Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.Das Kriegsrecht. der Occupation preisgegeben sei, sondern es wird im Gegentheil voraus-gesetzt, gerade weil es dem feindlichen Stat zu gehöre, dürfe es demselben im Krieg weggenommen werden. Man sieht darin ein kriegerisch gerechtfer- tigtes Zwangsmittel gegen den feindlichen Stat. Indessen sogar innerhalb der Habe des feindlichen Stats werden weitere Unterscheidungen zur Beschränkung der feindlichen Wegnahme gemacht. Vgl. unten § 648 f. 645. Insbesondere sind die Kriegscassen, Waffen und Waffenvorräthe, Am entschiedensten macht sich nach der Natur und den Bedürfnissen der 646. Ebenso ist die siegende Kriegsgewalt berechtigt, sich der öffentlichen Das Kriegsrecht. der Occupation preisgegeben ſei, ſondern es wird im Gegentheil voraus-geſetzt, gerade weil es dem feindlichen Stat zu gehöre, dürfe es demſelben im Krieg weggenommen werden. Man ſieht darin ein kriegeriſch gerechtfer- tigtes Zwangsmittel gegen den feindlichen Stat. Indeſſen ſogar innerhalb der Habe des feindlichen Stats werden weitere Unterſcheidungen zur Beſchränkung der feindlichen Wegnahme gemacht. Vgl. unten § 648 f. 645. Insbeſondere ſind die Kriegscaſſen, Waffen und Waffenvorräthe, Am entſchiedenſten macht ſich nach der Natur und den Bedürfniſſen der 646. Ebenſo iſt die ſiegende Kriegsgewalt berechtigt, ſich der öffentlichen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0371" n="349"/><fw place="top" type="header">Das Kriegsrecht.</fw><lb/> der <hi rendition="#g">Occupation preisgegeben</hi> ſei, ſondern es wird im Gegentheil voraus-<lb/> geſetzt, gerade <hi rendition="#g">weil</hi> es <hi rendition="#g">dem feindlichen Stat zu gehöre</hi>, dürfe es demſelben<lb/><hi rendition="#g">im Krieg weggenommen</hi> werden. Man ſieht darin ein kriegeriſch gerechtfer-<lb/> tigtes <hi rendition="#g">Zwangsmittel</hi> gegen den feindlichen Stat. Indeſſen ſogar innerhalb der<lb/> Habe des feindlichen Stats werden weitere Unterſcheidungen zur Beſchränkung der<lb/> feindlichen Wegnahme gemacht. Vgl. unten § 648 f.</p> </div><lb/> <div n="5"> <head>645.</head><lb/> <p>Insbeſondere ſind die Kriegscaſſen, Waffen und Waffenvorräthe,<lb/> Magazine mit Lebensmitteln, Transportmittel für das Heer und überhaupt<lb/> alles das Vermögen, welches der Kriegsführung unmittelbar dient, als<lb/> Kriegsbeute zu betrachten und fallen zur Verfügung und Benutzung dem<lb/> ſiegenden Heere zu, vorbehalten die beſondern Anordnungen der ſiegenden<lb/> Statsgewalt.</p><lb/> <p>Am entſchiedenſten macht ſich nach der Natur und den Bedürfniſſen der<lb/> Kriegsführung das Recht der Wegnahme geltend mit Bezug auf die <hi rendition="#g">geſammte<lb/> Kriegsausrüſtung</hi> des Feindes. Da greift die Kriegsgewalt zu, ſoweit ſie ſich<lb/> derſelben bemächtigen kann, ſelbſt ohne zu unterſuchen, ob dieſelbe nicht vielleicht<lb/> zum Theil <hi rendition="#g">Privatgut</hi> ſei. Wenn <hi rendition="#g">die Beziehung zur feindlichen Kriegs-<lb/> ausrüſtung</hi> offenbar iſt, ſo verfallen alle derartigen Gegenſtände der Wegnahme<lb/> des ſiegenden Heeres, indem es eine der wichtigſten Aufgaben der Kriegsführung iſt,<lb/> den Feind zu entwaffnen. Es gilt das in neuerer Zeit auch von <hi rendition="#g">dem Material<lb/> der Eiſenbahnen</hi> (Locomotiven, Perſonen- und Güterwagen), obwohl dasſelbe<lb/> vielleicht nicht Eigenthum des Stats, ſondern einer Privatgeſellſchaft iſt. Die Eiſen-<lb/> bahnen dienen doch dem <hi rendition="#g">öffentlichen Verkehr</hi> in eminenter Weiſe und ihre<lb/> Verwendung für die Kriegsführung zu Truppenmärſchen und Lieferungen von Lebens-<lb/> mitteln u. ſ. f. iſt ſo äußerſt wichtig, daß die Kriegsgewalt dieſelben wenigſtens pro-<lb/> viſoriſch als öffentliches Gut behandelt und es den Geſellſchaften überläßt, ſich deß-<lb/> halb im Frieden mit dem State, in deſſen Gebiet die Eiſenbahnen verbleiben, aus<lb/> einander zu ſetzen. Aehnlich verhält es ſich mit <hi rendition="#g">Waffenmagazinen</hi>, welche zur<lb/> Kriegsführung dienen, aber vielleicht einer <hi rendition="#g">Privatperſon</hi> gehören. Die Beſtim-<lb/> mung dieſer Sachen für Kriegszwecke bringt ſie in die Gefahr, von der Kriegsfüh-<lb/> rung weggenommen zu werden. <hi rendition="#g">Magazine</hi> von <hi rendition="#g">Lebensmitteln</hi> verfallen aber<lb/> nur dann dieſer Wegnahme, wenn ſie <hi rendition="#g">für Kriegszwecke</hi>, nicht aber, wenn ſie<lb/> zur Ernährung der <hi rendition="#g">friedlichen Bevölkerung</hi> beſtimmt waren. Natürlich<lb/> bleibt immer das Recht der Kriegsgewalt vorbehalten, für die nöthige Ernährung<lb/> des Heeres durchgreifende Sorge zu üben.</p> </div><lb/> <div n="5"> <head>646.</head><lb/> <p>Ebenſo iſt die ſiegende Kriegsgewalt berechtigt, ſich der öffentlichen<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [349/0371]
Das Kriegsrecht.
