Am. 118. Es ist das besonders wichtig bei der Erstürmung einer Stadt oder eines befestigten Platzes, und kann je nach Umständen auch einzelnen angese- henen Personen zu Gute kommen. Schon im Alterthum kommen manche Beispiele der Art vor. Damals hatten solche Privilegien noch mehr als gegenwärtig zu be- deuten, weil die heutige Kriegsführung überhaupt friedliche Personen und ihr Vermögen weit weniger gefährdet, als die antike.
687.
Wenn die beiderseitigen Befehlshaber über eine zeitweise und örtliche Waffenruhe übereingekommen sind, so haben die beiderseitigen Truppen inzwischen in guter Treue sich jeder Feindseligkeit zu enthalten.
Solche Waffenruhe wird gewöhnlich durch Parlamentäre begehrt und zugestanden, oder gemeinsam verabredet. Es geschieht das z. B. zum Behuf der ungestörten Beerdigung der auf dem Schlachtfeld gebliebenen Krieger, oder im Interesse der Feier eines Gottesdienstes, oder auch um weitere Unter- handlungen über einen Waffenstillstand oder Frieden zu pflegen u. s. f. Die bloß stillschweigend eintretende Waffenruhe ist zwar möglich, aber wenig gesichert, weil sie nicht den Charakter eines Vertrags hat. An und für sich berechtigt eine religiöse Feier keineswegs, auf Waffenruhe zu schließen. Die Kriegs- geschichte ist voll von Beispielen, daß an solchen Festtagen der Kampf begonnen wurde, und das Völkerrecht hindert das nicht. Im Mittelalter hemmte der Gottes- friede (treuga Dei) die Fortsetzung des Kampfes unter den christlichen Völkern. Das ganze Institut aber, welches aufgekommen war, um die wilden, nie rastenden Fehden einigermaßen zu beschränken, ist im Mittelalter selber wieder außer Uebung gekommen, als die Fehden verschwanden und nur der große Krieg noch als Aus- nahmszustand den regelmäßigen Frieden unterbrach.
688.
Ein eigentlicher und allgemeiner Waffenstillstand (treve), welcher auf längere Zeit zur Einleitung des Friedens abgeschlossen wird, bedarf in der Regel der Genehmigung der obersten Statsgewalt. Die Ermächtigung zum Abschluß kann indessen auch einem diplomatischen Vertreter oder dem Feldherrn übertragen werden.
1. Der Waffenstillstand im eigentlichen Sinne ist ein Act der Sou- veränetät im eigentlichen und vollen Sinn, analog dem Friedensschluß, und kann daher nicht von untergeordneten Befehlshabern unternommen werden. Aller- dings gelten auch diese, inwiefern ihnen ein relativ selbständiges Commando über- tragen ist, durch ihre Stellung für ermächtigt, im Nothfall und besonders in ent-
Achtes Buch.
Am. 118. Es iſt das beſonders wichtig bei der Erſtürmung einer Stadt oder eines befeſtigten Platzes, und kann je nach Umſtänden auch einzelnen angeſe- henen Perſonen zu Gute kommen. Schon im Alterthum kommen manche Beiſpiele der Art vor. Damals hatten ſolche Privilegien noch mehr als gegenwärtig zu be- deuten, weil die heutige Kriegsführung überhaupt friedliche Perſonen und ihr Vermögen weit weniger gefährdet, als die antike.
687.
Wenn die beiderſeitigen Befehlshaber über eine zeitweiſe und örtliche Waffenruhe übereingekommen ſind, ſo haben die beiderſeitigen Truppen inzwiſchen in guter Treue ſich jeder Feindſeligkeit zu enthalten.
Solche Waffenruhe wird gewöhnlich durch Parlamentäre begehrt und zugeſtanden, oder gemeinſam verabredet. Es geſchieht das z. B. zum Behuf der ungeſtörten Beerdigung der auf dem Schlachtfeld gebliebenen Krieger, oder im Intereſſe der Feier eines Gottesdienſtes, oder auch um weitere Unter- handlungen über einen Waffenſtillſtand oder Frieden zu pflegen u. ſ. f. Die bloß ſtillſchweigend eintretende Waffenruhe iſt zwar möglich, aber wenig geſichert, weil ſie nicht den Charakter eines Vertrags hat. An und für ſich berechtigt eine religiöſe Feier keineswegs, auf Waffenruhe zu ſchließen. Die Kriegs- geſchichte iſt voll von Beiſpielen, daß an ſolchen Feſttagen der Kampf begonnen wurde, und das Völkerrecht hindert das nicht. Im Mittelalter hemmte der Gottes- friede (treuga Dei) die Fortſetzung des Kampfes unter den chriſtlichen Völkern. Das ganze Inſtitut aber, welches aufgekommen war, um die wilden, nie raſtenden Fehden einigermaßen zu beſchränken, iſt im Mittelalter ſelber wieder außer Uebung gekommen, als die Fehden verſchwanden und nur der große Krieg noch als Aus- nahmszuſtand den regelmäßigen Frieden unterbrach.
