Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Kriegsrecht.
530.

Der Krieg wird zwischen den Staten geführt und nicht unter und
mit den Privatpersonen.

Die Erkenntniß dieses großen Gesetzes, welches aus der Natur des völker-
rechtlichen Rechtsstreites folgt, hat auf die Humanisirung des Kriegs und auf die
Sicherung der Privatrechte die wohlthätigsten Wirkungen hervorgebracht. Vergleiche
darüber die Einleitung zu diesem Werke. So lange freilich, wie im Alterthum, der
Einzelmensch im State aufging, konnte diese Unterscheidung nicht vollwirksam werden.
Aber seitdem der Gegensatz des öffentlichen und des Privatrechts klarer ge-
worden ist und die neuere Rechtsbildung begriffen hat, daß die Privatperson eine
Existenz für sich
habe, auch im Gegensatz zum State, hat dieselbe das ganze
aus dem Alterthum hergebrachte Kriegsrecht wohlthätig umgebildet.

531.

Die kriegführenden Staten sind Feinde im eigentlichen Sinn, die
Privatpersonen dagegen sind als solche nicht Feinde, weder unter einander
noch dem feindlichen State gegenüber.

Nur die Statsgewalt tritt mit Heeresmacht den feindlichen Staten ent-
gegen und unternimmt es, dieselbe zu zwingen, daß sie das von jener behauptete
Recht anerkenne oder auf ihre bestrittenen Forderungen verzichte. Die Privaten als
solche sind bei diesem Streite nicht unmittelbar betheiligt, sie sind nicht Kriegs-
und nicht Proceßparteien, und eben deßhalb nicht Feinde im eigentlichen
und vollen Sinn des Worts. Der von den früheren Publicisten, sogar noch von
Kent (Comm. § 6, 7, 8) als allgemein anerkannt behauptete Satz: "Wenn der
Stat im Kriege sei, so seien alle Bürger des Stats Feinde
" ist
offenbar falsch und darf daher nicht mehr gelten. Der Stat ist eine andere Per-
son
als die Privatpersonen im State. Der Stat hat eine ihm eigenthümliche
Rechtssphäre, das große Gebiet des öffentlichen Rechts, und die Privatper-
sonen
haben ebenso ein ihnen eigenes Rechtsgebiet, ihre persönlichen
Familien- und Vermögensrechte, welches von dem Streit der Staten nicht unmittelbar,
sondern nur mittelbar betroffen wird, über welches kein Streit zwischen den Sta-
ten ist. Daher sind die Privatpersonen nicht im eigentlichen Sinne Feinde. Sie
können trotz des Kriegs in den freundlichsten Beziehungen leben, der Verwandtschaft,
der Wirthschaft, des Verkehrs. Sehr wahr erklärte der berühmte französische Minister
Portalis im Jahre VIII. bei der Installation des Prisengerichtshofs: "Entre
deux ou plusieurs nations belligerantes, les particuliers dont ces nations se
composent, ne sont ennemis que par accident: ils ne le sont point comme
hommes, ils ne le sont meme pas comme citoyens; ils le sont uniquement
comme soldats".
Vgl. Heffter § 119.

Das Kriegsrecht.
530.

Der Krieg wird zwiſchen den Staten geführt und nicht unter und
mit den Privatperſonen.

Die Erkenntniß dieſes großen Geſetzes, welches aus der Natur des völker-
rechtlichen Rechtsſtreites folgt, hat auf die Humaniſirung des Kriegs und auf die
Sicherung der Privatrechte die wohlthätigſten Wirkungen hervorgebracht. Vergleiche
darüber die Einleitung zu dieſem Werke. So lange freilich, wie im Alterthum, der
Einzelmenſch im State aufging, konnte dieſe Unterſcheidung nicht vollwirkſam werden.
Aber ſeitdem der Gegenſatz des öffentlichen und des Privatrechts klarer ge-
worden iſt und die neuere Rechtsbildung begriffen hat, daß die Privatperſon eine
Exiſtenz für ſich
habe, auch im Gegenſatz zum State, hat dieſelbe das ganze
aus dem Alterthum hergebrachte Kriegsrecht wohlthätig umgebildet.

531.

Die kriegführenden Staten ſind Feinde im eigentlichen Sinn, die
Privatperſonen dagegen ſind als ſolche nicht Feinde, weder unter einander
noch dem feindlichen State gegenüber.

