Die einzelnen Privaten repräsentiren nicht den Stat; daher kann auch ihre persönliche Theilnahme an einem fremden Kriege nicht als Betheiligung des States angesehen werden, dem sie angehören. Der neutrale Stat darf nur nicht dulden, daß auf seinem Gebiete sich Freiwillige sammeln und als militärische Truppe organisiren, um von da aus dann einer der Kriegsparteien zuzuziehn. Das wäre nicht mehr That von Einzelnen, sondern bekäme, weil die Truppen- bildung immer eine statliche Machtentfaltung ist, einen öffentlich-recht- lichen Charakter. Würde der Stat die Bildung von solchen Freischaren ge- währen lassen, so würde er offenbar die Kriegsführung der einen Partei durch seine Connivenz unterstützen und die Gegenpartei hätte Ursache, das als eine feindliche Haltung zu betrachten. Die neutrale Stellung wäre aufgegeben. Wenn aber solche Unternehmen heimlich vorbereitet werden, und der Stat, der es nicht hindert, da- bei in bona fide ist, kann man ihm dieselben so wenig als das Reislaufen Einzelner zum Vorwurf machen.
759.
Wenn ein Stat durch frühere Verträge, welche nicht in der Vor- aussicht des eingetretenen Krieges zum Behuf der Unterstützung einer Kriegspartei abgeschlossen worden sind, verpflichtet war, dem State, der nun Kriegspartei geworden ist, Truppen zu stellen, so wird die Anwesen- heit dieser Truppen in Feindesland und selbst die Theilnahme derselben am Krieg nicht als Verletzung der Neutralität jenes States betrachtet, wenn im Uebrigen die friedliche Gesinnung des letztern unzweifelhaft ist und er sich strenge innerhalb der Schranken seiner vertragsmäßigen Ver- pflichtung hält.
Die gelieferten Truppen sind feindliche Personen, aber der Stat, der sie nicht für diesen Krieg geliefert hat, ist nicht zum Feind geworden durch Ausbruch des Krieges.
Die neutrale Schweiz war, so lange sie durch sogenannte Militärcapi- tulationen gebunden war, oft in dieser Lage, indem die im Dienste und Solde einer fremden Macht stehenden Schweizertruppen an den Kriegen dieser Macht Theil nahmen, während die Schweiz selber sich an dem Kriege gar nicht betheiligte. Es kam sogar nicht selten vor, daß solche schweizerische Werbetruppen in den beiden feindlichen Heerlagern zu finden waren und genöthigt wurden, wider einander zu kämpfen. Indessen ist das immerhin ein Mißverhältniß, das zu aufrichtiger Neu- tralität nicht paßt. Indem die schweizerische Bundesverfassung von 1848 nun alle Militärcapitulationen untersagt hat, schützt sie die Neutralität der Schweiz besser gegen derartige Zweifel. Ein anderes Beispiel einer Lieferung von Hülfstruppen bei einer im übrigen fortdauernden neutralen Haltung hat Dänemark in dem
Neuntes Buch.
Die einzelnen Privaten repräſentiren nicht den Stat; daher kann auch ihre perſönliche Theilnahme an einem fremden Kriege nicht als Betheiligung des States angeſehen werden, dem ſie angehören. Der neutrale Stat darf nur nicht dulden, daß auf ſeinem Gebiete ſich Freiwillige ſammeln und als militäriſche Truppe organiſiren, um von da aus dann einer der Kriegsparteien zuzuziehn. Das wäre nicht mehr That von Einzelnen, ſondern bekäme, weil die Truppen- bildung immer eine ſtatliche Machtentfaltung iſt, einen öffentlich-recht- lichen Charakter. Würde der Stat die Bildung von ſolchen Freiſcharen ge- währen laſſen, ſo würde er offenbar die Kriegsführung der einen Partei durch ſeine Connivenz unterſtützen und die Gegenpartei hätte Urſache, das als eine feindliche Haltung zu betrachten. Die neutrale Stellung wäre aufgegeben. Wenn aber ſolche Unternehmen heimlich vorbereitet werden, und der Stat, der es nicht hindert, da- bei in bona fide iſt, kann man ihm dieſelben ſo wenig als das Reislaufen Einzelner zum Vorwurf machen.
759.
Wenn ein Stat durch frühere Verträge, welche nicht in der Vor- ausſicht des eingetretenen Krieges zum Behuf der Unterſtützung einer Kriegspartei abgeſchloſſen worden ſind, verpflichtet war, dem State, der nun Kriegspartei geworden iſt, Truppen zu ſtellen, ſo wird die Anweſen- heit dieſer Truppen in Feindesland und ſelbſt die Theilnahme derſelben am Krieg nicht als Verletzung der Neutralität jenes States betrachtet, wenn im Uebrigen die friedliche Geſinnung des letztern unzweifelhaft iſt und er ſich ſtrenge innerhalb der Schranken ſeiner vertragsmäßigen Ver- pflichtung hält.
