der Occupation preisgegeben sei, sondern es wird im Gegentheil voraus- gesetzt, gerade weil es dem feindlichen Stat zu gehöre, dürfe es demselben im Krieg weggenommen werden. Man sieht darin ein kriegerisch gerechtfer- tigtes Zwangsmittel gegen den feindlichen Stat. Indessen sogar innerhalb der Habe des feindlichen Stats werden weitere Unterscheidungen zur Beschränkung der feindlichen Wegnahme gemacht. Vgl. unten § 648 f.
645.
Insbesondere sind die Kriegscassen, Waffen und Waffenvorräthe, Magazine mit Lebensmitteln, Transportmittel für das Heer und überhaupt alles das Vermögen, welches der Kriegsführung unmittelbar dient, als Kriegsbeute zu betrachten und fallen zur Verfügung und Benutzung dem siegenden Heere zu, vorbehalten die besondern Anordnungen der siegenden Statsgewalt.
Am entschiedensten macht sich nach der Natur und den Bedürfnissen der Kriegsführung das Recht der Wegnahme geltend mit Bezug auf die gesammte Kriegsausrüstung des Feindes. Da greift die Kriegsgewalt zu, soweit sie sich derselben bemächtigen kann, selbst ohne zu untersuchen, ob dieselbe nicht vielleicht zum Theil Privatgut sei. Wenn die Beziehung zur feindlichen Kriegs- ausrüstung offenbar ist, so verfallen alle derartigen Gegenstände der Wegnahme des siegenden Heeres, indem es eine der wichtigsten Aufgaben der Kriegsführung ist, den Feind zu entwaffnen. Es gilt das in neuerer Zeit auch von dem Material der Eisenbahnen (Locomotiven, Personen- und Güterwagen), obwohl dasselbe vielleicht nicht Eigenthum des Stats, sondern einer Privatgesellschaft ist. Die Eisen- bahnen dienen doch dem öffentlichen Verkehr in eminenter Weise und ihre Verwendung für die Kriegsführung zu Truppenmärschen und Lieferungen von Lebens- mitteln u. s. f. ist so äußerst wichtig, daß die Kriegsgewalt dieselben wenigstens pro- visorisch als öffentliches Gut behandelt und es den Gesellschaften überläßt, sich deß- halb im Frieden mit dem State, in dessen Gebiet die Eisenbahnen verbleiben, aus einander zu setzen. Aehnlich verhält es sich mit Waffenmagazinen, welche zur Kriegsführung dienen, aber vielleicht einer Privatperson gehören. Die Bestim- mung dieser Sachen für Kriegszwecke bringt sie in die Gefahr, von der Kriegsfüh- rung weggenommen zu werden. Magazine von Lebensmitteln verfallen aber nur dann dieser Wegnahme, wenn sie für Kriegszwecke, nicht aber, wenn sie zur Ernährung der friedlichen Bevölkerung bestimmt waren. Natürlich bleibt immer das Recht der Kriegsgewalt vorbehalten, für die nöthige Ernährung des Heeres durchgreifende Sorge zu üben.
646.
Ebenso ist die siegende Kriegsgewalt berechtigt, sich der öffentlichen
Das Kriegsrecht.
der Occupation preisgegeben ſei, ſondern es wird im Gegentheil voraus- geſetzt, gerade weil es dem feindlichen Stat zu gehöre, dürfe es demſelben im Krieg weggenommen werden. Man ſieht darin ein kriegeriſch gerechtfer- tigtes Zwangsmittel gegen den feindlichen Stat. Indeſſen ſogar innerhalb der Habe des feindlichen Stats werden weitere Unterſcheidungen zur Beſchränkung der feindlichen Wegnahme gemacht. Vgl. unten § 648 f.
645.
Insbeſondere ſind die Kriegscaſſen, Waffen und Waffenvorräthe, Magazine mit Lebensmitteln, Transportmittel für das Heer und überhaupt alles das Vermögen, welches der Kriegsführung unmittelbar dient, als Kriegsbeute zu betrachten und fallen zur Verfügung und Benutzung dem ſiegenden Heere zu, vorbehalten die beſondern Anordnungen der ſiegenden Statsgewalt.
