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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Recht der Neutralität.

1. Der neutrale Stat wird nicht als befugt erachtet, eine eigentliche Revision
des Processes vorzunehmen. Seine Gerichte sind keine Revisions- noch
Appellations- noch Cassationsinstanzen gegenüber den Prisengerichten.
Nur diese sind competent, über den einzelnen Fall zu urtheilen, die erheblichen That-
sachen zu coustatiren und zu würdigen, und über Freisprechung oder Verurtheilung
zu entscheiden. Dieses Urtheil wirkt rechtskräftig sowohl für den Nehmer als für
den Eigenthümer des genommenen Schiffs oder der genommenen Ladung (§ 850).
Aber der neutrale Stat hat ein Recht, zu fordern, daß diese ausnahmsweise
durch das Völkerrecht erlaubte Justiz dem Völkerrecht gemäß gehandhabt
und nicht zu völkerrechtswidriger Benachtheiligung seiner Angehö-
rigen mißbraucht
werde. Vgl. zu § 847. Diese Grundsätze sind auch in den
Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staten von Amerika und der Dänischen
Regierung im Jahr 1830 bestätigt worden. Vgl. Wheaton Int. Law. § 397.

2. Wenn zwischen dem neutralen und dem Kriegsstat ein völkerrechtlicher
Streit entsteht, so ist derselbe wie andere völkerrechtliche Streitigkeiten zu erledigen.
Vgl. Buch VII. Unter Umständen wird trotz der Verurtheilung durch das Prisen-
gericht der neutrale Stat die Beschwerden des neutralen Stats dadurch berücksichtigen,
daß er die Prise freigibt, oder dadurch, daß er an denselben eine Entschädigung zahlt
zu Gunsten der verletzten Eigenthümer.

852.

Wird die Nehmung als nicht rechtmäßig erfunden, so ist Schiff und
Ladung sofort den Eigenthümern frei zu geben.

Dabei wird natürlich ein rechtskräftiges Urtheil vorausgesetzt. Durch
die Berufung an den Oberprisenrath (Obergericht) kann die Wirksamkeit
des angefochtenen erstinstanzlichen Urtheils gehemmt werden.

853.

Auch wenn die Nehmung nicht gutgeheißen wird, kann doch dem
Eigenthümer des genommenen Schiffs jede Entschädigungsforderung dann
abgesprochen und es können ihm sogar die Kosten des Verfahrens auferlegt
werden, wenn das Schiff durch sein Verhalten sich verdächtig gemacht hat.

Auch in solchem Verhalten liegt eine Verschuldung -- zwar keine so
große, daß sie die Wegnahme rechtfertigt, aber eine so genügende Ursache, um die
Aufbringung und Untersuchung des verdächtigen Schiffs zu begründen.

854.

Wenn dagegen der Nehmer keinerlei Grund hatte zur Beschlagnahme,

Recht der Neutralität.

1. Der neutrale Stat wird nicht als befugt erachtet, eine eigentliche Reviſion
des Proceſſes vorzunehmen. Seine Gerichte ſind keine Reviſions- noch
Appellations- noch Caſſationsinſtanzen gegenüber den Priſengerichten.
Nur dieſe ſind competent, über den einzelnen Fall zu urtheilen, die erheblichen That-
ſachen zu couſtatiren und zu würdigen, und über Freiſprechung oder Verurtheilung
zu entſcheiden. Dieſes Urtheil wirkt rechtskräftig ſowohl für den Nehmer als für
den Eigenthümer des genommenen Schiffs oder der genommenen Ladung (§ 850).
Aber der neutrale Stat hat ein Recht, zu fordern, daß dieſe ausnahmsweiſe
durch das Völkerrecht erlaubte Juſtiz dem Völkerrecht gemäß gehandhabt
und nicht zu völkerrechtswidriger Benachtheiligung ſeiner Angehö-
rigen mißbraucht
werde. Vgl. zu § 847. Dieſe Grundſätze ſind auch in den
Verhandlungen zwiſchen den Vereinigten Staten von Amerika und der Däniſchen
Regierung im Jahr 1830 beſtätigt worden. Vgl. Wheaton Int. Law. § 397.

2. Wenn zwiſchen dem neutralen und dem Kriegsſtat ein völkerrechtlicher
Streit entſteht, ſo iſt derſelbe wie andere völkerrechtliche Streitigkeiten zu erledigen.
Vgl. Buch VII. Unter Umſtänden wird trotz der Verurtheilung durch das Priſen-
gericht der neutrale Stat die Beſchwerden des neutralen Stats dadurch berückſichtigen,
daß er die Priſe freigibt, oder dadurch, daß er an denſelben eine Entſchädigung zahlt
zu Gunſten der verletzten Eigenthümer.

