Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.Achtes Buch. drohen oder belagern, gilt als ermächtigt, die Capitulationsbedingungen zubewilligen, soweit dabei die persönliche Freiheit und das Eigenthum der Truppen und der Bewohner des capitulirenden Platzes betheiligt erscheinen, oder es sich um militärische Maßregeln handelt. Er darf aber nicht eigen- mächtig Zugeständnisse machen, welche sich auf die politische Verfassung und Verwaltung des Ortes beziehen. Der Grund dieser Unterscheidung liegt einerseits in den militärischen 9. Beendigung des Kriegs. Friedensschluß. 700. Der Krieg kann thatsächlich aufhören und ohne Friedensvertrag da- Der thatsächliche Besitzstand zur Zeit wenn der Krieg aufhört, wird In diesem Falle ist immerhin der Zeitpunkt, in welchem der Krieg aufgehört Achtes Buch. drohen oder belagern, gilt als ermächtigt, die Capitulationsbedingungen zubewilligen, ſoweit dabei die perſönliche Freiheit und das Eigenthum der Truppen und der Bewohner des capitulirenden Platzes betheiligt erſcheinen, oder es ſich um militäriſche Maßregeln handelt. Er darf aber nicht eigen- mächtig Zugeſtändniſſe machen, welche ſich auf die politiſche Verfaſſung und Verwaltung des Ortes beziehen. Der Grund dieſer Unterſcheidung liegt einerſeits in den militäriſchen 9. Beendigung des Kriegs. Friedensſchluß. 700. Der Krieg kann thatſächlich aufhören und ohne Friedensvertrag da- Der thatſächliche Beſitzſtand zur Zeit wenn der Krieg aufhört, wird In dieſem Falle iſt immerhin der Zeitpunkt, in welchem der Krieg aufgehört <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0402" n="380"/><fw place="top" type="header">Achtes Buch.</fw><lb/> drohen oder belagern, gilt als ermächtigt, die Capitulationsbedingungen zu<lb/> bewilligen, ſoweit dabei die perſönliche Freiheit und das Eigenthum der<lb/> Truppen und der Bewohner des capitulirenden Platzes betheiligt erſcheinen,<lb/> oder es ſich um militäriſche Maßregeln handelt. Er darf aber nicht eigen-<lb/> mächtig Zugeſtändniſſe machen, welche ſich auf die politiſche Verfaſſung und<lb/> Verwaltung des Ortes beziehen.</p><lb/> <p>Der Grund dieſer Unterſcheidung liegt einerſeits in den <hi rendition="#g">militäriſchen</hi><lb/> Befugniſſen des Befehlshabers, Alles das zu thun, was zum Behuf der eigentlichen<lb/> Kriegsführung nöthig und zweckmäßig erſcheint, andrerſeits in der <hi rendition="#g">politiſchen</hi><lb/> Statsgewalt, welche nicht an das Militärcommando übertragen iſt. Es iſt freilich<lb/> für die Ehre und den Credit eines Stats ſehr bedenklich, wenn ein Obergeneral<lb/> politiſche Zuſicherungen macht, welche nachher der Stat nicht zu erfüllen geneigt iſt.<lb/> Ein bekannter Fall der Art aus unſerm Jahrhundert iſt das unerfüllt gebliebene<lb/> Verſprechen des Lord <hi rendition="#g">Bentinck</hi> im Jahr 1814, die Unabhängigkeit und Freiheit<lb/><hi rendition="#g">Genua’s</hi> anzuerkennen, während ſchließlich die engliſche Regierung die Stadt dem<lb/> Königreich Piemont zuerkannte. Vgl. darüber <hi rendition="#g">Phillimore</hi> <hi rendition="#aq">III.</hi> § 123 (Rede<lb/> von Sir James <hi rendition="#g">Mackintoſh</hi> gegen ſolchen Treubruch). <hi rendition="#g">Vattel</hi> <hi rendition="#aq">III.</hi> § 262.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">9. Beendigung des Kriegs. Friedensſchluß.