und friedlichen Culturinteressen des Landes an. Unsere Universitätsstadt Heidelberg beklagt es heute noch als ein schweres, nicht hinreichend gesühntes Unrecht, daß ihre handschriftlichen Schätze als "Palatina" von dem Bayerischen Eroberer der Stadt weggenommen und dem römischen Papst zur Bereicherung des Vaticans geschenkt worden sind. Die Stadt Cöln freut sich dagegen darüber, daß die Preußische Re- gierung nach dem deutschen Kriege von 1866 die Großherzoglich Hessische im Frieden vom 3. Sept. 1866 angehalten hat, die zur Zeit der Revolutionskriege von 1794 weggenommenen Werke der Cölner Dombibliothek zurückzuerstatten.
651.
Die muthwillige Zerstörung oder Schädigung der dem Verkehr ge- widmeten Anstalten ohne militärische Nothwendigkeit, wie insbesondere der Straßen, Brücken, Eisenbahnen, Seehäfen, Leuchtthürme u. dgl. ist wider- rechtliche Barbarei.
In manchen Fällen wird die militärische Nothwendigkeit die Zer- störung solcher Werke rechtfertigen, z. B. um den Rückzug der Truppen gegen die Verfolgung des Feindes zu decken oder den feindlichen Angriff ernstlich zu erschweren. Aber bloß aus Uebermuth oder aus übertriebener Furcht darf das nicht geschehn; denn die Interessen des Verkehrs sind auch nach dem Kriege von höchster Bedeutung für die Wohlfahrt der Völker, und der Krieg darf nur soweit Schaden anrichten, als die Noth des Krieges und die Kriegszwecke es erfordern.
652.
Das Privateigenthum ist auch im Kriege von Seite der siegenden Kriegsgewalt zu respectiren und darf nur in Folge der militärischen Noth- wendigkeit angegriffen werden.
Am. 38. Da der Krieg nicht gegen die Privaten, sondern gegen den Stat geführt wird und die Rechtsordnung auch im Kriege insoweit fort- besteht, als nicht die militärische Nothwendigkeit ausnahmsweise eine Verletzung er- fordert, so versteht sich die Schonung und Achtung des Privateigenthums als Hauptgesetz des civilisirten Kriegsrecht. Es gilt das nach allen Seiten und Richtungen hin. Damit wird der moderne Grundgedanke des natürlichen Rechts ausgesprochen, im entschiedensten Gegensatz sowohl zu dem antiken römischen Recht, welches im Kriege kein Privateigenthum der Feinde, wie die Angehörigen des feindlichen States genannt wurden, anerkannte als zu dem mittelalterlichen Rechte, welches möglichste Schädigung auch der feindlichen Unterthanen für erlaubte Kriegsführung hielt. Nur die Rücksicht auf die militärische Noth- wendigkeit entschuldigt und rechtfertigt eine Verletzung des Privateigenthums. Wenn eine militärische Stellung erobert werden muß, so treffen die Kanonenkugeln
Bluntschli, Das Völkerrecht. 23
Das Kriegsrecht.
und friedlichen Culturintereſſen des Landes an. Unſere Univerſitätsſtadt Heidelberg beklagt es heute noch als ein ſchweres, nicht hinreichend geſühntes Unrecht, daß ihre handſchriftlichen Schätze als „Palatina“ von dem Bayeriſchen Eroberer der Stadt weggenommen und dem römiſchen Papſt zur Bereicherung des Vaticans geſchenkt worden ſind. Die Stadt Cöln freut ſich dagegen darüber, daß die Preußiſche Re- gierung nach dem deutſchen Kriege von 1866 die Großherzoglich Heſſiſche im Frieden vom 3. Sept. 1866 angehalten hat, die zur Zeit der Revolutionskriege von 1794 weggenommenen Werke der Cölner Dombibliothek zurückzuerſtatten.
651.
Die muthwillige Zerſtörung oder Schädigung der dem Verkehr ge- widmeten Anſtalten ohne militäriſche Nothwendigkeit, wie insbeſondere der Straßen, Brücken, Eiſenbahnen, Seehäfen, Leuchtthürme u. dgl. iſt wider- rechtliche Barbarei.
In manchen Fällen wird die militäriſche Nothwendigkeit die Zer- ſtörung ſolcher Werke rechtfertigen, z. B. um den Rückzug der Truppen gegen die Verfolgung des Feindes zu decken oder den feindlichen Angriff ernſtlich zu erſchweren. Aber bloß aus Uebermuth oder aus übertriebener Furcht darf das nicht geſchehn; denn die Intereſſen des Verkehrs ſind auch nach dem Kriege von höchſter Bedeutung für die Wohlfahrt der Völker, und der Krieg darf nur ſoweit Schaden anrichten, als die Noth des Krieges und die Kriegszwecke es erfordern.
652.