Am entſchiedenſten macht ſich nach der Natur und den Bedürfniſſen der Kriegsführung das Recht der Wegnahme geltend mit Bezug auf die geſammte Kriegsausrüſtung des Feindes. Da greift die Kriegsgewalt zu, ſoweit ſie ſich derſelben bemächtigen kann, ſelbſt ohne zu unterſuchen, ob dieſelbe nicht vielleicht zum Theil Privatgut ſei. Wenn die Beziehung zur feindlichen Kriegs- ausrüſtung offenbar iſt, ſo verfallen alle derartigen Gegenſtände der Wegnahme des ſiegenden Heeres, indem es eine der wichtigſten Aufgaben der Kriegsführung iſt, den Feind zu entwaffnen. Es gilt das in neuerer Zeit auch von dem Material der Eiſenbahnen (Locomotiven, Perſonen- und Güterwagen), obwohl dasſelbe vielleicht nicht Eigenthum des Stats, ſondern einer Privatgeſellſchaft iſt. Die Eiſen- bahnen dienen doch dem öffentlichen Verkehr in eminenter Weiſe und ihre Verwendung für die Kriegsführung zu Truppenmärſchen und Lieferungen von Lebens- mitteln u. ſ. f. iſt ſo äußerſt wichtig, daß die Kriegsgewalt dieſelben wenigſtens pro- viſoriſch als öffentliches Gut behandelt und es den Geſellſchaften überläßt, ſich deß- halb im Frieden mit dem State, in deſſen Gebiet die Eiſenbahnen verbleiben, aus einander zu ſetzen. Aehnlich verhält es ſich mit Waffenmagazinen, welche zur Kriegsführung dienen, aber vielleicht einer Privatperſon gehören. Die Beſtim- mung dieſer Sachen für Kriegszwecke bringt ſie in die Gefahr, von der Kriegsfüh- rung weggenommen zu werden. Magazine von Lebensmitteln verfallen aber nur dann dieſer Wegnahme, wenn ſie für Kriegszwecke, nicht aber, wenn ſie zur Ernährung der friedlichen Bevölkerung beſtimmt waren. Natürlich bleibt immer das Recht der Kriegsgewalt vorbehalten, für die nöthige Ernährung des Heeres durchgreifende Sorge zu üben.
646.
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Das Kriegsrecht.
der Occupation preisgegeben ſei, ſondern es wird im Gegentheil voraus-
geſetzt, gerade weil es dem feindlichen Stat zu gehöre, dürfe es demſelben
im Krieg weggenommen werden. Man ſieht darin ein kriegeriſch gerechtfer-
tigtes Zwangsmittel gegen den feindlichen Stat. Indeſſen ſogar innerhalb der
Habe des feindlichen Stats werden weitere Unterſcheidungen zur Beſchränkung der
feindlichen Wegnahme gemacht. Vgl. unten § 648 f.
645.
Insbeſondere ſind die Kriegscaſſen, Waffen und Waffenvorräthe,
Magazine mit Lebensmitteln, Transportmittel für das Heer und überhaupt
alles das Vermögen, welches der Kriegsführung unmittelbar dient, als
Kriegsbeute zu betrachten und fallen zur Verfügung und Benutzung dem
ſiegenden Heere zu, vorbehalten die beſondern Anordnungen der ſiegenden
Statsgewalt.
Am entſchiedenſten macht ſich nach der Natur und den Bedürfniſſen der
Kriegsführung das Recht der Wegnahme geltend mit Bezug auf die geſammte
Kriegsausrüſtung des Feindes. Da greift die Kriegsgewalt zu, ſoweit ſie ſich
derſelben bemächtigen kann, ſelbſt ohne zu unterſuchen, ob dieſelbe nicht vielleicht
zum Theil Privatgut ſei. Wenn die Beziehung zur feindlichen Kriegs-
ausrüſtung offenbar iſt, ſo verfallen alle derartigen Gegenſtände der Wegnahme
des ſiegenden Heeres, indem es eine der wichtigſten Aufgaben der Kriegsführung iſt,
den Feind zu entwaffnen. Es gilt das in neuerer Zeit auch von dem Material
der Eiſenbahnen (Locomotiven, Perſonen- und Güterwagen), obwohl dasſelbe
vielleicht nicht Eigenthum des Stats, ſondern einer Privatgeſellſchaft iſt. Die Eiſen-
bahnen dienen doch dem öffentlichen Verkehr in eminenter Weiſe und ihre
Verwendung für die Kriegsführung zu Truppenmärſchen und Lieferungen von Lebens-
mitteln u. ſ. f. iſt ſo äußerſt wichtig, daß die Kriegsgewalt dieſelben wenigſtens pro-
viſoriſch als öffentliches Gut behandelt und es den Geſellſchaften überläßt, ſich deß-
halb im Frieden mit dem State, in deſſen Gebiet die Eiſenbahnen verbleiben, aus
einander zu ſetzen. Aehnlich verhält es ſich mit Waffenmagazinen, welche zur
Kriegsführung dienen, aber vielleicht einer Privatperſon gehören. Die Beſtim-
mung dieſer Sachen für Kriegszwecke bringt ſie in die Gefahr, von der Kriegsfüh-
rung weggenommen zu werden. Magazine von Lebensmitteln verfallen aber
nur dann dieſer Wegnahme, wenn ſie für Kriegszwecke, nicht aber, wenn ſie
zur Ernährung der friedlichen Bevölkerung beſtimmt waren. Natürlich
bleibt immer das Recht der Kriegsgewalt vorbehalten, für die nöthige Ernährung
des Heeres durchgreifende Sorge zu üben.
646.
Ebenſo iſt die ſiegende Kriegsgewalt berechtigt, ſich der öffentlichen
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/371>, abgerufen am 22.02.2025.
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