Vgl. oben § 593 ff. Unter Umständen wäre es gefährlich, die Kriegsgefan- genen ohne weitere Disciplin und Aufsicht frei zu geben, es wird daher nöthig, sie unter militärischer Zucht der Heimat zuzuführen.
717.
Von dem Zeitpunkte des Friedensschlusses an dürfen in fremdem Gebiete keine Kriegssteuern und Requisitionen mehr auferlegt, noch die rückständigen eingefordert werden.
Es ist das eine nothwendige Rechtsfolge des Friedens, welcher die weitere Bethätigung des Kriegsrechts hemmt. Wäre noch eine Contribution oder Requisition erhoben worden, bevor das Commando den Friedensschluß gekannt hat, so sind die Gelder zurückzuerstatten und die bezogenen Naturalgegenstände zu vergüten.
718.
Diejenigen Vertragsverhältnisse unter den Staten, deren Wirksamkeit während des Kriegs suspendirt war, treten wiederum von Rechtswegen in Wirksamkeit, insofern sie nicht entweder durch den Friedensschluß abgeändert werden oder Dinge betreffen, welche durch den Krieg aufgelöst oder um- gewandelt worden sind.
1. Vgl. oben § 538. Einzelne Publicisten nehmen an, die frühern Verträge werden überhaupt nur insofern wieder wirksam, als sie ausdrücklich neu be- kräftigt worden seien. Es ist das die entgegengesetzte Vermuthung. Diese Mei- nung ist enge mit dem Irrthum verwachsen, daß der Krieg alle älteren Rechtsver- hältnisse unter den Staten gänzlich auflöse. Der Friede ist aber nicht der Anfang eines ganz neuen Rechtszustands, sondern nur ein Knotenpunkt in der Geschichte, nicht eine ursprüngliche neue Rechtsschöpfung, sondern eine Entwicklungs- phase der Fortbildung des Rechts. Daher stellt der Friede die Ver- bindung wieder her mit dem vorübergehend durch den Krieg gestörten Rechts- zustand.
2. Wenn der Friedensvertrag sich über die Erneuerung der früheren Ver- träge ausspricht, oder Abänderungen derselben festsetzt, so ist natürlich diese Bestimmung entscheidend. Die Zweifel, was Rechtens sei, erheben sich nur, wenn der Friedensvertrag darüber Stillschweigen beobachtet. Darüber kann leicht Streit entstehen, weil der eine Stat das Stillschweigen anders auslegt als der andere. Ein bekannter Rechtsstreit der Art fand zwischen England und den Vereinigten Staten von Nordamerika Statt über die Fischerei an den englisch- amerikanischen Küstengewässern. Durch den Vertrag von 1783 hatte England den Fischern aus den Vereinigten Staten die "Freiheit" zugestanden, gleich den englischen
Das Kriegsrecht.
Vgl. oben § 593 ff. Unter Umſtänden wäre es gefährlich, die Kriegsgefan- genen ohne weitere Disciplin und Aufſicht frei zu geben, es wird daher nöthig, ſie unter militäriſcher Zucht der Heimat zuzuführen.
717.
Von dem Zeitpunkte des Friedensſchluſſes an dürfen in fremdem Gebiete keine Kriegsſteuern und Requiſitionen mehr auferlegt, noch die rückſtändigen eingefordert werden.
Es iſt das eine nothwendige Rechtsfolge des Friedens, welcher die weitere Bethätigung des Kriegsrechts hemmt. Wäre noch eine Contribution oder Requiſition erhoben worden, bevor das Commando den Friedensſchluß gekannt hat, ſo ſind die Gelder zurückzuerſtatten und die bezogenen Naturalgegenſtände zu vergüten.
718.
Diejenigen Vertragsverhältniſſe unter den Staten, deren Wirkſamkeit während des Kriegs ſuspendirt war, treten wiederum von Rechtswegen in Wirkſamkeit, inſofern ſie nicht entweder durch den Friedensſchluß abgeändert werden oder Dinge betreffen, welche durch den Krieg aufgelöst oder um- gewandelt worden ſind.
