Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.Das Kriegsrecht. widersetzt, als Hochverräther und Aufrührer. Aber auch die aufständischePartei sieht sich meistens nach Rechtstiteln um, in der Absicht, die Regierungspartei als des Landesverraths und des Verfassungsbruchs zu beschuldigen. Wenn einmal die Strafgerichtsbarkeit ihre Macht verloren hat und thatsächlicher Krieg um politische Ziele geführt werden muß, dann ist es richtiger, auch das Strafrecht in Beurtheilung der Kriegsparteien ruhen zu lassen und diese politisch und militärisch als Feinde zu betrachten und zu behandeln. Es ist daher als ein Fortschritt des heutigen Völkerrechts zu betrachten, daß es geneigt ist, sowohl eine aufständische Partei wie geordnete Freischaren als Kriegspartei zu behandeln, obwohl es an statlicher Ermächtigung fehlt, wenn dieselben a) als Kriegsheer wohl geordnet sind, b) selber die Rechte des civilisirten Kriegsrechts beachten und c) in gutem Glauben für politische Ziele kämpft. 4. Am unbedenklichsten wird die Behandlung eines Kriegsheers, ohne Stat, 513. Bloße Piraten und Räuber sind niemals Kriegsparteien, wenn gleich 1. Gegen dieselben wird nicht Krieg geführt, sondern Strafgerichtsbarkeit ge- 2. Dagegen wird ein Stat, welcher seinen Einwohnern Seeräuberei ver- 514. In zusammengesetzten Staten ist der Krieg zwischen der bestehenden Bluntschli, Das Völkerrecht. 19
Das Kriegsrecht. widerſetzt, als Hochverräther und Aufrührer. Aber auch die aufſtändiſchePartei ſieht ſich meiſtens nach Rechtstiteln um, in der Abſicht, die Regierungspartei als des Landesverraths und des Verfaſſungsbruchs zu beſchuldigen. Wenn einmal die Strafgerichtsbarkeit ihre Macht verloren hat und thatſächlicher Krieg um politiſche Ziele geführt werden muß, dann iſt es richtiger, auch das Strafrecht in Beurtheilung der Kriegsparteien ruhen zu laſſen und dieſe politiſch und militäriſch als Feinde zu betrachten und zu behandeln. Es iſt daher als ein Fortſchritt des heutigen Völkerrechts zu betrachten, daß es geneigt iſt, ſowohl eine aufſtändiſche Partei wie geordnete Freiſcharen als Kriegspartei zu behandeln, obwohl es an ſtatlicher Ermächtigung fehlt, wenn dieſelben a) als Kriegsheer wohl geordnet ſind, b) ſelber die Rechte des civiliſirten Kriegsrechts beachten und c) in gutem Glauben für politiſche Ziele kämpft. 4. Am unbedenklichſten wird die Behandlung eines Kriegsheers, ohne Stat, 513. Bloße Piraten und Räuber ſind niemals Kriegsparteien, wenn gleich 1. Gegen dieſelben wird nicht Krieg geführt, ſondern Strafgerichtsbarkeit ge- 2. Dagegen wird ein Stat, welcher ſeinen Einwohnern Seeräuberei ver- 514. In zuſammengeſetzten Staten iſt der Krieg zwiſchen der beſtehenden Bluntſchli, Das Völkerrecht. 19
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0311" n="289"/><fw place="top" type="header">Das Kriegsrecht.</fw><lb/> widerſetzt, als <hi rendition="#g">Hochverräther</hi> und <hi rendition="#g">Aufrührer</hi>. Aber auch die aufſtändiſche<lb/> Partei ſieht ſich meiſtens nach Rechtstiteln um, in der Abſicht, die Regierungspartei<lb/> als des <hi rendition="#g">Landesverraths</hi> und des <hi rendition="#g">Verfaſſungsbruchs</hi> zu beſchuldigen.<lb/> Wenn einmal die Strafgerichtsbarkeit ihre Macht verloren hat und thatſächlicher<lb/> Krieg um politiſche Ziele geführt werden muß, dann iſt es richtiger, auch das<lb/> Strafrecht in Beurtheilung der Kriegsparteien ruhen zu laſſen und dieſe politiſch<lb/> und militäriſch <hi rendition="#g">als Feinde</hi> zu betrachten und zu behandeln. Es iſt daher als ein<lb/> Fortſchritt des heutigen Völkerrechts zu betrachten, daß es geneigt iſt, ſowohl eine<lb/> aufſtändiſche Partei wie geordnete Freiſcharen als Kriegspartei zu behandeln, obwohl<lb/> es an ſtatlicher Ermächtigung fehlt, wenn dieſelben <hi rendition="#aq">a</hi>) als Kriegsheer wohl geordnet<lb/> ſind, <hi rendition="#aq">b</hi>) ſelber die Rechte des civiliſirten Kriegsrechts beachten und <hi rendition="#aq">c</hi>) in gutem<lb/> Glauben für <hi rendition="#g">politiſche Ziele</hi> kämpft.</p><lb/> <p>4. Am unbedenklichſten wird die Behandlung eines Kriegsheers, ohne Stat,<lb/> als Kriegspartei dann zugeſtanden, wenn ein Volk <hi rendition="#g">ſeine Heimat verläßt</hi> und<lb/> während es eine neue ſich zu verſchaffen ſucht, in Krieg verwickelt wird. Die<lb/><hi rendition="#g">Römer</hi> haben ſo alle Zeit die <hi rendition="#g">auf der Wanderung begriffenen germa-<lb/> niſchen Völker</hi> als Kriegsparteien betrachtet.