Nur die Statsgewalt tritt mit Heeresmacht den feindlichen Staten ent-
gegen und unternimmt es, dieſelbe zu zwingen, daß ſie das von jener behauptete
Recht anerkenne oder auf ihre beſtrittenen Forderungen verzichte. Die Privaten als
ſolche ſind bei dieſem Streite nicht unmittelbar betheiligt, ſie ſind nicht Kriegs-
und nicht Proceßparteien, und eben deßhalb nicht Feinde im eigentlichen
und vollen Sinn des Worts. Der von den früheren Publiciſten, ſogar noch von
Kent (Comm. § 6, 7, 8) als allgemein anerkannt behauptete Satz: „Wenn der
Stat im Kriege ſei, ſo ſeien alle Bürger des Stats Feinde
“ iſt
offenbar falſch und darf daher nicht mehr gelten. Der Stat iſt eine andere Per-
ſon
als die Privatperſonen im State. Der Stat hat eine ihm eigenthümliche
Rechtsſphäre, das große Gebiet des öffentlichen Rechts, und die Privatper-
ſonen
haben ebenſo ein ihnen eigenes Rechtsgebiet, ihre perſönlichen
Familien- und Vermögensrechte, welches von dem Streit der Staten nicht unmittelbar,
ſondern nur mittelbar betroffen wird, über welches kein Streit zwiſchen den Sta-
ten iſt. Daher ſind die Privatperſonen nicht im eigentlichen Sinne Feinde. Sie
können trotz des Kriegs in den freundlichſten Beziehungen leben, der Verwandtſchaft,
der Wirthſchaft, des Verkehrs. Sehr wahr erklärte der berühmte franzöſiſche Miniſter
Portalis im Jahre VIII. bei der Inſtallation des Priſengerichtshofs: „Entre
deux ou plusieurs nations belligérantes, les particuliers dont ces nations se
composent, ne sont ennemis que par accident: ils ne le sont point comme
hommes, ils ne le sont même pas comme citoyens; ils le sont uniquement
comme soldats“.
Vgl. Heffter § 119.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0319" n="297"/>
            <fw place="top" type="header">Das Kriegsrecht.</fw><lb/>
            <div n="4">
              <head>530.</head><lb/>
              <p>Der Krieg wird zwi&#x017F;chen den Staten geführt und nicht unter und<lb/>
mit den Privatper&#x017F;onen.</p><lb/>
              <p>Die Erkenntniß die&#x017F;es großen Ge&#x017F;etzes, welches aus der Natur des völker-<lb/>
rechtlichen Rechts&#x017F;treites folgt, hat auf die Humani&#x017F;irung des Kriegs und auf die<lb/>
Sicherung der Privatrechte die wohlthätig&#x017F;ten Wirkungen hervorgebracht. Vergleiche<lb/>
darüber die Einleitung zu die&#x017F;em Werke. So lange freilich, wie im Alterthum, der<lb/>
Einzelmen&#x017F;ch im State aufging, konnte die&#x017F;e Unter&#x017F;cheidung nicht vollwirk&#x017F;am werden.<lb/>
Aber &#x017F;eitdem der Gegen&#x017F;atz des <hi rendition="#g">öffentlichen</hi> und des <hi rendition="#g">Privatrechts</hi> klarer ge-<lb/>
worden i&#x017F;t und die neuere Rechtsbildung begriffen hat, daß die Privatper&#x017F;on <hi rendition="#g">eine<lb/>
Exi&#x017F;tenz für &#x017F;ich</hi> habe, auch im Gegen&#x017F;atz zum State, hat die&#x017F;elbe das ganze<lb/>
aus dem Alterthum hergebrachte Kriegsrecht wohlthätig umgebildet.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>531.</head><lb/>
              <p>Die kriegführenden Staten &#x017F;ind Feinde im eigentlichen Sinn, die<lb/>
Privatper&#x017F;onen dagegen &#x017F;ind als &#x017F;olche nicht Feinde, weder unter einander<lb/>
noch dem feindlichen State gegenüber.</p><lb/>
              <p>Nur die <hi rendition="#g">Statsgewalt</hi> tritt mit Heeresmacht den feindlichen Staten ent-<lb/>
gegen und unternimmt es, die&#x017F;elbe zu zwingen, daß &#x017F;ie das von jener behauptete<lb/>
Recht anerkenne oder auf ihre be&#x017F;trittenen Forderungen verzichte. Die Privaten als<lb/>
&#x017F;olche &#x017F;ind bei die&#x017F;em Streite nicht unmittelbar betheiligt, &#x017F;ie &#x017F;ind <hi rendition="#g">nicht Kriegs-</hi><lb/>
und <hi rendition="#g">nicht Proceßparteien</hi>, und eben deßhalb <hi rendition="#g">nicht Feinde</hi> im eigentlichen<lb/>
und vollen Sinn des Worts. Der von den früheren Publici&#x017F;ten, &#x017F;ogar noch von<lb/><hi rendition="#g">Kent</hi> (Comm. § 6, 7, 8) als allgemein anerkannt behauptete Satz: &#x201E;<hi rendition="#g">Wenn der<lb/>
Stat im Kriege &#x017F;ei, &#x017F;o &#x017F;eien alle Bürger des Stats Feinde</hi>&#x201C; i&#x017F;t<lb/>
offenbar fal&#x017F;ch und darf daher nicht mehr gelten. Der Stat i&#x017F;t eine <hi rendition="#g">andere Per-<lb/>