1. Vgl. oben § 538. Einzelne Publiciſten nehmen an, die frühern Verträge werden überhaupt nur inſofern wieder wirkſam, als ſie ausdrücklich neu be- kräftigt worden ſeien. Es iſt das die entgegengeſetzte Vermuthung. Dieſe Mei- nung iſt enge mit dem Irrthum verwachſen, daß der Krieg alle älteren Rechtsver- hältniſſe unter den Staten gänzlich auflöſe. Der Friede iſt aber nicht der Anfang eines ganz neuen Rechtszuſtands, ſondern nur ein Knotenpunkt in der Geſchichte, nicht eine urſprüngliche neue Rechtsſchöpfung, ſondern eine Entwicklungs- phaſe der Fortbildung des Rechts. Daher ſtellt der Friede die Ver- bindung wieder her mit dem vorübergehend durch den Krieg geſtörten Rechts- zuſtand.
2. Wenn der Friedensvertrag ſich über die Erneuerung der früheren Ver- träge ausſpricht, oder Abänderungen derſelben feſtſetzt, ſo iſt natürlich dieſe Beſtimmung entſcheidend. Die Zweifel, was Rechtens ſei, erheben ſich nur, wenn der Friedensvertrag darüber Stillſchweigen beobachtet. Darüber kann leicht Streit entſtehen, weil der eine Stat das Stillſchweigen anders auslegt als der andere. Ein bekannter Rechtsſtreit der Art fand zwiſchen England und den Vereinigten Staten von Nordamerika Statt über die Fiſcherei an den engliſch- amerikaniſchen Küſtengewäſſern. Durch den Vertrag von 1783 hatte England den Fiſchern aus den Vereinigten Staten die „Freiheit“ zugeſtanden, gleich den engliſchen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0411"n="389"/><fwplace="top"type="header">Das Kriegsrecht.</fw><lb/><p>Vgl. oben § 593 ff. Unter Umſtänden wäre es gefährlich, die Kriegsgefan-<lb/>
genen ohne weitere Disciplin und Aufſicht frei zu geben, es wird daher nöthig, ſie<lb/>
unter militäriſcher Zucht der Heimat zuzuführen.</p></div><lb/><divn="4"><head>717.</head><lb/><p>Von dem Zeitpunkte des Friedensſchluſſes an dürfen in fremdem<lb/>
Gebiete keine Kriegsſteuern und Requiſitionen mehr auferlegt, noch die<lb/>
rückſtändigen eingefordert werden.</p><lb/><p>Es iſt das eine nothwendige Rechtsfolge des Friedens, welcher die weitere<lb/>
Bethätigung des Kriegsrechts hemmt. Wäre noch eine Contribution oder Requiſition<lb/>
erhoben worden, bevor das Commando den Friedensſchluß gekannt hat, ſo ſind die<lb/>
Gelder zurückzuerſtatten und die bezogenen Naturalgegenſtände zu vergüten.</p></div><lb/><divn="4"><head>718.</head><lb/><p>Diejenigen Vertragsverhältniſſe unter den Staten, deren Wirkſamkeit<lb/>
während des Kriegs ſuspendirt war, treten wiederum von Rechtswegen in<lb/>
Wirkſamkeit, inſofern ſie nicht entweder durch den Friedensſchluß abgeändert<lb/>
werden oder Dinge betreffen, welche durch den Krieg aufgelöst oder um-<lb/>
gewandelt worden ſind.</p><lb/><p>1. Vgl. oben § 538. Einzelne Publiciſten nehmen an, die frühern Verträge<lb/>
werden überhaupt nur inſofern wieder wirkſam, als ſie <hirendition="#g">ausdrücklich neu be-<lb/>
kräftigt</hi> worden ſeien. Es iſt das die entgegengeſetzte Vermuthung. Dieſe Mei-<lb/>
nung iſt enge mit dem Irrthum verwachſen, daß der Krieg alle älteren Rechtsver-<lb/>
hältniſſe unter den Staten gänzlich auflöſe. Der Friede iſt aber nicht der Anfang<lb/>
eines ganz neuen Rechtszuſtands, ſondern nur ein Knotenpunkt in der Geſchichte,<lb/>
nicht eine urſprüngliche <hirendition="#g">neue Rechtsſchöpfung</hi>, ſondern eine <hirendition="#g">Entwicklungs-<lb/>
phaſe der Fortbildung des Rechts</hi>. Daher ſtellt der Friede <hirendition="#g">die Ver-<lb/>
bindung</hi> wieder her mit dem vorübergehend durch den Krieg geſtörten Rechts-<lb/>
zuſtand.</p><lb/><p>2. Wenn der Friedensvertrag ſich über die Erneuerung der früheren Ver-<lb/>
träge <hirendition="#g">ausſpricht</hi>, oder <hirendition="#g">Abänderungen</hi> derſelben <hirendition="#g">feſtſetzt</hi>, ſo iſt natürlich<lb/>
dieſe Beſtimmung entſcheidend. Die Zweifel, was Rechtens ſei, erheben ſich nur,<lb/>
wenn der Friedensvertrag darüber <hirendition="#g">Stillſchweigen</hi> beobachtet. Darüber kann<lb/>
leicht Streit entſtehen, weil der eine Stat das Stillſchweigen anders auslegt als<lb/>
der andere. Ein bekannter Rechtsſtreit der Art fand zwiſchen <hirendition="#g">England</hi> und den<lb/><hirendition="#g">Vereinigten Staten</hi> von Nordamerika Statt über die Fiſcherei an den engliſch-<lb/>
amerikaniſchen Küſtengewäſſern. Durch den Vertrag von 1783 hatte England den<lb/>
Fiſchern aus den Vereinigten Staten die „Freiheit“ zugeſtanden, gleich den engliſchen<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[389/0411]
Das Kriegsrecht.