</p> </div><lb/> <div n="4"> <head>513.</head><lb/> <p>Bloße Piraten und Räuber ſind niemals Kriegsparteien, wenn gleich<lb/> ſie als Kriegsmacht organiſirt ſind.</p><lb/> <p>1. Gegen dieſelben wird nicht Krieg geführt, ſondern Strafgerichtsbarkeit ge-<lb/> übt, wenn gleich mit kriegeriſchen Mitteln. Weil dieſelben offenbar gemeine Ver-<lb/> brechen begehen, und es ihnen augenſcheinlich an gutem Glauben fehlt, ſo verlangt<lb/> das beleidigte allgemeine Rechtsgefühl die Beſtrafung, und gibt ſich nicht mit dem<lb/> Siege zufrieden. Die Italieniſchen <hi rendition="#g">Briganti</hi> ſind keine Kriegspartei, ſo wenig<lb/> als die alten <hi rendition="#g">Flibuſtier</hi>.</p><lb/> <p>2. Dagegen wird ein <hi rendition="#g">Stat</hi>, welcher ſeinen Einwohnern Seeräuberei ver-<lb/> ſtattet, wie im Alterthum viele Seeſtädte im Mittelmeer, und bis in unſer Jahr-<lb/> hundert hinein noch die afrikaniſchen Raubſtaten, trotzdem zur Kriegspartei, wenn<lb/> er Krieg führt. Die einzelne völkerrechtswidrige Handlungsweiſe zerſtört nicht den<lb/> Rechtscharakter eines Stats, wenn ſie gleich ſeine Ehre befleckt.</p> </div><lb/> <div n="4"> <head>514.</head><lb/> <p>In zuſammengeſetzten Staten iſt der Krieg zwiſchen der beſtehenden<lb/> Statsgewalt des Geſammtſtats (Reichs- oder Bundesgewalt) und der<lb/> Truppenmacht der Einzelſtaten, wenn er den Schutz des Reichs- oder<lb/> Bundesrechts bezweckt, lediglich Executionskrieg, nicht ein völkerrechtlicher<lb/> Krieg zwiſchen gleichgeſtellten Staten. Indeſſen betrachtet das moderne<lb/> Völkerrecht beide Parteien im Intereſſe der Humanität als Kriegsparteien.</p><lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Bluntſchli</hi>, Das Völkerrecht. 19</fw><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [289/0311]
Das Kriegsrecht.
widerſetzt, als Hochverräther und Aufrührer. Aber auch die aufſtändiſche
Partei ſieht ſich meiſtens nach Rechtstiteln um, in der Abſicht, die Regierungspartei
als des Landesverraths und des Verfaſſungsbruchs zu beſchuldigen.
Wenn einmal die Strafgerichtsbarkeit ihre Macht verloren hat und thatſächlicher
Krieg um politiſche Ziele geführt werden muß, dann iſt es richtiger, auch das
Strafrecht in Beurtheilung der Kriegsparteien ruhen zu laſſen und dieſe politiſch
und militäriſch als Feinde zu betrachten und zu behandeln. Es iſt daher als ein
Fortſchritt des heutigen Völkerrechts zu betrachten, daß es geneigt iſt, ſowohl eine
aufſtändiſche Partei wie geordnete Freiſcharen als Kriegspartei zu behandeln, obwohl
es an ſtatlicher Ermächtigung fehlt, wenn dieſelben a) als Kriegsheer wohl geordnet
ſind, b) ſelber die Rechte des civiliſirten Kriegsrechts beachten und c) in gutem
Glauben für politiſche Ziele kämpft.
4. Am unbedenklichſten wird die Behandlung eines Kriegsheers, ohne Stat,
als Kriegspartei dann zugeſtanden, wenn ein Volk ſeine Heimat verläßt und
während es eine neue ſich zu verſchaffen ſucht, in Krieg verwickelt wird. Die
Römer haben ſo alle Zeit die auf der Wanderung begriffenen germa-
niſchen Völker als Kriegsparteien betrachtet.
513.
Bloße Piraten und Räuber ſind niemals Kriegsparteien, wenn gleich
ſie als Kriegsmacht organiſirt ſind.
1. Gegen dieſelben wird nicht Krieg geführt, ſondern Strafgerichtsbarkeit ge-
übt, wenn gleich mit kriegeriſchen Mitteln. Weil dieſelben offenbar gemeine Ver-
brechen begehen, und es ihnen augenſcheinlich an gutem Glauben fehlt, ſo verlangt
das beleidigte allgemeine Rechtsgefühl die Beſtrafung, und gibt ſich nicht mit dem
Siege zufrieden. Die Italieniſchen Briganti ſind keine Kriegspartei, ſo wenig
als die alten Flibuſtier.
2. Dagegen wird ein Stat, welcher ſeinen Einwohnern Seeräuberei ver-
ſtattet, wie im Alterthum viele Seeſtädte im Mittelmeer, und bis in unſer Jahr-
hundert hinein noch die afrikaniſchen Raubſtaten, trotzdem zur Kriegspartei, wenn
er Krieg führt. Die einzelne völkerrechtswidrige Handlungsweiſe zerſtört nicht den
Rechtscharakter eines Stats, wenn ſie gleich ſeine Ehre befleckt.
514.
In zuſammengeſetzten Staten iſt der Krieg zwiſchen der beſtehenden
Statsgewalt des Geſammtſtats (Reichs- oder Bundesgewalt) und der
Truppenmacht der Einzelſtaten, wenn er den Schutz des Reichs- oder
Bundesrechts bezweckt, lediglich Executionskrieg, nicht ein völkerrechtlicher
Krieg zwiſchen gleichgeſtellten Staten. Indeſſen betrachtet das moderne
Völkerrecht beide Parteien im Intereſſe der Humanität als Kriegsparteien.
Bluntſchli, Das Völkerrecht. 19
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |