völkerrechtlichen Beschwerde. Das bloße Erscheinen der Parlamentärflagge bedingt für sich allein nicht nothwendig das Einstellen des Feuers.
Am. 113. 116. Absichtliche Verwundung oder Tödtung des sichtbaren Parlamentärs ist eine schwere Verletzung des Völkerrechts (681). Die Truppen müssen es daher vermeiden, auf ihn zu schießen. Aber während des Kampfes gibt es keine völlige Sicherheit. Wenn keinerlei mala fides mitwirkt, sondern nur ein unglücklicher Zufall ihn trifft, so darf man diesen dem Feind nicht als Rechts- bruch zur Last legen. In vielen und sogar den meisten Fällen wird das Feuer überhaupt eingestellt, wenn das Erscheinen der Parlamentärflagge oder zu Land die Ankunft eines Parlamentärs auf die Neigung schließen läßt, zu verhandeln, öfter sogar auf die Absicht des Feindes, sich zu ergeben. Aber würde man genöthigt, in allen Fällen, sobald ein Parlamentär sich zeigt, den Kampf abzubrechen, so würde vielleicht der entscheidende Moment des Sieges unbenutzt vorübergehen und der Sieg selbst wieder verloren oder die Verfolgung gelähmt werden. In solchen Fällen darf die Annahme des Parlamentärs verweigert oder trotz der Unterhandlung mit dem- selben der Kampf durchgeführt werden.
685.
Es ist gute Kriegssitte, die Spitäler und je nach Umständen auch andere besonders geheiligte Orte mit Schutzfahnen von besonderer Farbe zu bezeichnen, damit sie eher von dem feindlichen Feuer geschont werden.
Am. 115. Nur für die Spitäler ist das als völkerrechtliche Pflicht durch die Genfer Convention vorgeschrieben. Vgl. oben § 592. Aber ähnliche Rücksichten der Humanität können auch eine besondere Rücksicht empfehlen. Immer aber gilt es für eine schlechte und entehrende Handlung, wenn der Feind durch Ausstecken einer Schutzfahne, ohne innern Grund, zu täuschen und etwa gar seine Angriffs- stellung vorläufig besser zu sichern sucht. Solche Täuschung berechtigt den Gegner, der feindlichen Schutzfahnen nicht weiter zu achten und Repressalien zu nehmen. Am. 117.
686.
Es kann auch von der feindlichen Kriegsgewalt ein besonderer Schutz bewilligt und je nach Umständen können von ihr Schutzwachen oder Schutz- briefe gewährt werden, damit Personen und Sachen, z. B. wissenschaftliche Sammlungen und Kunstwerke vor der kriegerischen Beschädigung oder Gefährdung gewahrt bleiben. Auch solche Schutzgebote sind in guter Treue zu beachten.
Das Kriegsrecht.
völkerrechtlichen Beſchwerde. Das bloße Erſcheinen der Parlamentärflagge bedingt für ſich allein nicht nothwendig das Einſtellen des Feuers.
Am. 113. 116. Abſichtliche Verwundung oder Tödtung des ſichtbaren Parlamentärs iſt eine ſchwere Verletzung des Völkerrechts (681). Die Truppen müſſen es daher vermeiden, auf ihn zu ſchießen. Aber während des Kampfes gibt es keine völlige Sicherheit. Wenn keinerlei mala fides mitwirkt, ſondern nur ein unglücklicher Zufall ihn trifft, ſo darf man dieſen dem Feind nicht als Rechts- bruch zur Laſt legen. In vielen und ſogar den meiſten Fällen wird das Feuer überhaupt eingeſtellt, wenn das Erſcheinen der Parlamentärflagge oder zu Land die Ankunft eines Parlamentärs auf die Neigung ſchließen läßt, zu verhandeln, öfter ſogar auf die Abſicht des Feindes, ſich zu ergeben. Aber würde man genöthigt, in allen Fällen, ſobald ein Parlamentär ſich zeigt, den Kampf abzubrechen, ſo würde vielleicht der entſcheidende Moment des Sieges unbenutzt vorübergehen und der Sieg ſelbſt wieder verloren oder die Verfolgung gelähmt werden. In ſolchen Fällen darf die Annahme des Parlamentärs verweigert oder trotz der Unterhandlung mit dem- ſelben der Kampf durchgeführt werden.
685.
Es iſt gute Kriegsſitte, die Spitäler und je nach Umſtänden auch andere beſonders geheiligte Orte mit Schutzfahnen von beſonderer Farbe zu bezeichnen, damit ſie eher von dem feindlichen Feuer geſchont werden.
Am. 115. Nur für die Spitäler iſt das als völkerrechtliche Pflicht durch die Genfer Convention vorgeſchrieben. Vgl. oben § 592. Aber ähnliche Rückſichten der Humanität können auch eine beſondere Rückſicht empfehlen. Immer aber gilt es für eine ſchlechte und entehrende Handlung, wenn der Feind durch Ausſtecken einer Schutzfahne, ohne innern Grund, zu täuſchen und etwa gar ſeine Angriffs- ſtellung vorläufig beſſer zu ſichern ſucht. Solche Täuſchung berechtigt den Gegner, der feindlichen Schutzfahnen nicht weiter zu achten und Repreſſalien zu nehmen. Am. 117.
686.
Es kann auch von der feindlichen Kriegsgewalt ein beſonderer Schutz bewilligt und je nach Umſtänden können von ihr Schutzwachen oder Schutz- briefe gewährt werden, damit Perſonen und Sachen, z. B. wiſſenſchaftliche Sammlungen und Kunſtwerke vor der kriegeriſchen Beſchädigung oder Gefährdung gewahrt bleiben. Auch ſolche Schutzgebote ſind in guter Treue zu beachten.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0395"n="373"/><fwplace="top"type="header">Das Kriegsrecht.</fw><lb/>
völkerrechtlichen Beſchwerde. Das bloße Erſcheinen der Parlamentärflagge<lb/>
bedingt für ſich allein nicht nothwendig das Einſtellen des Feuers.</p><lb/><p><hirendition="#g">Am. 113. 116. Abſichtliche</hi> Verwundung oder Tödtung des ſichtbaren<lb/>
Parlamentärs iſt eine ſchwere Verletzung des Völkerrechts (681). Die Truppen<lb/>
müſſen es daher vermeiden, auf ihn zu ſchießen. Aber während des Kampfes gibt<lb/>
es keine völlige Sicherheit. Wenn keinerlei <hirendition="#aq">mala fides</hi> mitwirkt, ſondern nur ein<lb/><hirendition="#g">unglücklicher Zufall</hi> ihn trifft, ſo darf man dieſen dem Feind nicht als Rechts-<lb/>
bruch zur Laſt legen. In vielen und ſogar den meiſten Fällen wird das Feuer<lb/>
überhaupt eingeſtellt, wenn das Erſcheinen der Parlamentärflagge oder zu Land die<lb/>
Ankunft eines Parlamentärs auf die Neigung ſchließen läßt, zu verhandeln, öfter<lb/>ſogar auf die Abſicht des Feindes, ſich zu ergeben. Aber würde man genöthigt, in<lb/>
allen Fällen, ſobald ein Parlamentär ſich zeigt, den Kampf abzubrechen, ſo würde<lb/>
vielleicht der entſcheidende Moment des Sieges unbenutzt vorübergehen und der Sieg<lb/>ſelbſt wieder verloren oder die Verfolgung gelähmt werden. In ſolchen Fällen darf<lb/>
die Annahme des Parlamentärs verweigert oder trotz der Unterhandlung mit dem-<lb/>ſelben der Kampf durchgeführt werden.</p></div><lb/><divn="4"><head>685.</head><lb/><p>Es iſt gute Kriegsſitte, die Spitäler und je nach Umſtänden auch<lb/>
andere beſonders geheiligte Orte mit Schutzfahnen von beſonderer Farbe<lb/>
zu bezeichnen, damit ſie eher von dem feindlichen Feuer geſchont werden.</p><lb/><p><hirendition="#g">Am</hi>. 115. Nur für die <hirendition="#g">Spitäler</hi> iſt das als völkerrechtliche Pflicht durch<lb/>
die Genfer Convention vorgeſchrieben. Vgl. oben § 592. Aber ähnliche Rückſichten<lb/>
der Humanität können auch eine beſondere Rückſicht empfehlen. Immer aber gilt<lb/>
es für eine ſchlechte und entehrende Handlung, wenn der Feind durch Ausſtecken<lb/>
einer Schutzfahne, ohne innern Grund, zu täuſchen und etwa gar ſeine Angriffs-<lb/>ſtellung vorläufig beſſer zu ſichern ſucht. Solche Täuſchung berechtigt den Gegner,<lb/>
der feindlichen Schutzfahnen nicht weiter zu achten und Repreſſalien zu nehmen.<lb/><hirendition="#g">Am</hi>. 117.</p></div><lb/><divn="4"><head>686.</head><lb/><p>Es kann auch von der feindlichen Kriegsgewalt ein beſonderer Schutz<lb/>
bewilligt und je nach Umſtänden können von ihr Schutzwachen oder Schutz-<lb/>
briefe gewährt werden, damit Perſonen und Sachen, z. B. wiſſenſchaftliche<lb/>
Sammlungen und Kunſtwerke vor der kriegeriſchen Beſchädigung oder<lb/>
Gefährdung gewahrt bleiben. Auch ſolche Schutzgebote ſind in guter Treue<lb/>
zu beachten.</p><lb/></div></div></div></div></body></text></TEI>
[373/0395]
Das Kriegsrecht.
