Gebäude und Grundstücke in Feindesland zu den Zwecken der Kriegsfüh- rung und zur Verwaltung der Statsgewalt einstweilen zu bemächtigen und die Einkünfte derselben zu benutzen. Ob das Eigenthum an diesen liegenden Gütern auf den siegenden Stat übergehe, hängt von dem Frie- densschlusse und insbesondere davon ab, ob der siegende Stat dauernde Hoheit über den Gebietstheil erwerbe, in welchem diese Güter gelegen sind.
Es gilt das nicht bloß von Festungen, Casernen und ähnlichen unmit- telbar der Kriegsmacht dienenden Gebäuden, sondern ebenso von Residenzen, Ministerialgebäuden, Amts- und Rathhäusern jeder Art. Auch über die Einkünfte der Domänen kann die siegende Kriegsgewalt verfügen, soweit dieselben in ihren Bereich fallen. Aber das Eigenthum an dem liegenden Gute geht mit der Besitznahme noch nicht auf dieselbe über, sondern erst dann und nur dann, wenn sie auch die Statshoheit endlich im Frieden erwirbt. Inwiefern der bisherige Stat Eigenthümer ist, tritt der neue Stat, der die Gebietshoheit erwirbt, an seine Stelle. Vgl. oben § 54.
647.
Die siegende Kriegsgewalt verfügt auch über die öffentlichen Ein- künfte und Steuern, welche in dem eingenommenen Gebiete erhoben wer- den, in dem Sinne jedoch, daß die regelmäßigen und unvermeidlichen Ausgaben für die Verwaltung des Rechts und der öffentlichen Interessen daraus fortbestritten werden.
Vgl. oben § 541. 547. Auch andere Cassen, als die Kriegscassen, welche dem State zugehören, können von dem Feinde weggenommen werden (§ 644). Aber die civilisirte Kriegsführung darf diese Gelder doch nicht ohne weiters als gute Prise behandeln. Es soll auch während des Kriegs für die Handhabung des Rechts und eine geordnete Verwaltung gesorgt werden. Das ist eine Forderung des allgemeinen Rechts und zugleich ein Interesse der Kriegsführung selbst. Die Auflösung aller Ordnung ist ebenso Barbarei, wie die Verwüstung der Pflanzungen. Soweit daher jene Gelder für diese öffentlichen Interessen bestimmt und nöthig sind, soweit sind sie auch dafür zu verwenden. Ueberhaupt greift die civilisirte Kriegs- führung möglichst wenig in die bestehende Landes- und Gemeinde- verwaltung ein und nur dann, wenn ihre militärisch-politischen Auf- gaben es verlangen.
648.
Das Eigenthum der Kirchen, Spitäler, wohlthätigen Anstalten, der
Achtes Buch.
Gebäude und Grundſtücke in Feindesland zu den Zwecken der Kriegsfüh- rung und zur Verwaltung der Statsgewalt einſtweilen zu bemächtigen und die Einkünfte derſelben zu benutzen. Ob das Eigenthum an dieſen liegenden Gütern auf den ſiegenden Stat übergehe, hängt von dem Frie- densſchluſſe und insbeſondere davon ab, ob der ſiegende Stat dauernde Hoheit über den Gebietstheil erwerbe, in welchem dieſe Güter gelegen ſind.
Es gilt das nicht bloß von Feſtungen, Caſernen und ähnlichen unmit- telbar der Kriegsmacht dienenden Gebäuden, ſondern ebenſo von Reſidenzen, Miniſterialgebäuden, Amts- und Rathhäuſern jeder Art. Auch über die Einkünfte der Domänen kann die ſiegende Kriegsgewalt verfügen, ſoweit dieſelben in ihren Bereich fallen. Aber das Eigenthum an dem liegenden Gute geht mit der Beſitznahme noch nicht auf dieſelbe über, ſondern erſt dann und nur dann, wenn ſie auch die Statshoheit endlich im Frieden erwirbt. Inwiefern der bisherige Stat Eigenthümer iſt, tritt der neue Stat, der die Gebietshoheit erwirbt, an ſeine Stelle. Vgl. oben § 54.
647.
Die ſiegende Kriegsgewalt verfügt auch über die öffentlichen Ein- künfte und Steuern, welche in dem eingenommenen Gebiete erhoben wer- den, in dem Sinne jedoch, daß die regelmäßigen und unvermeidlichen Ausgaben für die Verwaltung des Rechts und der öffentlichen Intereſſen daraus fortbeſtritten werden.
