von äußerster Gefährlichkeit. Sowohl kriegerische als strafrechtliche Mittel können hier angewendet werden, um die Gefahr zu bewältigen. Werden die empörten Kriegsgefangenen von Bewaffneten umstellt und für den Fall, daß sie nicht sofort zum Gehorsam zurückkehren, mit Erschießen bedroht, so ist das Erneuerung des Kampfs, eine kriegerische oder, wenn man will, eine policeiliche Maß- regel, nicht Justiz. Aber die Gefährlichkeit solcher Verschwörungen und Aufstände rechtfertigt auch ein strafgerichtliches Einschreiten der Kriegsgerichte.
611.
Wenn es einzelnen Kriegsgefangenen oder auch den Kriegsgefangenen insgesammt gelingt, zu entkommen und dieselben Personen später wieder kriegsgefangen werden, so können sie wegen der frühern Flucht nicht ge- straft werden.
Am. 78. Sie können wohl sorgfältiger verwahrt werden. Vgl. oben zu 604.
612.
Die Auswechslung der Kriegsgefangenen während des Krieges ist Sache der freien Convenienz der kriegführenden Staten. Ohne vorherigen Vertrag ist kein Stat verpflichtet, dieselbe zu gewähren. Auch eine vor- herige Verabredung verliert ihre Verbindlichkeit, wenn der andere Paciscent dieselbe verletzt hat.
Am. 109. Das wechselseitige Interesse der beiden kriegführenden Parteien bestimmt dieselben, zumal bei lange dauernden Kriegen, wohl, die beiderseitigen Kriegsgefangenen gegen einander auszuwechseln. Sie vermindern dadurch die Lasten der Unterhaltung und Bewachung, und verlieren nichts dabei, denn die Vor- theile, welche eine Kriegspartei der andern gegenüber von dem Besitze von Kriegs- gefangenen erwartet, können erst beginnen, wenn die eine Partei mehr Kriegs- gefangene besitzt, als die andere. Soweit sich beide gleichstehen, werden die Vor- theile des Besitzes aufgewogen und nur die Nachtheile bleiben beiderseits. Aber eine Pflicht, die Gefangenen umzutauschen, besteht nicht. Vielmehr bedarf es einer beson- dern Verständigung beider Parteien, um die Auswechslung vorzunehmen.
613.
Im Zweifel ist anzunehmen, daß die Auswechslung Mann für Mann, Rang für Rang, Verwundete für Verwundete gemeint sei und daß die Entlassenen wechselseitig für die Dauer des gegenwärtigen Krieges nicht mehr zu Kriegsdiensten verwendet werden.
Achtes Buch.
von äußerſter Gefährlichkeit. Sowohl kriegeriſche als ſtrafrechtliche Mittel können hier angewendet werden, um die Gefahr zu bewältigen. Werden die empörten Kriegsgefangenen von Bewaffneten umſtellt und für den Fall, daß ſie nicht ſofort zum Gehorſam zurückkehren, mit Erſchießen bedroht, ſo iſt das Erneuerung des Kampfs, eine kriegeriſche oder, wenn man will, eine policeiliche Maß- regel, nicht Juſtiz. Aber die Gefährlichkeit ſolcher Verſchwörungen und Aufſtände rechtfertigt auch ein ſtrafgerichtliches Einſchreiten der Kriegsgerichte.
611.
Wenn es einzelnen Kriegsgefangenen oder auch den Kriegsgefangenen insgeſammt gelingt, zu entkommen und dieſelben Perſonen ſpäter wieder kriegsgefangen werden, ſo können ſie wegen der frühern Flucht nicht ge- ſtraft werden.
Am. 78. Sie können wohl ſorgfältiger verwahrt werden. Vgl. oben zu 604.
612.
Die Auswechslung der Kriegsgefangenen während des Krieges iſt Sache der freien Convenienz der kriegführenden Staten. Ohne vorherigen Vertrag iſt kein Stat verpflichtet, dieſelbe zu gewähren. Auch eine vor- herige Verabredung verliert ihre Verbindlichkeit, wenn der andere Paciſcent dieſelbe verletzt hat.
