zu machen, welche die Interessen des States gefährden, welchem sie gedient haben.
Am. 76. 80. Die Verwendung zu angemessenen und verhältniß- mäßigen Arbeiten dient als Ersatz für die Kosten, welche der Stat auf den Unterhalt der Kriegsgefangenen auszulegen genöthigt ist. Es ist das dem Wesen nach nicht Strafarbeit, sondern Ersatzarbeit. Die bona fides, welche die Staten einander schulden, erfordert, daß man auch den Kriegsgefangenen nichts Un- würdiges zumuthe; und moralisch unwürdig wäre es, sie zum Kampf wider ihr Vaterland und ihre Stats- und Kriegsgenossen zu zwingen. Dagegen hat die Arbeit an Festungsbauten, während der Kampf noch fern ist, nicht diesen Charakter unmittelbarer Feindseligkeit. Dazu können daher Kriegsgefangene wohl angehalten werden. Vgl. oben § 576.
609.
Ein Kriegsgefangener, welcher entspringt, kann bei der Verfolgung auf der Flucht getödtet, aber er darf nicht, wenn er wieder eingefangen wird, wegen des Fluchtversuchs gestraft werden.
1. Am. 77. Die Kriegsgefangenschaft wird durch einen Act der feindlichen Kriegsgewalt begründet, welche ihre Ueberlegenheit bewährt. Es ist ein Unglück, kriegsgefangen zu werden, aber es ist kein Unrecht, sich der Gefangenschaft wie- der zu entziehn, denn das heißt nur, die natürliche Freiheit wieder erwerben und einer Demüthigung entgehn.
2. Flüchtige Kriegsgefangene können freilich wieder mit Gewalt ver- folgt werden. Wenn die Flucht vereitelt und sie wieder eingebracht werden, dann ist eine strengere Bewachung, nach Umständen eine engere Einschließung wohl gerechtfertigt, aber nicht die Bestrafung derer, welche kein Vergehen begangen, sondern nur einen menschlich untadelhaften und kriegsrechtlich erlaubten Versuch gemacht haben, die verlorene Freiheit wieder zu gewinnen.
610.
Eine Verschwörung unter den Kriegsgefangenen zu allgemeiner Be- freiung kann wegen ihrer Gefährlichkeit kriegsgerichtlich bestraft werden. Ebenso ein Complot unter den Kriegsgefangenen zum Aufruhr gegen die bestehenden Autoritäten. Sogar die Todesstrafe ist in schwereren Fällen der Art gerechtfertigt.
Am. 77. Die Kriegsgefangenen sind feindliche Personen, welche nur der Uebergewalt sich fügen. Jede gemeinsame Auflehnung derselben ist daher
Das Kriegsrecht.
zu machen, welche die Intereſſen des States gefährden, welchem ſie gedient haben.
Am. 76. 80. Die Verwendung zu angemeſſenen und verhältniß- mäßigen Arbeiten dient als Erſatz für die Koſten, welche der Stat auf den Unterhalt der Kriegsgefangenen auszulegen genöthigt iſt. Es iſt das dem Weſen nach nicht Strafarbeit, ſondern Erſatzarbeit. Die bona fides, welche die Staten einander ſchulden, erfordert, daß man auch den Kriegsgefangenen nichts Un- würdiges zumuthe; und moraliſch unwürdig wäre es, ſie zum Kampf wider ihr Vaterland und ihre Stats- und Kriegsgenoſſen zu zwingen. Dagegen hat die Arbeit an Feſtungsbauten, während der Kampf noch fern iſt, nicht dieſen Charakter unmittelbarer Feindſeligkeit. Dazu können daher Kriegsgefangene wohl angehalten werden. Vgl. oben § 576.
609.
Ein Kriegsgefangener, welcher entſpringt, kann bei der Verfolgung auf der Flucht getödtet, aber er darf nicht, wenn er wieder eingefangen wird, wegen des Fluchtverſuchs geſtraft werden.
1. Am. 77. Die Kriegsgefangenſchaft wird durch einen Act der feindlichen Kriegsgewalt begründet, welche ihre Ueberlegenheit bewährt. Es iſt ein Unglück, kriegsgefangen zu werden, aber es iſt kein Unrecht, ſich der Gefangenſchaft wie- der zu entziehn, denn das heißt nur, die natürliche Freiheit wieder erwerben und einer Demüthigung entgehn.