Vgl. oben § 541. 547. Auch andere Caſſen, als die Kriegscaſſen, welche dem State zugehören, können von dem Feinde weggenommen werden (§ 644). Aber die civiliſirte Kriegsführung darf dieſe Gelder doch nicht ohne weiters als gute Priſe behandeln. Es ſoll auch während des Kriegs für die Handhabung des Rechts und eine geordnete Verwaltung geſorgt werden. Das iſt eine Forderung des allgemeinen Rechts und zugleich ein Intereſſe der Kriegsführung ſelbſt. Die Auflöſung aller Ordnung iſt ebenſo Barbarei, wie die Verwüſtung der Pflanzungen. Soweit daher jene Gelder für dieſe öffentlichen Intereſſen beſtimmt und nöthig ſind, ſoweit ſind ſie auch dafür zu verwenden. Ueberhaupt greift die civiliſirte Kriegs- führung möglichſt wenig in die beſtehende Landes- und Gemeinde- verwaltung ein und nur dann, wenn ihre militäriſch-politiſchen Auf- gaben es verlangen.
648.
Das Eigenthum der Kirchen, Spitäler, wohlthätigen Anſtalten, der
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Achtes Buch.
Gebäude und Grundſtücke in Feindesland zu den Zwecken der Kriegsfüh-
rung und zur Verwaltung der Statsgewalt einſtweilen zu bemächtigen
und die Einkünfte derſelben zu benutzen. Ob das Eigenthum an dieſen
liegenden Gütern auf den ſiegenden Stat übergehe, hängt von dem Frie-
densſchluſſe und insbeſondere davon ab, ob der ſiegende Stat dauernde
Hoheit über den Gebietstheil erwerbe, in welchem dieſe Güter gelegen ſind.
Es gilt das nicht bloß von Feſtungen, Caſernen und ähnlichen unmit-
telbar der Kriegsmacht dienenden Gebäuden, ſondern ebenſo von Reſidenzen,
Miniſterialgebäuden, Amts- und Rathhäuſern jeder Art. Auch über
die Einkünfte der Domänen kann die ſiegende Kriegsgewalt verfügen, ſoweit dieſelben
in ihren Bereich fallen. Aber das Eigenthum an dem liegenden Gute geht mit der
Beſitznahme noch nicht auf dieſelbe über, ſondern erſt dann und nur dann, wenn ſie
auch die Statshoheit endlich im Frieden erwirbt. Inwiefern der bisherige
Stat Eigenthümer iſt, tritt der neue Stat, der die Gebietshoheit erwirbt,
an ſeine Stelle. Vgl. oben § 54.
647.
Die ſiegende Kriegsgewalt verfügt auch über die öffentlichen Ein-
künfte und Steuern, welche in dem eingenommenen Gebiete erhoben wer-
den, in dem Sinne jedoch, daß die regelmäßigen und unvermeidlichen
Ausgaben für die Verwaltung des Rechts und der öffentlichen Intereſſen
daraus fortbeſtritten werden.
Vgl. oben § 541. 547. Auch andere Caſſen, als die Kriegscaſſen, welche dem
State zugehören, können von dem Feinde weggenommen werden (§ 644). Aber die
civiliſirte Kriegsführung darf dieſe Gelder doch nicht ohne weiters als gute Priſe
behandeln. Es ſoll auch während des Kriegs für die Handhabung des Rechts
und eine geordnete Verwaltung geſorgt werden. Das iſt eine Forderung
des allgemeinen Rechts und zugleich ein Intereſſe der Kriegsführung ſelbſt. Die
Auflöſung aller Ordnung iſt ebenſo Barbarei, wie die Verwüſtung der Pflanzungen.
Soweit daher jene Gelder für dieſe öffentlichen Intereſſen beſtimmt und nöthig ſind,
ſoweit ſind ſie auch dafür zu verwenden. Ueberhaupt greift die civiliſirte Kriegs-
führung möglichſt wenig in die beſtehende Landes- und Gemeinde-
verwaltung ein und nur dann, wenn ihre militäriſch-politiſchen Auf-
gaben es verlangen.
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Das Eigenthum der Kirchen, Spitäler, wohlthätigen Anſtalten, der
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/372>, abgerufen am 22.02.2025.
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