Auch dieser Satz ist erst durch den Pariser Congreß von 1856, 12. Juli allgemein anerkannt worden: "La marchandise neutre a l'exception de la contre- bande de guerre n'est pas saisissable sous pavillon de guerre". Einzelne Staten, welche früher durch die neutrale Flagge die feindliche Waare hatten decken lassen, waren zugleich der Meinung, daß folgerichtig die feindliche Flagge die neu- trale Waare in die Gefahr der Wegnahme verwickle, und wendeten den Grundsatz an: Unfrei Schiff, unfrei Gut, Enemy's ships, enemy's goods. Mehrere Staten, wie vorzüglich Frankreich, waren überhaupt geneigt, die Verbindung von neutralen mit feindlichen Bestandtheilen als feindlich zu betrachten und vertheidigten ebenfalls den Grundsatz: Feindliches Schiff, feindliches Gut. Andere Staten freilich unterschieden durchgreifend zwischen der feindlichen und der neutralen Eigenschaft von Schiff und Gut, und schonten das neutrale Gut auf feindlichem Schiff, wie sie das feindliche Gut auf neutralem Schiff der Prise aussetzten. Der spanische Consolato del Marc hatte für diesen Fall die neutralen Kaufleute angewiesen, sich mit dem Nehmer des Schiffs über die Fracht zu verständigen, aber die neutrale Waare selber für frei erklärt. Die englischen, holländischen und italienischen Gerichte sprachen sich für denselben Grundsatz aus, daß die neutrale Waare frei bleibe, während das feind- liche Schiff der Wegnahme verfalle. In der Litteratur waren die Meinungen ebenso verschieden.
Der Gedanke, daß in beiden Fällen die rechtliche Lage des Schiffs auch das Schicksal der Ladung bestimmen müsse, ist deßhalb nicht richtig, weil die Freiheit von Schiff und Waare immer die natürliche Regel, die Wegnahme nur als Noth- und Ausnahmerecht zu erklären und zu vertheidigen ist, man aber diese Ausnahme nicht über ihre natürlichen Grenzen, also nicht auf neutrales Frie- densgut ausdehnen darf. Die neutralen Handelsleute leben wie der neutrale Stat mit den kriegführenden Staten in voller Freundschaft mit den Schiffseigenthümern dieser Staten, und wenn sie deren Schiffe mit ihrer Waare befrachten, so beeinträch- tigen sie damit die Rechte der kriegführenden Gegenpartei in keiner Weise. Ihre Waare darf daher auch nicht Gegenstand der Wegnahme werden.
796.
Die neutralen Staten können ihren diplomatischen Friedensverkehr mit den kriegführenden Staten fortsetzen, soweit nicht die militärischen Maßregeln vorübergehende Hemmnisse bereiten.
Die neutralen Staten haben keinen Grund, ihre Gesanten abzuberufen, da sie mit den kriegführenden Staten in Freundschaft bleiben. Aber der Krieg kann thatsächlich die Verbindung theils der Personen, theils der Correspondenz stören; und dieses Uebel müssen sich, soweit es unvermeidlich ist, auch die neutralen Staten gefallen lassen.
Recht der Neutralität.
Auch dieſer Satz iſt erſt durch den Pariſer Congreß von 1856, 12. Juli allgemein anerkannt worden: „La marchandise neutre à l’exception de la contre- bande de guerre n’est pas saisissable sous pavillon de guerre“. Einzelne Staten, welche früher durch die neutrale Flagge die feindliche Waare hatten decken laſſen, waren zugleich der Meinung, daß folgerichtig die feindliche Flagge die neu- trale Waare in die Gefahr der Wegnahme verwickle, und wendeten den Grundſatz an: Unfrei Schiff, unfrei Gut, Enemy’s ships, enemy’s goods. Mehrere Staten, wie vorzüglich Frankreich, waren überhaupt geneigt, die Verbindung von neutralen mit feindlichen Beſtandtheilen als feindlich zu betrachten und vertheidigten ebenfalls den Grundſatz: Feindliches Schiff, feindliches Gut. Andere Staten freilich unterſchieden durchgreifend zwiſchen der feindlichen und der neutralen Eigenſchaft von Schiff und Gut, und ſchonten das neutrale Gut auf feindlichem Schiff, wie ſie das feindliche Gut auf neutralem Schiff der Priſe ausſetzten. Der ſpaniſche Consolato del Marc hatte für dieſen Fall die neutralen Kaufleute angewieſen, ſich mit dem Nehmer des Schiffs über die Fracht zu verſtändigen, aber die neutrale Waare ſelber für frei erklärt. Die engliſchen, holländiſchen und italieniſchen Gerichte ſprachen ſich für denſelben Grundſatz aus, daß die neutrale Waare frei bleibe, während das feind- liche Schiff der Wegnahme verfalle. In der Litteratur waren die Meinungen ebenſo verſchieden.