852.

Wird die Nehmung als nicht rechtmäßig erfunden, ſo iſt Schiff und
Ladung ſofort den Eigenthümern frei zu geben.

Dabei wird natürlich ein rechtskräftiges Urtheil vorausgeſetzt. Durch
die Berufung an den Oberpriſenrath (Obergericht) kann die Wirkſamkeit
des angefochtenen erſtinſtanzlichen Urtheils gehemmt werden.

853.

Auch wenn die Nehmung nicht gutgeheißen wird, kann doch dem
Eigenthümer des genommenen Schiffs jede Entſchädigungsforderung dann
abgeſprochen und es können ihm ſogar die Koſten des Verfahrens auferlegt
werden, wenn das Schiff durch ſein Verhalten ſich verdächtig gemacht hat.

Auch in ſolchem Verhalten liegt eine Verſchuldung — zwar keine ſo
große, daß ſie die Wegnahme rechtfertigt, aber eine ſo genügende Urſache, um die
Aufbringung und Unterſuchung des verdächtigen Schiffs zu begründen.

854.

Wenn dagegen der Nehmer keinerlei Grund hatte zur Beſchlagnahme,

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[461/0483] Recht der Neutralität. 1. Der neutrale Stat wird nicht als befugt erachtet, eine eigentliche Reviſion des Proceſſes vorzunehmen. Seine Gerichte ſind keine Reviſions- noch Appellations- noch Caſſationsinſtanzen gegenüber den Priſengerichten. Nur dieſe ſind competent, über den einzelnen Fall zu urtheilen, die erheblichen That- ſachen zu couſtatiren und zu würdigen, und über Freiſprechung oder Verurtheilung zu entſcheiden. Dieſes Urtheil wirkt rechtskräftig ſowohl für den Nehmer als für den Eigenthümer des genommenen Schiffs oder der genommenen Ladung (§ 850). Aber der neutrale Stat hat ein Recht, zu fordern, daß dieſe ausnahmsweiſe durch das Völkerrecht erlaubte Juſtiz dem Völkerrecht gemäß gehandhabt und nicht zu völkerrechtswidriger Benachtheiligung ſeiner Angehö- rigen mißbraucht werde. Vgl. zu § 847. Dieſe Grundſätze ſind auch in den Verhandlungen zwiſchen den Vereinigten Staten von Amerika und der Däniſchen Regierung im Jahr 1830 beſtätigt worden. Vgl. Wheaton Int. Law. § 397. 2. Wenn zwiſchen dem neutralen und dem Kriegsſtat ein völkerrechtlicher Streit entſteht, ſo iſt derſelbe wie andere völkerrechtliche Streitigkeiten zu erledigen. Vgl. Buch VII. Unter Umſtänden wird trotz der Verurtheilung durch das Priſen- gericht der neutrale Stat die Beſchwerden des neutralen Stats dadurch berückſichtigen, daß er die Priſe freigibt, oder dadurch, daß er an denſelben eine Entſchädigung zahlt zu Gunſten der verletzten Eigenthümer. 852. Wird die Nehmung als nicht rechtmäßig erfunden, ſo iſt Schiff und Ladung ſofort den Eigenthümern frei zu geben. Dabei wird natürlich ein rechtskräftiges Urtheil vorausgeſetzt. Durch die Berufung an den Oberpriſenrath (Obergericht) kann die Wirkſamkeit des angefochtenen erſtinſtanzlichen Urtheils gehemmt werden. 853. Auch wenn die Nehmung nicht gutgeheißen wird, kann doch dem Eigenthümer des genommenen Schiffs jede Entſchädigungsforderung dann abgeſprochen und es können ihm ſogar die Koſten des Verfahrens auferlegt werden, wenn das Schiff durch ſein Verhalten ſich verdächtig gemacht hat. Auch in ſolchem Verhalten liegt eine Verſchuldung — zwar keine ſo große, daß ſie die Wegnahme rechtfertigt, aber eine ſo genügende Urſache, um die Aufbringung und Unterſuchung des verdächtigen Schiffs zu begründen. 854. Wenn dagegen der Nehmer keinerlei Grund hatte zur Beſchlagnahme,

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/483>, abgerufen am 21.11.2024.