Das Privateigenthum iſt auch im Kriege von Seite der ſiegenden Kriegsgewalt zu reſpectiren und darf nur in Folge der militäriſchen Noth- wendigkeit angegriffen werden.
Am. 38. Da der Krieg nicht gegen die Privaten, ſondern gegen den Stat geführt wird und die Rechtsordnung auch im Kriege inſoweit fort- beſteht, als nicht die militäriſche Nothwendigkeit ausnahmsweiſe eine Verletzung er- fordert, ſo verſteht ſich die Schonung und Achtung des Privateigenthums als Hauptgeſetz des civiliſirten Kriegsrecht. Es gilt das nach allen Seiten und Richtungen hin. Damit wird der moderne Grundgedanke des natürlichen Rechts ausgeſprochen, im entſchiedenſten Gegenſatz ſowohl zu dem antiken römiſchen Recht, welches im Kriege kein Privateigenthum der Feinde, wie die Angehörigen des feindlichen States genannt wurden, anerkannte als zu dem mittelalterlichen Rechte, welches möglichſte Schädigung auch der feindlichen Unterthanen für erlaubte Kriegsführung hielt. Nur die Rückſicht auf die militäriſche Noth- wendigkeit entſchuldigt und rechtfertigt eine Verletzung des Privateigenthums. Wenn eine militäriſche Stellung erobert werden muß, ſo treffen die Kanonenkugeln
Bluntſchli, Das Völkerrecht. 23
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Das Kriegsrecht.
und friedlichen Culturintereſſen des Landes an. Unſere Univerſitätsſtadt Heidelberg
beklagt es heute noch als ein ſchweres, nicht hinreichend geſühntes Unrecht, daß ihre
handſchriftlichen Schätze als „Palatina“ von dem Bayeriſchen Eroberer der Stadt
weggenommen und dem römiſchen Papſt zur Bereicherung des Vaticans geſchenkt
worden ſind. Die Stadt Cöln freut ſich dagegen darüber, daß die Preußiſche Re-
gierung nach dem deutſchen Kriege von 1866 die Großherzoglich Heſſiſche im Frieden
vom 3. Sept. 1866 angehalten hat, die zur Zeit der Revolutionskriege von 1794
weggenommenen Werke der Cölner Dombibliothek zurückzuerſtatten.
651.
Die muthwillige Zerſtörung oder Schädigung der dem Verkehr ge-
widmeten Anſtalten ohne militäriſche Nothwendigkeit, wie insbeſondere der
Straßen, Brücken, Eiſenbahnen, Seehäfen, Leuchtthürme u. dgl. iſt wider-
rechtliche Barbarei.
In manchen Fällen wird die militäriſche Nothwendigkeit die Zer-
ſtörung ſolcher Werke rechtfertigen, z. B. um den Rückzug der Truppen gegen die
Verfolgung des Feindes zu decken oder den feindlichen Angriff ernſtlich zu erſchweren.
Aber bloß aus Uebermuth oder aus übertriebener Furcht darf das nicht geſchehn;
denn die Intereſſen des Verkehrs ſind auch nach dem Kriege von höchſter Bedeutung
für die Wohlfahrt der Völker, und der Krieg darf nur ſoweit Schaden anrichten,
als die Noth des Krieges und die Kriegszwecke es erfordern.
652.
Das Privateigenthum iſt auch im Kriege von Seite der ſiegenden
Kriegsgewalt zu reſpectiren und darf nur in Folge der militäriſchen Noth-
wendigkeit angegriffen werden.
Am. 38. Da der Krieg nicht gegen die Privaten, ſondern gegen
den Stat geführt wird und die Rechtsordnung auch im Kriege inſoweit fort-
beſteht, als nicht die militäriſche Nothwendigkeit ausnahmsweiſe eine Verletzung er-
fordert, ſo verſteht ſich die Schonung und Achtung des Privateigenthums
als Hauptgeſetz des civiliſirten Kriegsrecht. Es gilt das nach allen Seiten und
Richtungen hin. Damit wird der moderne Grundgedanke des natürlichen Rechts
ausgeſprochen, im entſchiedenſten Gegenſatz ſowohl zu dem antiken römiſchen Recht,
welches im Kriege kein Privateigenthum der Feinde, wie die Angehörigen
des feindlichen States genannt wurden, anerkannte als zu dem mittelalterlichen
Rechte, welches möglichſte Schädigung auch der feindlichen Unterthanen für
erlaubte Kriegsführung hielt. Nur die Rückſicht auf die militäriſche Noth-
wendigkeit entſchuldigt und rechtfertigt eine Verletzung des Privateigenthums.
Wenn eine militäriſche Stellung erobert werden muß, ſo treffen die Kanonenkugeln
Bluntſchli, Das Völkerrecht. 23
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/375>, abgerufen am 30.12.2024.
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