2. Flüchtige Kriegsgefangene können freilich wieder mit Gewalt ver- folgt werden. Wenn die Flucht vereitelt und ſie wieder eingebracht werden, dann iſt eine ſtrengere Bewachung, nach Umſtänden eine engere Einſchließung wohl gerechtfertigt, aber nicht die Beſtrafung derer, welche kein Vergehen begangen, ſondern nur einen menſchlich untadelhaften und kriegsrechtlich erlaubten Verſuch gemacht haben, die verlorene Freiheit wieder zu gewinnen.
610.
Eine Verſchwörung unter den Kriegsgefangenen zu allgemeiner Be- freiung kann wegen ihrer Gefährlichkeit kriegsgerichtlich beſtraft werden. Ebenſo ein Complot unter den Kriegsgefangenen zum Aufruhr gegen die beſtehenden Autoritäten. Sogar die Todesſtrafe iſt in ſchwereren Fällen der Art gerechtfertigt.
Am. 77. Die Kriegsgefangenen ſind feindliche Perſonen, welche nur der Uebergewalt ſich fügen. Jede gemeinſame Auflehnung derſelben iſt daher
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0357"n="335"/><fwplace="top"type="header">Das Kriegsrecht.</fw><lb/>
zu machen, welche die Intereſſen des States gefährden, welchem ſie gedient<lb/>
haben.</p><lb/><p><hirendition="#g">Am</hi>. 76. 80. Die Verwendung zu <hirendition="#g">angemeſſenen</hi> und <hirendition="#g">verhältniß-<lb/>
mäßigen Arbeiten</hi> dient als Erſatz für die Koſten, welche der Stat auf den<lb/>
Unterhalt der Kriegsgefangenen auszulegen genöthigt iſt. Es iſt das dem Weſen<lb/>
nach <hirendition="#g">nicht Strafarbeit</hi>, ſondern <hirendition="#g">Erſatzarbeit</hi>. Die <hirendition="#aq">bona fides</hi>, welche die<lb/>
Staten einander ſchulden, erfordert, daß man auch den Kriegsgefangenen nichts Un-<lb/>
würdiges zumuthe; und moraliſch unwürdig wäre es, ſie zum Kampf wider ihr<lb/>
Vaterland und ihre Stats- und Kriegsgenoſſen zu zwingen. Dagegen hat die<lb/>
Arbeit an Feſtungsbauten, während der Kampf noch fern iſt, nicht dieſen Charakter<lb/>
unmittelbarer Feindſeligkeit. Dazu können daher Kriegsgefangene wohl angehalten<lb/>
werden. Vgl. oben § 576.</p></div><lb/><divn="4"><head>609.</head><lb/><p>Ein Kriegsgefangener, welcher entſpringt, kann bei der Verfolgung<lb/>
auf der Flucht getödtet, aber er darf nicht, wenn er wieder eingefangen<lb/>
wird, wegen des Fluchtverſuchs geſtraft werden.</p><lb/><p>1. <hirendition="#g">Am</hi>. 77. Die Kriegsgefangenſchaft wird durch einen Act der feindlichen<lb/>
Kriegsgewalt begründet, welche ihre Ueberlegenheit bewährt. Es iſt <hirendition="#g">ein Unglück</hi>,<lb/>
kriegsgefangen zu werden, aber es iſt <hirendition="#g">kein Unrecht</hi>, ſich der Gefangenſchaft wie-<lb/>
der <hirendition="#g">zu entziehn</hi>, denn das heißt nur, die natürliche Freiheit wieder erwerben und<lb/>
einer Demüthigung entgehn.</p><lb/><p>2. <hirendition="#g">Flüchtige Kriegsgefangene</hi> können freilich wieder mit Gewalt ver-<lb/>
folgt werden. Wenn die Flucht vereitelt und ſie wieder eingebracht werden, dann<lb/>
iſt eine <hirendition="#g">ſtrengere Bewachung</hi>, nach Umſtänden eine engere Einſchließung wohl<lb/>
gerechtfertigt, aber nicht die Beſtrafung derer, welche kein Vergehen begangen, ſondern<lb/>
