5. Recht und Pflicht der Kriegsgewalt gegenüber den feindlichen Personen und den friedlichen Bewohnern in Feindesland. Quartier- geben. Verwundete in der Schlacht. Kriegsgefangene. Geiseln. Auswechslung der Gefangenen. Entlassung auf Ehrenwort.
568.
Das moderne Völkerrecht der civilisirten Völker erkennt kein abso- lutes Recht der Kriegsgewalt an weder über die friedlichen Bewohner in dem feindlichen Lande, noch selbst über die kriegerischen Angehörigen des feindlichen Stats.
Vgl. die Einleitung S. 30 f. Am. Kr. 23. Eine große Zahl von ältern Völkerrechtslehrern stellte noch den barbarischen Grundsatz an die Spitze, daß dem Feind wider den Feind Alles erlaubt sei. Bynkershoek spricht noch von einem Recht des Siegers über Leben und Tod der Feinde und versteht unter Feinden alle Statsangehörigen des feindlichen Stats. Sogar Heffter behauptet noch das überlieferte "Kriegsrecht auf Leben und Tod" (§ 126) als eine vermeint- liche Regel und sucht nur die Anwendung desselben zu beschränken. Dieses angeb- liche Recht des Siegers steht aber in offenbarem Widerspruch mit dem natürlichen Menschenrecht, welches im Krieg nicht aufhört, und mit der natürlichen Beschränkung aller Statsgewalt auf die Bedürfnisse des Gemeinlebens der Menschen, folglich auch mit der Beschränkung der Kriegsgewalt, welche nur Ausübung der Statsgewalt ist. Dasselbe hat auch keinen Grund in dem Rechtsgrund des Kriegs, noch wird es durch den Zweck des Kriegs, Herstellung der Rechtsordnung und des Friedens gefordert. Es ist eine ganze halt- lose Erfindung der Juristen, welche der Wildheit der Kriegsgewaltigen mit einer ungeheuerlichen Rechtsfiction zu Hülfe kommen wollten.
569.
Als feindliche Personen im eigentlichen activen Sinne gelten die, welche an dem Kampfe der Staten persönlich und in geordneter Weise Theil nehmen, indem sie zu dem Heere gehören und unter den Befehlen der feindlichen Macht stehen.
1. In weiterem passiven Sinn sind alle Angehörigen des feind- lichen States den Folgen der Feindschaft der Staten ausgesetzt und insofern pas- sive Feinde. Da aber nur die Staten die eigentlichen Kriegsparteien sind, so sind im strengsten Sinne des Wortes nur die Staten Feinde. Die Trup-
Das Kriegsrecht.
5. Recht und Pflicht der Kriegsgewalt gegenüber den feindlichen Perſonen und den friedlichen Bewohnern in Feindesland. Quartier- geben. Verwundete in der Schlacht. Kriegsgefangene. Geiſeln. Auswechslung der Gefangenen. Entlaſſung auf Ehrenwort.
568.
Das moderne Völkerrecht der civiliſirten Völker erkennt kein abſo- lutes Recht der Kriegsgewalt an weder über die friedlichen Bewohner in dem feindlichen Lande, noch ſelbſt über die kriegeriſchen Angehörigen des feindlichen Stats.
Vgl. die Einleitung S. 30 f. Am. Kr. 23. Eine große Zahl von ältern Völkerrechtslehrern ſtellte noch den barbariſchen Grundſatz an die Spitze, daß dem Feind wider den Feind Alles erlaubt ſei. Bynkershoek ſpricht noch von einem Recht des Siegers über Leben und Tod der Feinde und verſteht unter Feinden alle Statsangehörigen des feindlichen Stats. Sogar Heffter behauptet noch das überlieferte „Kriegsrecht auf Leben und Tod“ (§ 126) als eine vermeint- liche Regel und ſucht nur die Anwendung desſelben zu beſchränken. Dieſes angeb- liche Recht des Siegers ſteht aber in offenbarem Widerſpruch mit dem natürlichen Menſchenrecht, welches im Krieg nicht aufhört, und mit der natürlichen Beſchränkung aller Statsgewalt auf die Bedürfniſſe des Gemeinlebens der Menſchen, folglich auch mit der Beſchränkung der Kriegsgewalt, welche nur Ausübung der Statsgewalt iſt. Dasſelbe hat auch keinen Grund in dem Rechtsgrund des Kriegs, noch wird es durch den Zweck des Kriegs, Herſtellung der Rechtsordnung und des Friedens gefordert. Es iſt eine ganze halt- loſe Erfindung der Juriſten, welche der Wildheit der Kriegsgewaltigen mit einer ungeheuerlichen Rechtsfiction zu Hülfe kommen wollten.
