhalb nicht noth-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0099"n="77"/><fwplace="top"type="header">Völkerrechtliche Perſonen.</fw><lb/>
Stat tritt. Aber immerhin iſt die Fortdauer und Wirkſamkeit ſolcher perſönlichen<lb/>
Rechte mehr gefährdet als die der örtlichen Rechte, weil die perſönlichen Verhältniſſe<lb/>
von der politiſchen Umgeſtaltung leichter erfaßt und gewandelt werden als bloße<lb/>
örtliche Einrichtungen.</p></div><lb/><divn="5"><head>48.</head><lb/><p>Dagegen gehen keineswegs alle vertragsmäßigen Rechte und Ver-<lb/>
bindlichkeiten eines States gegenüber andern Staten von Rechts wegen,<lb/>
weder im Ganzen noch im Verhältniß der Ausdehnung des Gebietes oder<lb/>
der Volkszahl auf den abgetrennten Theil über, wenn gleich dieſer Theil<lb/>
nun zu einem ſelbſtändigen neuen State geworden iſt. Die alte Vertrags-<lb/>
perſon bleibt berechtigt und verpflichtet, der neue Stat iſt weder Ver-<lb/>
tragsperſon, noch Nachfolger jener Vertragsperſon.</p><lb/><p>Z. B. Die <hirendition="#g">Vereinigten Staten</hi> von <hirendition="#g">Nordamerika</hi>ſind nicht in alle<lb/>
Vertragsverhältniſſe von Rechts wegen eingetreten, welche von den Königen von<lb/><hirendition="#g">England</hi> zu der Zeit mit fremden Staten abgeſchloſſen worden waren, als die<lb/>
nordamerikaniſchen Colonien noch einen Theil des engliſchen Reiches bildeten. Ebenſo<lb/>
tritt das Königreich <hirendition="#g">Italien</hi> nicht ohne weiters in die ſämmtlichen Vertragsver-<lb/>
hältniſſe <hirendition="#g">Oeſterreichs</hi> mit andern Staten ein, an welchen auch die norditalieniſchen<lb/>
Provinzen mittelbar Theil hatten, ſo lange ſie zu Oeſterreich gehörten, ſondern nur<lb/>
in diejenigen, welche ſich örtlich auf die Lombardei oder auf Venedig insbeſondere<lb/>
bezogen, wie z. B. die Lombardiſche und Venetianiſche Schuld.</p></div><lb/><divn="5"><head>49.</head><lb/><p>Zerfällt ein Stat in zwei oder mehrere neue Staten, von denen<lb/>
keiner als die Fortſetzung des alten States zu betrachten iſt, ſo iſt der<lb/>
alte Geſammtſtat untergegangen und es treten die neuen Staten als neue<lb/>
Perſonen an ſeine Stelle.</p><lb/><p>Neuere Beiſpiele ſind die Auflöſung des <hirendition="#g">römiſchen Reiches deutſcher<lb/>
Nation</hi> in eine Anzahl ſouveräner deutſcher Staten 1805 und 1806, die Theilung<lb/>
des Cantons <hirendition="#g">Baſel</hi> in die Halbcantone Baſelſtadt und Baſelland, 1833. Das<lb/>
Beiſpiel der Theilung der <hirendition="#g">Vereinigten Niederlande</hi> in die Königreiche <hirendition="#g">Hol-<lb/>
land</hi> und <hirendition="#g">Belgien</hi> 1831 gehört theilweiſe auch hieher, obwohl in gewiſſem Sinne<lb/>
die Niederlande in Holland vorzugsweiſe fortdauerten, namentlich im Verhältniß zu<lb/>
den Colonien.</p></div><lb/><divn="5"><head>50.</head><lb/><p>Wird ein bisheriger Stat einem andern State einverleibt, ſo geht<lb/>
zwar jener Stat unter, aber ſein Untergang zieht deßhalb nicht noth-<lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[77/0099]
Völkerrechtliche Perſonen.
Stat tritt. Aber immerhin iſt die Fortdauer und Wirkſamkeit ſolcher perſönlichen
Rechte mehr gefährdet als die der örtlichen Rechte, weil die perſönlichen Verhältniſſe
von der politiſchen Umgeſtaltung leichter erfaßt und gewandelt werden als bloße
örtliche Einrichtungen.
48.
Dagegen gehen keineswegs alle vertragsmäßigen Rechte und Ver-
bindlichkeiten eines States gegenüber andern Staten von Rechts wegen,
weder im Ganzen noch im Verhältniß der Ausdehnung des Gebietes oder
der Volkszahl auf den abgetrennten Theil über, wenn gleich dieſer Theil
nun zu einem ſelbſtändigen neuen State geworden iſt. Die alte Vertrags-
perſon bleibt berechtigt und verpflichtet, der neue Stat iſt weder Ver-
tragsperſon, noch Nachfolger jener Vertragsperſon.
Z. B. Die Vereinigten Staten von Nordamerika ſind nicht in alle
Vertragsverhältniſſe von Rechts wegen eingetreten, welche von den Königen von
England zu der Zeit mit fremden Staten abgeſchloſſen worden waren, als die
nordamerikaniſchen Colonien noch einen Theil des engliſchen Reiches bildeten. Ebenſo
tritt das Königreich Italien nicht ohne weiters in die ſämmtlichen Vertragsver-
hältniſſe Oeſterreichs mit andern Staten ein, an welchen auch die norditalieniſchen
Provinzen mittelbar Theil hatten, ſo lange ſie zu Oeſterreich gehörten, ſondern nur
in diejenigen, welche ſich örtlich auf die Lombardei oder auf Venedig insbeſondere
bezogen, wie z. B. die Lombardiſche und Venetianiſche Schuld.
49.
Zerfällt ein Stat in zwei oder mehrere neue Staten, von denen
keiner als die Fortſetzung des alten States zu betrachten iſt, ſo iſt der
alte Geſammtſtat untergegangen und es treten die neuen Staten als neue
Perſonen an ſeine Stelle.
Neuere Beiſpiele ſind die Auflöſung des römiſchen Reiches deutſcher
Nation in eine Anzahl ſouveräner deutſcher Staten 1805 und 1806, die Theilung
des Cantons Baſel in die Halbcantone Baſelſtadt und Baſelland, 1833. Das
Beiſpiel der Theilung der Vereinigten Niederlande in die Königreiche Hol-
land und Belgien 1831 gehört theilweiſe auch hieher, obwohl in gewiſſem Sinne
die Niederlande in Holland vorzugsweiſe fortdauerten, namentlich im Verhältniß zu
den Colonien.
50.
Wird ein bisheriger Stat einem andern State einverleibt, ſo geht
zwar jener Stat unter, aber ſein Untergang zieht deßhalb nicht noth-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/99>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.