688.
Ein eigentlicher und allgemeiner Waffenſtillſtand (trève), welcher auf längere Zeit zur Einleitung des Friedens abgeſchloſſen wird, bedarf in der Regel der Genehmigung der oberſten Statsgewalt. Die Ermächtigung zum Abſchluß kann indeſſen auch einem diplomatiſchen Vertreter oder dem Feldherrn übertragen werden.
1. Der Waffenſtillſtand im eigentlichen Sinne iſt ein Act der Sou- veränetät im eigentlichen und vollen Sinn, analog dem Friedensſchluß, und kann daher nicht von untergeordneten Befehlshabern unternommen werden. Aller- dings gelten auch dieſe, inwiefern ihnen ein relativ ſelbſtändiges Commando über- tragen iſt, durch ihre Stellung für ermächtigt, im Nothfall und beſonders in ent-
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Achtes Buch.
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oder eines befeſtigten Platzes, und kann je nach Umſtänden auch einzelnen angeſe-
henen Perſonen zu Gute kommen. Schon im Alterthum kommen manche Beiſpiele
der Art vor. Damals hatten ſolche Privilegien noch mehr als gegenwärtig zu be-
deuten, weil die heutige Kriegsführung überhaupt friedliche Perſonen und ihr Vermögen
weit weniger gefährdet, als die antike.
687.
Wenn die beiderſeitigen Befehlshaber über eine zeitweiſe und örtliche
Waffenruhe übereingekommen ſind, ſo haben die beiderſeitigen Truppen
inzwiſchen in guter Treue ſich jeder Feindſeligkeit zu enthalten.
Solche Waffenruhe wird gewöhnlich durch Parlamentäre begehrt und
zugeſtanden, oder gemeinſam verabredet. Es geſchieht das z. B. zum Behuf der
ungeſtörten Beerdigung der auf dem Schlachtfeld gebliebenen Krieger, oder
im Intereſſe der Feier eines Gottesdienſtes, oder auch um weitere Unter-
handlungen über einen Waffenſtillſtand oder Frieden zu pflegen
u. ſ. f. Die bloß ſtillſchweigend eintretende Waffenruhe iſt zwar möglich, aber
wenig geſichert, weil ſie nicht den Charakter eines Vertrags hat. An und für ſich
berechtigt eine religiöſe Feier keineswegs, auf Waffenruhe zu ſchließen. Die Kriegs-
geſchichte iſt voll von Beiſpielen, daß an ſolchen Feſttagen der Kampf begonnen
wurde, und das Völkerrecht hindert das nicht. Im Mittelalter hemmte der Gottes-
friede (treuga Dei) die Fortſetzung des Kampfes unter den chriſtlichen Völkern.
Das ganze Inſtitut aber, welches aufgekommen war, um die wilden, nie raſtenden
Fehden einigermaßen zu beſchränken, iſt im Mittelalter ſelber wieder außer Uebung
gekommen, als die Fehden verſchwanden und nur der große Krieg noch als Aus-
nahmszuſtand den regelmäßigen Frieden unterbrach.
688.
Ein eigentlicher und allgemeiner Waffenſtillſtand (trève), welcher
auf längere Zeit zur Einleitung des Friedens abgeſchloſſen wird, bedarf in
der Regel der Genehmigung der oberſten Statsgewalt. Die Ermächtigung
zum Abſchluß kann indeſſen auch einem diplomatiſchen Vertreter oder dem
Feldherrn übertragen werden.
1. Der Waffenſtillſtand im eigentlichen Sinne iſt ein Act der Sou-
veränetät im eigentlichen und vollen Sinn, analog dem Friedensſchluß, und
kann daher nicht von untergeordneten Befehlshabern unternommen werden. Aller-
dings gelten auch dieſe, inwiefern ihnen ein relativ ſelbſtändiges Commando über-
tragen iſt, durch ihre Stellung für ermächtigt, im Nothfall und beſonders in ent-
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/396>, abgerufen am 21.11.2024.
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