dictorisches Verfahren ist durchweg begründet, wenn irgend welche Zweifel über die Schuld sich zeigen und nicht die Schuld eingestanden wird.
849.
Der Nehmer ist verpflichtet, sofort nach seiner Ankunft in dem Hafen, die Papiere des aufgebrachten Schiffs sammt dem Protokoll über die Nehmung dem Gericht zu übergeben und diesem die Verfügung über das Schiff, sowie die Untersuchung seines Verfahrens anheim zu geben.
Indem die Thätigkeit des Gerichts beginnt, hört die Gewalt des Nehmers über das Schiff auf. Voraus soll nun die That des Nehmers und die Schuld des Schiffers geprüft und demgemäß weiter entschieden werden.
850.
Der Spruch des Prisengerichts ist für die Parteien verbindlich und begründet formelles Recht.
Es ist das eine Folge der anerkannten Zuständigkeit (§ 842). Daß der Nehmer sich dem Urtheil unterwerfen muß, ist freilich selbstverständlich, da das Prisengericht von demselben State autorisirt ist, dem er angehört. Aber daß auch der fremde Neutrale das Urtheil als formelles Recht gelten lassen muß, welches vielleicht im Widerspruch ist mit seinem heimatlichen Landesrecht, das ist eine Ano- malie, denn die Souveränetät des Nehmestats erstreckt sich nicht über ihn. Nur das Nothrecht des Kriegs erklärt die Ausnahme.
851.
Indessen ist der Kriegsstat, welcher das Prisengericht bestellt hat, dem neutralen State verantwortlich für offenbares Unrecht, welches das Prisengericht im Widerspruch mit dem Völkerrecht den neutralen Eigen- thümern zugefügt hat. Die Berufung auf die Landesgesetze, welche das Prisengericht angewendet hat, befreit nicht von dieser Verantwortlichkeit, wenn durch das Landesgesetz die natürlichen Rechte der Neutralen miß- achtet worden sind.
Entsteht darüber Streit zwischen dem Kriegsstat und dem neutralen Stat, so ist dieser Streit nach völkerrechtlichen Grundsätzen und zunächst durch Unterhandlung und friedliche Mittel zu schlichten.
Neuntes Buch.
dictoriſches Verfahren iſt durchweg begründet, wenn irgend welche Zweifel über die Schuld ſich zeigen und nicht die Schuld eingeſtanden wird.
849.
Der Nehmer iſt verpflichtet, ſofort nach ſeiner Ankunft in dem Hafen, die Papiere des aufgebrachten Schiffs ſammt dem Protokoll über die Nehmung dem Gericht zu übergeben und dieſem die Verfügung über das Schiff, ſowie die Unterſuchung ſeines Verfahrens anheim zu geben.
Indem die Thätigkeit des Gerichts beginnt, hört die Gewalt des Nehmers über das Schiff auf. Voraus ſoll nun die That des Nehmers und die Schuld des Schiffers geprüft und demgemäß weiter entſchieden werden.
850.
Der Spruch des Priſengerichts iſt für die Parteien verbindlich und begründet formelles Recht.
Es iſt das eine Folge der anerkannten Zuſtändigkeit (§ 842). Daß der Nehmer ſich dem Urtheil unterwerfen muß, iſt freilich ſelbſtverſtändlich, da das Priſengericht von demſelben State autoriſirt iſt, dem er angehört. Aber daß auch der fremde Neutrale das Urtheil als formelles Recht gelten laſſen muß, welches vielleicht im Widerſpruch iſt mit ſeinem heimatlichen Landesrecht, das iſt eine Ano- malie, denn die Souveränetät des Nehmeſtats erſtreckt ſich nicht über ihn. Nur das Nothrecht des Kriegs erklärt die Ausnahme.
851.
Indeſſen iſt der Kriegsſtat, welcher das Priſengericht beſtellt hat, dem neutralen State verantwortlich für offenbares Unrecht, welches das Priſengericht im Widerſpruch mit dem Völkerrecht den neutralen Eigen- thümern zugefügt hat. Die Berufung auf die Landesgeſetze, welche das Priſengericht angewendet hat, befreit nicht von dieſer Verantwortlichkeit, wenn durch das Landesgeſetz die natürlichen Rechte der Neutralen miß- achtet worden ſind.