völkerrechtlichen Beſchwerde. Das bloße Erſcheinen der Parlamentärflagge
bedingt für ſich allein nicht nothwendig das Einſtellen des Feuers.
Am. 113. 116. Abſichtliche Verwundung oder Tödtung des ſichtbaren
Parlamentärs iſt eine ſchwere Verletzung des Völkerrechts (681). Die Truppen
müſſen es daher vermeiden, auf ihn zu ſchießen. Aber während des Kampfes gibt
es keine völlige Sicherheit. Wenn keinerlei mala fides mitwirkt, ſondern nur ein
unglücklicher Zufall ihn trifft, ſo darf man dieſen dem Feind nicht als Rechts-
bruch zur Laſt legen. In vielen und ſogar den meiſten Fällen wird das Feuer
überhaupt eingeſtellt, wenn das Erſcheinen der Parlamentärflagge oder zu Land die
Ankunft eines Parlamentärs auf die Neigung ſchließen läßt, zu verhandeln, öfter
ſogar auf die Abſicht des Feindes, ſich zu ergeben. Aber würde man genöthigt, in
allen Fällen, ſobald ein Parlamentär ſich zeigt, den Kampf abzubrechen, ſo würde
vielleicht der entſcheidende Moment des Sieges unbenutzt vorübergehen und der Sieg
ſelbſt wieder verloren oder die Verfolgung gelähmt werden. In ſolchen Fällen darf
die Annahme des Parlamentärs verweigert oder trotz der Unterhandlung mit dem-
ſelben der Kampf durchgeführt werden.
685.
Es iſt gute Kriegsſitte, die Spitäler und je nach Umſtänden auch
andere beſonders geheiligte Orte mit Schutzfahnen von beſonderer Farbe
zu bezeichnen, damit ſie eher von dem feindlichen Feuer geſchont werden.
Am. 115. Nur für die Spitäler iſt das als völkerrechtliche Pflicht durch
die Genfer Convention vorgeſchrieben. Vgl. oben § 592. Aber ähnliche Rückſichten
der Humanität können auch eine beſondere Rückſicht empfehlen. Immer aber gilt
es für eine ſchlechte und entehrende Handlung, wenn der Feind durch Ausſtecken
einer Schutzfahne, ohne innern Grund, zu täuſchen und etwa gar ſeine Angriffs-
ſtellung vorläufig beſſer zu ſichern ſucht. Solche Täuſchung berechtigt den Gegner,
der feindlichen Schutzfahnen nicht weiter zu achten und Repreſſalien zu nehmen.
Am. 117.
686.
Es kann auch von der feindlichen Kriegsgewalt ein beſonderer Schutz
bewilligt und je nach Umſtänden können von ihr Schutzwachen oder Schutz-
briefe gewährt werden, damit Perſonen und Sachen, z. B. wiſſenſchaftliche
Sammlungen und Kunſtwerke vor der kriegeriſchen Beſchädigung oder
Gefährdung gewahrt bleiben. Auch ſolche Schutzgebote ſind in guter Treue
zu beachten.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/395>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.