&#x017F;on</hi> als die Privatper&#x017F;onen im State. Der <hi rendition="#g">Stat</hi> hat eine ihm eigenthümliche<lb/>
Rechts&#x017F;phäre, das große Gebiet des <hi rendition="#g">öffentlichen Rechts</hi>, und die <hi rendition="#g">Privatper-<lb/>
&#x017F;onen</hi> haben eben&#x017F;o ein <hi rendition="#g">ihnen eigenes Rechtsgebiet</hi>, ihre per&#x017F;önlichen<lb/>
Familien- und Vermögensrechte, welches von dem Streit der Staten nicht unmittelbar,<lb/>
&#x017F;ondern nur <hi rendition="#g">mittelbar</hi> betroffen wird, über welches kein Streit zwi&#x017F;chen den Sta-<lb/>
ten i&#x017F;t. Daher &#x017F;ind die Privatper&#x017F;onen <hi rendition="#g">nicht</hi> im eigentlichen Sinne <hi rendition="#g">Feinde</hi>. Sie<lb/>
können trotz des Kriegs in den freundlich&#x017F;ten Beziehungen leben, der Verwandt&#x017F;chaft,<lb/>
der Wirth&#x017F;chaft, des Verkehrs. Sehr wahr erklärte der berühmte franzö&#x017F;i&#x017F;che Mini&#x017F;ter<lb/><hi rendition="#g">Portalis</hi> im Jahre <hi rendition="#aq">VIII.</hi> bei der In&#x017F;tallation des Pri&#x017F;engerichtshofs: <hi rendition="#aq">&#x201E;Entre<lb/>
deux ou plusieurs nations belligérantes, les particuliers dont ces nations se<lb/>
composent, ne sont ennemis que par accident: ils ne le sont point comme<lb/>
hommes, ils ne le sont même pas comme citoyens; ils le sont uniquement<lb/>
comme soldats&#x201C;.</hi> Vgl. <hi rendition="#g">Heffter</hi> § 119.</p>
            </div><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[297/0319] Das Kriegsrecht. 530. Der Krieg wird zwiſchen den Staten geführt und nicht unter und mit den Privatperſonen. Die Erkenntniß dieſes großen Geſetzes, welches aus der Natur des völker- rechtlichen Rechtsſtreites folgt, hat auf die Humaniſirung des Kriegs und auf die Sicherung der Privatrechte die wohlthätigſten Wirkungen hervorgebracht. Vergleiche darüber die Einleitung zu dieſem Werke. So lange freilich, wie im Alterthum, der Einzelmenſch im State aufging, konnte dieſe Unterſcheidung nicht vollwirkſam werden. Aber ſeitdem der Gegenſatz des öffentlichen und des Privatrechts klarer ge- worden iſt und die neuere Rechtsbildung begriffen hat, daß die Privatperſon eine Exiſtenz für ſich habe, auch im Gegenſatz zum State, hat dieſelbe das ganze aus dem Alterthum hergebrachte Kriegsrecht wohlthätig umgebildet. 531. Die kriegführenden Staten ſind Feinde im eigentlichen Sinn, die Privatperſonen dagegen ſind als ſolche nicht Feinde, weder unter einander noch dem feindlichen State gegenüber. Nur die Statsgewalt tritt mit Heeresmacht den feindlichen Staten ent- gegen und unternimmt es, dieſelbe zu zwingen, daß ſie das von jener behauptete Recht anerkenne oder auf ihre beſtrittenen Forderungen verzichte. Die Privaten als ſolche ſind bei dieſem Streite nicht unmittelbar betheiligt, ſie ſind nicht Kriegs- und nicht Proceßparteien, und eben deßhalb nicht Feinde im eigentlichen und vollen Sinn des Worts. Der von den früheren Publiciſten, ſogar noch von Kent (Comm. § 6, 7, 8) als allgemein anerkannt behauptete Satz: „Wenn der Stat im Kriege ſei, ſo ſeien alle Bürger des Stats Feinde“ iſt offenbar falſch und darf daher nicht mehr gelten. Der Stat iſt eine andere Per- ſon als die Privatperſonen im State. Der Stat hat eine ihm eigenthümliche Rechtsſphäre, das große Gebiet des öffentlichen Rechts, und die Privatper- ſonen haben ebenſo ein ihnen eigenes Rechtsgebiet, ihre perſönlichen Familien- und Vermögensrechte, welches von dem Streit der Staten nicht unmittelbar, ſondern nur mittelbar betroffen wird, über welches kein Streit zwiſchen den Sta- ten iſt. Daher ſind die Privatperſonen nicht im eigentlichen Sinne Feinde. Sie können trotz des Kriegs in den freundlichſten Beziehungen leben, der Verwandtſchaft, der Wirthſchaft, des Verkehrs. Sehr wahr erklärte der berühmte franzöſiſche Miniſter Portalis im Jahre VIII. bei der Inſtallation des Priſengerichtshofs: „Entre deux ou plusieurs nations belligérantes, les particuliers dont ces nations se composent, ne sont ennemis que par accident: ils ne le sont point comme hommes, ils ne le sont même pas comme citoyens; ils le sont uniquement comme soldats“. Vgl. Heffter § 119.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/319
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/319>, abgerufen am 22.12.2024.