</hi> </head><lb/> <div n="4"> <head>700.</head><lb/> <p>Der Krieg kann thatſächlich aufhören und ohne Friedensvertrag da-<lb/> durch in den Friedenszuſtand übergehen, daß die Feindſeligkeiten nicht<lb/> fortgeſetzt werden und der friedliche Verkehr wieder beginnt.</p><lb/> <p>Der thatſächliche Beſitzſtand zur Zeit wenn der Krieg aufhört, wird<lb/> ſodann als Grundlage des Friedenszuſtandes betrachtet.</p><lb/> <p>In dieſem Falle iſt immerhin der Zeitpunkt, in welchem der Krieg aufgehört<lb/> hat und der Friede wieder beginnt, unſicher. Nur allmählich ſtellt ſich das Gefühl<lb/> der Sicherheit wieder ein, wie z. B. nach dem Kriege zwiſchen Schweden und Polen<lb/> 1716. Ebenſo iſt auch die Streitfrage, die zum Kriege geführt hat, gewöhnlich nicht<lb/> klar entſchieden, ſondern es behält jede Partei ihre urſprüngliche Rechtsbehauptung<lb/> ſich vor, ſoweit nicht durch die im Krieg herbeigeführten Thatſachen der Streit eine<lb/> factiſche Erledigung gefunden hat und nun durch das Aufgeben des Kampfs und<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [380/0402]
Achtes Buch.
drohen oder belagern, gilt als ermächtigt, die Capitulationsbedingungen zu
bewilligen, ſoweit dabei die perſönliche Freiheit und das Eigenthum der
Truppen und der Bewohner des capitulirenden Platzes betheiligt erſcheinen,
oder es ſich um militäriſche Maßregeln handelt. Er darf aber nicht eigen-
mächtig Zugeſtändniſſe machen, welche ſich auf die politiſche Verfaſſung und
Verwaltung des Ortes beziehen.
Der Grund dieſer Unterſcheidung liegt einerſeits in den militäriſchen
Befugniſſen des Befehlshabers, Alles das zu thun, was zum Behuf der eigentlichen
Kriegsführung nöthig und zweckmäßig erſcheint, andrerſeits in der politiſchen
Statsgewalt, welche nicht an das Militärcommando übertragen iſt. Es iſt freilich
für die Ehre und den Credit eines Stats ſehr bedenklich, wenn ein Obergeneral
politiſche Zuſicherungen macht, welche nachher der Stat nicht zu erfüllen geneigt iſt.
Ein bekannter Fall der Art aus unſerm Jahrhundert iſt das unerfüllt gebliebene
Verſprechen des Lord Bentinck im Jahr 1814, die Unabhängigkeit und Freiheit
Genua’s anzuerkennen, während ſchließlich die engliſche Regierung die Stadt dem
Königreich Piemont zuerkannte. Vgl. darüber Phillimore III. § 123 (Rede
von Sir James Mackintoſh gegen ſolchen Treubruch). Vattel III. § 262.
9. Beendigung des Kriegs. Friedensſchluß.
700.
Der Krieg kann thatſächlich aufhören und ohne Friedensvertrag da-
durch in den Friedenszuſtand übergehen, daß die Feindſeligkeiten nicht
fortgeſetzt werden und der friedliche Verkehr wieder beginnt.
Der thatſächliche Beſitzſtand zur Zeit wenn der Krieg aufhört, wird
ſodann als Grundlage des Friedenszuſtandes betrachtet.
In dieſem Falle iſt immerhin der Zeitpunkt, in welchem der Krieg aufgehört
hat und der Friede wieder beginnt, unſicher. Nur allmählich ſtellt ſich das Gefühl
der Sicherheit wieder ein, wie z. B. nach dem Kriege zwiſchen Schweden und Polen
1716. Ebenſo iſt auch die Streitfrage, die zum Kriege geführt hat, gewöhnlich nicht
klar entſchieden, ſondern es behält jede Partei ihre urſprüngliche Rechtsbehauptung
ſich vor, ſoweit nicht durch die im Krieg herbeigeführten Thatſachen der Streit eine
factiſche Erledigung gefunden hat und nun durch das Aufgeben des Kampfs und
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