569.
Als feindliche Perſonen im eigentlichen activen Sinne gelten die, welche an dem Kampfe der Staten perſönlich und in geordneter Weiſe Theil nehmen, indem ſie zu dem Heere gehören und unter den Befehlen der feindlichen Macht ſtehen.
1. In weiterem paſſiven Sinn ſind alle Angehörigen des feind- lichen States den Folgen der Feindſchaft der Staten ausgeſetzt und inſofern paſ- ſive Feinde. Da aber nur die Staten die eigentlichen Kriegsparteien ſind, ſo ſind im ſtrengſten Sinne des Wortes nur die Staten Feinde. Die Trup-
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Das Kriegsrecht.
5. Recht und Pflicht der Kriegsgewalt gegenüber den feindlichen
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geben. Verwundete in der Schlacht. Kriegsgefangene. Geiſeln.
Auswechslung der Gefangenen. Entlaſſung auf Ehrenwort.
568.
Das moderne Völkerrecht der civiliſirten Völker erkennt kein abſo-
lutes Recht der Kriegsgewalt an weder über die friedlichen Bewohner in
dem feindlichen Lande, noch ſelbſt über die kriegeriſchen Angehörigen des
feindlichen Stats.
Vgl. die Einleitung S. 30 f. Am. Kr. 23. Eine große Zahl von ältern
Völkerrechtslehrern ſtellte noch den barbariſchen Grundſatz an die Spitze, daß dem
Feind wider den Feind Alles erlaubt ſei. Bynkershoek ſpricht noch
von einem Recht des Siegers über Leben und Tod der Feinde und verſteht unter
Feinden alle Statsangehörigen des feindlichen Stats. Sogar Heffter behauptet
noch das überlieferte „Kriegsrecht auf Leben und Tod“ (§ 126) als eine vermeint-
liche Regel und ſucht nur die Anwendung desſelben zu beſchränken. Dieſes angeb-
liche Recht des Siegers ſteht aber in offenbarem Widerſpruch mit dem
natürlichen Menſchenrecht, welches im Krieg nicht aufhört, und mit der
natürlichen Beſchränkung aller Statsgewalt auf die Bedürfniſſe
des Gemeinlebens der Menſchen, folglich auch mit der Beſchränkung der
Kriegsgewalt, welche nur Ausübung der Statsgewalt iſt. Dasſelbe hat auch keinen
Grund in dem Rechtsgrund des Kriegs, noch wird es durch den Zweck des Kriegs,
Herſtellung der Rechtsordnung und des Friedens gefordert. Es iſt eine ganze halt-
loſe Erfindung der Juriſten, welche der Wildheit der Kriegsgewaltigen mit einer
ungeheuerlichen Rechtsfiction zu Hülfe kommen wollten.
569.
Als feindliche Perſonen im eigentlichen activen Sinne gelten die,
welche an dem Kampfe der Staten perſönlich und in geordneter Weiſe
Theil nehmen, indem ſie zu dem Heere gehören und unter den Befehlen
der feindlichen Macht ſtehen.
1. In weiterem paſſiven Sinn ſind alle Angehörigen des feind-
lichen States den Folgen der Feindſchaft der Staten ausgeſetzt und inſofern paſ-
ſive Feinde. Da aber nur die Staten die eigentlichen Kriegsparteien
ſind, ſo ſind im ſtrengſten Sinne des Wortes nur die Staten Feinde. Die Trup-
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/339>, abgerufen am 21.11.2024.
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