der Occupation preisgegeben ſei, ſondern es wird im Gegentheil voraus-
geſetzt, gerade weil es dem feindlichen Stat zu gehöre, dürfe es demſelben
im Krieg weggenommen werden. Man ſieht darin ein kriegeriſch gerechtfer-
tigtes Zwangsmittel gegen den feindlichen Stat. Indeſſen ſogar innerhalb der
Habe des feindlichen Stats werden weitere Unterſcheidungen zur Beſchränkung der
feindlichen Wegnahme gemacht. Vgl. unten § 648 f.
645.
Insbeſondere ſind die Kriegscaſſen, Waffen und Waffenvorräthe,
Magazine mit Lebensmitteln, Transportmittel für das Heer und überhaupt
alles das Vermögen, welches der Kriegsführung unmittelbar dient, als
Kriegsbeute zu betrachten und fallen zur Verfügung und Benutzung dem
ſiegenden Heere zu, vorbehalten die beſondern Anordnungen der ſiegenden
Statsgewalt.
Am entſchiedenſten macht ſich nach der Natur und den Bedürfniſſen der
Kriegsführung das Recht der Wegnahme geltend mit Bezug auf die geſammte
Kriegsausrüſtung des Feindes. Da greift die Kriegsgewalt zu, ſoweit ſie ſich
derſelben bemächtigen kann, ſelbſt ohne zu unterſuchen, ob dieſelbe nicht vielleicht
zum Theil Privatgut ſei. Wenn die Beziehung zur feindlichen Kriegs-
ausrüſtung offenbar iſt, ſo verfallen alle derartigen Gegenſtände der Wegnahme
des ſiegenden Heeres, indem es eine der wichtigſten Aufgaben der Kriegsführung iſt,
den Feind zu entwaffnen. Es gilt das in neuerer Zeit auch von dem Material
der Eiſenbahnen (Locomotiven, Perſonen- und Güterwagen), obwohl dasſelbe
vielleicht nicht Eigenthum des Stats, ſondern einer Privatgeſellſchaft iſt. Die Eiſen-
bahnen dienen doch dem öffentlichen Verkehr in eminenter Weiſe und ihre
Verwendung für die Kriegsführung zu Truppenmärſchen und Lieferungen von Lebens-
mitteln u. ſ. f. iſt ſo äußerſt wichtig, daß die Kriegsgewalt dieſelben wenigſtens pro-
viſoriſch als öffentliches Gut behandelt und es den Geſellſchaften überläßt, ſich deß-
halb im Frieden mit dem State, in deſſen Gebiet die Eiſenbahnen verbleiben, aus
einander zu ſetzen. Aehnlich verhält es ſich mit Waffenmagazinen, welche zur
Kriegsführung dienen, aber vielleicht einer Privatperſon gehören. Die Beſtim-
mung dieſer Sachen für Kriegszwecke bringt ſie in die Gefahr, von der Kriegsfüh-
rung weggenommen zu werden. Magazine von Lebensmitteln verfallen aber
nur dann dieſer Wegnahme, wenn ſie für Kriegszwecke, nicht aber, wenn ſie
zur Ernährung der friedlichen Bevölkerung beſtimmt waren. Natürlich
bleibt immer das Recht der Kriegsgewalt vorbehalten, für die nöthige Ernährung
des Heeres durchgreifende Sorge zu üben.
646.
Ebenſo iſt die ſiegende Kriegsgewalt berechtigt, ſich der öffentlichen
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