Vgl. oben § 593 ff. Unter Umſtänden wäre es gefährlich, die Kriegsgefan-
genen ohne weitere Disciplin und Aufſicht frei zu geben, es wird daher nöthig, ſie
unter militäriſcher Zucht der Heimat zuzuführen.
717.
Von dem Zeitpunkte des Friedensſchluſſes an dürfen in fremdem
Gebiete keine Kriegsſteuern und Requiſitionen mehr auferlegt, noch die
rückſtändigen eingefordert werden.
Es iſt das eine nothwendige Rechtsfolge des Friedens, welcher die weitere
Bethätigung des Kriegsrechts hemmt. Wäre noch eine Contribution oder Requiſition
erhoben worden, bevor das Commando den Friedensſchluß gekannt hat, ſo ſind die
Gelder zurückzuerſtatten und die bezogenen Naturalgegenſtände zu vergüten.
718.
Diejenigen Vertragsverhältniſſe unter den Staten, deren Wirkſamkeit
während des Kriegs ſuspendirt war, treten wiederum von Rechtswegen in
Wirkſamkeit, inſofern ſie nicht entweder durch den Friedensſchluß abgeändert
werden oder Dinge betreffen, welche durch den Krieg aufgelöst oder um-
gewandelt worden ſind.
1. Vgl. oben § 538. Einzelne Publiciſten nehmen an, die frühern Verträge
werden überhaupt nur inſofern wieder wirkſam, als ſie ausdrücklich neu be-
kräftigt worden ſeien. Es iſt das die entgegengeſetzte Vermuthung. Dieſe Mei-
nung iſt enge mit dem Irrthum verwachſen, daß der Krieg alle älteren Rechtsver-
hältniſſe unter den Staten gänzlich auflöſe. Der Friede iſt aber nicht der Anfang
eines ganz neuen Rechtszuſtands, ſondern nur ein Knotenpunkt in der Geſchichte,
nicht eine urſprüngliche neue Rechtsſchöpfung, ſondern eine Entwicklungs-
phaſe der Fortbildung des Rechts. Daher ſtellt der Friede die Ver-
bindung wieder her mit dem vorübergehend durch den Krieg geſtörten Rechts-
zuſtand.
2. Wenn der Friedensvertrag ſich über die Erneuerung der früheren Ver-
träge ausſpricht, oder Abänderungen derſelben feſtſetzt, ſo iſt natürlich
dieſe Beſtimmung entſcheidend. Die Zweifel, was Rechtens ſei, erheben ſich nur,
wenn der Friedensvertrag darüber Stillſchweigen beobachtet. Darüber kann
leicht Streit entſtehen, weil der eine Stat das Stillſchweigen anders auslegt als
der andere. Ein bekannter Rechtsſtreit der Art fand zwiſchen England und den
Vereinigten Staten von Nordamerika Statt über die Fiſcherei an den engliſch-
amerikaniſchen Küſtengewäſſern. Durch den Vertrag von 1783 hatte England den
Fiſchern aus den Vereinigten Staten die „Freiheit“ zugeſtanden, gleich den engliſchen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/411>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.