nur einen <hirendition="#g">menſchlich untadelhaften</hi> und <hirendition="#g">kriegsrechtlich erlaubten</hi><lb/>
Verſuch gemacht haben, die verlorene Freiheit wieder zu gewinnen.</p></div><lb/><divn="4"><head>610.</head><lb/><p>Eine Verſchwörung unter den Kriegsgefangenen zu allgemeiner Be-<lb/>
freiung kann wegen ihrer Gefährlichkeit kriegsgerichtlich beſtraft werden.<lb/>
Ebenſo ein Complot unter den Kriegsgefangenen zum Aufruhr gegen die<lb/>
beſtehenden Autoritäten. Sogar die Todesſtrafe iſt in ſchwereren Fällen<lb/>
der Art gerechtfertigt.</p><lb/><p><hirendition="#g">Am</hi>. 77. Die Kriegsgefangenen ſind feindliche Perſonen, welche nur der<lb/>
Uebergewalt ſich fügen. Jede <hirendition="#g">gemeinſame Auflehnung</hi> derſelben iſt daher<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[335/0357]
Das Kriegsrecht.
zu machen, welche die Intereſſen des States gefährden, welchem ſie gedient
haben.
Am. 76. 80. Die Verwendung zu angemeſſenen und verhältniß-
mäßigen Arbeiten dient als Erſatz für die Koſten, welche der Stat auf den
Unterhalt der Kriegsgefangenen auszulegen genöthigt iſt. Es iſt das dem Weſen
nach nicht Strafarbeit, ſondern Erſatzarbeit. Die bona fides, welche die
Staten einander ſchulden, erfordert, daß man auch den Kriegsgefangenen nichts Un-
würdiges zumuthe; und moraliſch unwürdig wäre es, ſie zum Kampf wider ihr
Vaterland und ihre Stats- und Kriegsgenoſſen zu zwingen. Dagegen hat die
Arbeit an Feſtungsbauten, während der Kampf noch fern iſt, nicht dieſen Charakter
unmittelbarer Feindſeligkeit. Dazu können daher Kriegsgefangene wohl angehalten
werden. Vgl. oben § 576.
609.
Ein Kriegsgefangener, welcher entſpringt, kann bei der Verfolgung
auf der Flucht getödtet, aber er darf nicht, wenn er wieder eingefangen
wird, wegen des Fluchtverſuchs geſtraft werden.
1. Am. 77. Die Kriegsgefangenſchaft wird durch einen Act der feindlichen
Kriegsgewalt begründet, welche ihre Ueberlegenheit bewährt. Es iſt ein Unglück,
kriegsgefangen zu werden, aber es iſt kein Unrecht, ſich der Gefangenſchaft wie-
der zu entziehn, denn das heißt nur, die natürliche Freiheit wieder erwerben und
einer Demüthigung entgehn.
2. Flüchtige Kriegsgefangene können freilich wieder mit Gewalt ver-
folgt werden. Wenn die Flucht vereitelt und ſie wieder eingebracht werden, dann
iſt eine ſtrengere Bewachung, nach Umſtänden eine engere Einſchließung wohl
gerechtfertigt, aber nicht die Beſtrafung derer, welche kein Vergehen begangen, ſondern
nur einen menſchlich untadelhaften und kriegsrechtlich erlaubten
Verſuch gemacht haben, die verlorene Freiheit wieder zu gewinnen.
610.
Eine Verſchwörung unter den Kriegsgefangenen zu allgemeiner Be-
freiung kann wegen ihrer Gefährlichkeit kriegsgerichtlich beſtraft werden.
Ebenſo ein Complot unter den Kriegsgefangenen zum Aufruhr gegen die
beſtehenden Autoritäten. Sogar die Todesſtrafe iſt in ſchwereren Fällen
der Art gerechtfertigt.
Am. 77. Die Kriegsgefangenen ſind feindliche Perſonen, welche nur der
Uebergewalt ſich fügen. Jede gemeinſame Auflehnung derſelben iſt daher
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/357>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.