Entſteht darüber Streit zwiſchen dem Kriegsſtat und dem neutralen Stat, ſo iſt dieſer Streit nach völkerrechtlichen Grundſätzen und zunächſt durch Unterhandlung und friedliche Mittel zu ſchlichten.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0482"n="460"/><fwplace="top"type="header">Neuntes Buch.</fw><lb/><hirendition="#g">dictoriſches</hi> Verfahren iſt durchweg begründet, wenn irgend welche Zweifel über<lb/>
die Schuld ſich zeigen und nicht die Schuld eingeſtanden wird.</p></div><lb/><divn="4"><head>849.</head><lb/><p>Der Nehmer iſt verpflichtet, ſofort nach ſeiner Ankunft in dem<lb/>
Hafen, die Papiere des aufgebrachten Schiffs ſammt dem Protokoll über<lb/>
die Nehmung dem Gericht zu übergeben und dieſem die Verfügung über<lb/>
das Schiff, ſowie die Unterſuchung ſeines Verfahrens anheim zu geben.</p><lb/><p>Indem die <hirendition="#g">Thätigkeit des Gerichts beginnt, hört die Gewalt<lb/>
des Nehmers</hi> über das Schiff auf. Voraus ſoll nun die That des Nehmers<lb/>
und die Schuld des Schiffers geprüft und demgemäß weiter entſchieden werden.</p></div><lb/><divn="4"><head>850.</head><lb/><p>Der Spruch des Priſengerichts iſt für die Parteien verbindlich und<lb/>
begründet formelles Recht.</p><lb/><p>Es iſt das eine Folge der <hirendition="#g">anerkannten Zuſtändigkeit</hi> (§ 842). Daß<lb/>
der Nehmer ſich dem Urtheil unterwerfen muß, iſt freilich ſelbſtverſtändlich, da das<lb/>
Priſengericht von demſelben State autoriſirt iſt, dem er angehört. Aber daß auch<lb/>
der <hirendition="#g">fremde Neutrale</hi> das Urtheil als formelles Recht gelten laſſen muß, welches<lb/>
vielleicht im Widerſpruch iſt mit ſeinem heimatlichen Landesrecht, das iſt eine Ano-<lb/>
malie, denn die Souveränetät des Nehmeſtats erſtreckt ſich nicht über ihn. Nur das<lb/>
Nothrecht des Kriegs erklärt die Ausnahme.</p></div><lb/><divn="4"><head>851.</head><lb/><p>Indeſſen iſt der Kriegsſtat, welcher das Priſengericht beſtellt hat,<lb/>
dem neutralen State verantwortlich für offenbares Unrecht, welches das<lb/>
Priſengericht im Widerſpruch mit dem Völkerrecht den neutralen Eigen-<lb/>
thümern zugefügt hat. Die Berufung auf die Landesgeſetze, welche das<lb/>
Priſengericht angewendet hat, befreit nicht von dieſer Verantwortlichkeit,<lb/>
wenn durch das Landesgeſetz die natürlichen Rechte der Neutralen miß-<lb/>
achtet worden ſind.</p><lb/><p>Entſteht darüber Streit zwiſchen dem Kriegsſtat und dem neutralen<lb/>
Stat, ſo iſt dieſer Streit nach völkerrechtlichen Grundſätzen und zunächſt<lb/>
durch Unterhandlung und friedliche Mittel zu ſchlichten.</p><lb/></div></div></div></div></body></text></TEI>
[460/0482]
Neuntes Buch.
dictoriſches Verfahren iſt durchweg begründet, wenn irgend welche Zweifel über
die Schuld ſich zeigen und nicht die Schuld eingeſtanden wird.
849.
Der Nehmer iſt verpflichtet, ſofort nach ſeiner Ankunft in dem
Hafen, die Papiere des aufgebrachten Schiffs ſammt dem Protokoll über
die Nehmung dem Gericht zu übergeben und dieſem die Verfügung über
das Schiff, ſowie die Unterſuchung ſeines Verfahrens anheim zu geben.
Indem die Thätigkeit des Gerichts beginnt, hört die Gewalt
des Nehmers über das Schiff auf. Voraus ſoll nun die That des Nehmers
und die Schuld des Schiffers geprüft und demgemäß weiter entſchieden werden.
850.
Der Spruch des Priſengerichts iſt für die Parteien verbindlich und
begründet formelles Recht.
Es iſt das eine Folge der anerkannten Zuſtändigkeit (§ 842). Daß
der Nehmer ſich dem Urtheil unterwerfen muß, iſt freilich ſelbſtverſtändlich, da das
Priſengericht von demſelben State autoriſirt iſt, dem er angehört. Aber daß auch
der fremde Neutrale das Urtheil als formelles Recht gelten laſſen muß, welches
vielleicht im Widerſpruch iſt mit ſeinem heimatlichen Landesrecht, das iſt eine Ano-
malie, denn die Souveränetät des Nehmeſtats erſtreckt ſich nicht über ihn. Nur das
Nothrecht des Kriegs erklärt die Ausnahme.
851.
Indeſſen iſt der Kriegsſtat, welcher das Priſengericht beſtellt hat,
dem neutralen State verantwortlich für offenbares Unrecht, welches das
Priſengericht im Widerſpruch mit dem Völkerrecht den neutralen Eigen-
thümern zugefügt hat. Die Berufung auf die Landesgeſetze, welche das
Priſengericht angewendet hat, befreit nicht von dieſer Verantwortlichkeit,
wenn durch das Landesgeſetz die natürlichen Rechte der Neutralen miß-
achtet worden ſind.
Entſteht darüber Streit zwiſchen dem Kriegsſtat und dem neutralen
Stat, ſo iſt dieſer Streit nach völkerrechtlichen Grundſätzen und zunächſt
durch Unterhandlung und friedliche Mittel zu ſchlichten.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/482>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.