Die gelieferten Truppen ſind feindliche Perſonen, aber der Stat, der ſie nicht für dieſen Krieg geliefert hat, iſt nicht zum Feind geworden durch Ausbruch des Krieges.
Die neutrale Schweiz war, ſo lange ſie durch ſogenannte Militärcapi- tulationen gebunden war, oft in dieſer Lage, indem die im Dienſte und Solde einer fremden Macht ſtehenden Schweizertruppen an den Kriegen dieſer Macht Theil nahmen, während die Schweiz ſelber ſich an dem Kriege gar nicht betheiligte. Es kam ſogar nicht ſelten vor, daß ſolche ſchweizeriſche Werbetruppen in den beiden feindlichen Heerlagern zu finden waren und genöthigt wurden, wider einander zu kämpfen. Indeſſen iſt das immerhin ein Mißverhältniß, das zu aufrichtiger Neu- tralität nicht paßt. Indem die ſchweizeriſche Bundesverfaſſung von 1848 nun alle Militärcapitulationen unterſagt hat, ſchützt ſie die Neutralität der Schweiz beſſer gegen derartige Zweifel. Ein anderes Beiſpiel einer Lieferung von Hülfstruppen bei einer im übrigen fortdauernden neutralen Haltung hat Dänemark in dem
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Neuntes Buch.
Die einzelnen Privaten repräſentiren nicht den Stat; daher kann auch ihre
perſönliche Theilnahme an einem fremden Kriege nicht als Betheiligung des States
angeſehen werden, dem ſie angehören. Der neutrale Stat darf nur nicht dulden,
daß auf ſeinem Gebiete ſich Freiwillige ſammeln und als militäriſche
Truppe organiſiren, um von da aus dann einer der Kriegsparteien zuzuziehn.
Das wäre nicht mehr That von Einzelnen, ſondern bekäme, weil die Truppen-
bildung immer eine ſtatliche Machtentfaltung iſt, einen öffentlich-recht-
lichen Charakter. Würde der Stat die Bildung von ſolchen Freiſcharen ge-
währen laſſen, ſo würde er offenbar die Kriegsführung der einen Partei durch ſeine
Connivenz unterſtützen und die Gegenpartei hätte Urſache, das als eine feindliche
Haltung zu betrachten. Die neutrale Stellung wäre aufgegeben. Wenn aber ſolche
Unternehmen heimlich vorbereitet werden, und der Stat, der es nicht hindert, da-
bei in bona fide iſt, kann man ihm dieſelben ſo wenig als das Reislaufen
Einzelner zum Vorwurf machen.
759.
Wenn ein Stat durch frühere Verträge, welche nicht in der Vor-
ausſicht des eingetretenen Krieges zum Behuf der Unterſtützung einer
Kriegspartei abgeſchloſſen worden ſind, verpflichtet war, dem State, der
nun Kriegspartei geworden iſt, Truppen zu ſtellen, ſo wird die Anweſen-
heit dieſer Truppen in Feindesland und ſelbſt die Theilnahme derſelben
am Krieg nicht als Verletzung der Neutralität jenes States betrachtet,
wenn im Uebrigen die friedliche Geſinnung des letztern unzweifelhaft iſt
und er ſich ſtrenge innerhalb der Schranken ſeiner vertragsmäßigen Ver-
pflichtung hält.
Die gelieferten Truppen ſind feindliche Perſonen, aber der Stat, der
ſie nicht für dieſen Krieg geliefert hat, iſt nicht zum Feind geworden durch
Ausbruch des Krieges.
Die neutrale Schweiz war, ſo lange ſie durch ſogenannte Militärcapi-
tulationen gebunden war, oft in dieſer Lage, indem die im Dienſte und Solde
einer fremden Macht ſtehenden Schweizertruppen an den Kriegen dieſer Macht Theil
nahmen, während die Schweiz ſelber ſich an dem Kriege gar nicht betheiligte. Es
kam ſogar nicht ſelten vor, daß ſolche ſchweizeriſche Werbetruppen in den beiden
feindlichen Heerlagern zu finden waren und genöthigt wurden, wider einander zu
kämpfen. Indeſſen iſt das immerhin ein Mißverhältniß, das zu aufrichtiger Neu-
tralität nicht paßt. Indem die ſchweizeriſche Bundesverfaſſung von 1848 nun alle
Militärcapitulationen unterſagt hat, ſchützt ſie die Neutralität der Schweiz beſſer
gegen derartige Zweifel. Ein anderes Beiſpiel einer Lieferung von Hülfstruppen
bei einer im übrigen fortdauernden neutralen Haltung hat Dänemark in dem
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/432>, abgerufen am 21.11.2024.
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