Der Gedanke, daß in beiden Fällen die rechtliche Lage des Schiffs auch das Schickſal der Ladung beſtimmen müſſe, iſt deßhalb nicht richtig, weil die Freiheit von Schiff und Waare immer die natürliche Regel, die Wegnahme nur als Noth- und Ausnahmerecht zu erklären und zu vertheidigen iſt, man aber dieſe Ausnahme nicht über ihre natürlichen Grenzen, alſo nicht auf neutrales Frie- densgut ausdehnen darf. Die neutralen Handelsleute leben wie der neutrale Stat mit den kriegführenden Staten in voller Freundſchaft mit den Schiffseigenthümern dieſer Staten, und wenn ſie deren Schiffe mit ihrer Waare befrachten, ſo beeinträch- tigen ſie damit die Rechte der kriegführenden Gegenpartei in keiner Weiſe. Ihre Waare darf daher auch nicht Gegenſtand der Wegnahme werden.
796.
Die neutralen Staten können ihren diplomatiſchen Friedensverkehr mit den kriegführenden Staten fortſetzen, ſoweit nicht die militäriſchen Maßregeln vorübergehende Hemmniſſe bereiten.
Die neutralen Staten haben keinen Grund, ihre Geſanten abzuberufen, da ſie mit den kriegführenden Staten in Freundſchaft bleiben. Aber der Krieg kann thatſächlich die Verbindung theils der Perſonen, theils der Correſpondenz ſtören; und dieſes Uebel müſſen ſich, ſoweit es unvermeidlich iſt, auch die neutralen Staten gefallen laſſen.
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Recht der Neutralität.
Auch dieſer Satz iſt erſt durch den Pariſer Congreß von 1856, 12. Juli
allgemein anerkannt worden: „La marchandise neutre à l’exception de la contre-
bande de guerre n’est pas saisissable sous pavillon de guerre“. Einzelne
Staten, welche früher durch die neutrale Flagge die feindliche Waare hatten decken
laſſen, waren zugleich der Meinung, daß folgerichtig die feindliche Flagge die neu-
trale Waare in die Gefahr der Wegnahme verwickle, und wendeten den Grundſatz
an: Unfrei Schiff, unfrei Gut, Enemy’s ships, enemy’s goods. Mehrere
Staten, wie vorzüglich Frankreich, waren überhaupt geneigt, die Verbindung von
neutralen mit feindlichen Beſtandtheilen als feindlich zu betrachten und vertheidigten
ebenfalls den Grundſatz: Feindliches Schiff, feindliches Gut. Andere Staten freilich
unterſchieden durchgreifend zwiſchen der feindlichen und der neutralen Eigenſchaft von
Schiff und Gut, und ſchonten das neutrale Gut auf feindlichem Schiff, wie ſie das
feindliche Gut auf neutralem Schiff der Priſe ausſetzten. Der ſpaniſche Consolato
del Marc hatte für dieſen Fall die neutralen Kaufleute angewieſen, ſich mit dem
Nehmer des Schiffs über die Fracht zu verſtändigen, aber die neutrale Waare ſelber
für frei erklärt. Die engliſchen, holländiſchen und italieniſchen Gerichte ſprachen ſich
für denſelben Grundſatz aus, daß die neutrale Waare frei bleibe, während das feind-
liche Schiff der Wegnahme verfalle. In der Litteratur waren die Meinungen ebenſo
verſchieden.
Der Gedanke, daß in beiden Fällen die rechtliche Lage des Schiffs auch das
Schickſal der Ladung beſtimmen müſſe, iſt deßhalb nicht richtig, weil die Freiheit
von Schiff und Waare immer die natürliche Regel, die Wegnahme nur als
Noth- und Ausnahmerecht zu erklären und zu vertheidigen iſt, man aber dieſe
Ausnahme nicht über ihre natürlichen Grenzen, alſo nicht auf neutrales Frie-
densgut ausdehnen darf. Die neutralen Handelsleute leben wie der neutrale Stat
mit den kriegführenden Staten in voller Freundſchaft mit den Schiffseigenthümern
dieſer Staten, und wenn ſie deren Schiffe mit ihrer Waare befrachten, ſo beeinträch-
tigen ſie damit die Rechte der kriegführenden Gegenpartei in keiner Weiſe. Ihre
Waare darf daher auch nicht Gegenſtand der Wegnahme werden.
796.
Die neutralen Staten können ihren diplomatiſchen Friedensverkehr
mit den kriegführenden Staten fortſetzen, ſoweit nicht die militäriſchen
Maßregeln vorübergehende Hemmniſſe bereiten.
Die neutralen Staten haben keinen Grund, ihre Geſanten abzuberufen, da
ſie mit den kriegführenden Staten in Freundſchaft bleiben. Aber der Krieg kann
thatſächlich die Verbindung theils der Perſonen, theils der Correſpondenz ſtören;
und dieſes Uebel müſſen ſich, ſoweit es unvermeidlich iſt, auch die neutralen Staten
gefallen laſſen.
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/451>, abgerufen am 21.11.2024.
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