Am. 109. Das wechſelſeitige Intereſſe der beiden kriegführenden Parteien beſtimmt dieſelben, zumal bei lange dauernden Kriegen, wohl, die beiderſeitigen Kriegsgefangenen gegen einander auszuwechſeln. Sie vermindern dadurch die Laſten der Unterhaltung und Bewachung, und verlieren nichts dabei, denn die Vor- theile, welche eine Kriegspartei der andern gegenüber von dem Beſitze von Kriegs- gefangenen erwartet, können erſt beginnen, wenn die eine Partei mehr Kriegs- gefangene beſitzt, als die andere. Soweit ſich beide gleichſtehen, werden die Vor- theile des Beſitzes aufgewogen und nur die Nachtheile bleiben beiderſeits. Aber eine Pflicht, die Gefangenen umzutauſchen, beſteht nicht. Vielmehr bedarf es einer beſon- dern Verſtändigung beider Parteien, um die Auswechslung vorzunehmen.
613.
Im Zweifel iſt anzunehmen, daß die Auswechslung Mann für Mann, Rang für Rang, Verwundete für Verwundete gemeint ſei und daß die Entlaſſenen wechſelſeitig für die Dauer des gegenwärtigen Krieges nicht mehr zu Kriegsdienſten verwendet werden.
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Achtes Buch.
von äußerſter Gefährlichkeit. Sowohl kriegeriſche als ſtrafrechtliche Mittel können
hier angewendet werden, um die Gefahr zu bewältigen. Werden die empörten
Kriegsgefangenen von Bewaffneten umſtellt und für den Fall, daß ſie nicht ſofort
zum Gehorſam zurückkehren, mit Erſchießen bedroht, ſo iſt das Erneuerung des
Kampfs, eine kriegeriſche oder, wenn man will, eine policeiliche Maß-
regel, nicht Juſtiz. Aber die Gefährlichkeit ſolcher Verſchwörungen und Aufſtände
rechtfertigt auch ein ſtrafgerichtliches Einſchreiten der Kriegsgerichte.
611.
Wenn es einzelnen Kriegsgefangenen oder auch den Kriegsgefangenen
insgeſammt gelingt, zu entkommen und dieſelben Perſonen ſpäter wieder
kriegsgefangen werden, ſo können ſie wegen der frühern Flucht nicht ge-
ſtraft werden.
Am. 78. Sie können wohl ſorgfältiger verwahrt werden. Vgl. oben zu 604.
612.
Die Auswechslung der Kriegsgefangenen während des Krieges iſt
Sache der freien Convenienz der kriegführenden Staten. Ohne vorherigen
Vertrag iſt kein Stat verpflichtet, dieſelbe zu gewähren. Auch eine vor-
herige Verabredung verliert ihre Verbindlichkeit, wenn der andere Paciſcent
dieſelbe verletzt hat.
Am. 109. Das wechſelſeitige Intereſſe der beiden kriegführenden Parteien
beſtimmt dieſelben, zumal bei lange dauernden Kriegen, wohl, die beiderſeitigen
Kriegsgefangenen gegen einander auszuwechſeln. Sie vermindern dadurch die
Laſten der Unterhaltung und Bewachung, und verlieren nichts dabei, denn die Vor-
theile, welche eine Kriegspartei der andern gegenüber von dem Beſitze von Kriegs-
gefangenen erwartet, können erſt beginnen, wenn die eine Partei mehr Kriegs-
gefangene beſitzt, als die andere. Soweit ſich beide gleichſtehen, werden die Vor-
theile des Beſitzes aufgewogen und nur die Nachtheile bleiben beiderſeits. Aber eine
Pflicht, die Gefangenen umzutauſchen, beſteht nicht. Vielmehr bedarf es einer beſon-
dern Verſtändigung beider Parteien, um die Auswechslung vorzunehmen.
613.
Im Zweifel iſt anzunehmen, daß die Auswechslung Mann für
Mann, Rang für Rang, Verwundete für Verwundete gemeint ſei und daß
die Entlaſſenen wechſelſeitig für die Dauer des gegenwärtigen Krieges nicht
mehr zu Kriegsdienſten verwendet werden.
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/358>, abgerufen am 03.03.2025.
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