Es widerstreitet den civilisirten Statszuständen, in denen für eine privatrecht- liche Gerichtsbarkeit gesorgt ist, daß über streitiges Privatrecht Krieg geführt werde. Im Mittelalter noch war es anders. Das Fehderecht war in der That das Recht der bewaffneten Selbsthülfe auch bei Streitigkeiten zwischen Privatpersonen über ihr Eigenthum. Es ist durch die Durchführung der statlichen Gerichtsbarkeit verdrängt worden. Aber heute noch stehen die Völker, wenn sie mit einander über ihr öffentliches Recht streiten, auf demselben barbarischen Standpunkt, wie im Mittel- alter die Ritter und die Städte. Sie greifen zu den Waffen und schlagen zu, um sich ihr Recht zu verschaffen. Das Völkerrecht hat noch einen weiten Weg zu machen, bis es ihm gelingen wird, den Streit der Gewalt in einen wahren Rechts- streit umzubilden.
512.
Eine bewaffnete Partei, welche nicht von einer bestehenden Stats- gewalt zur Gewaltübung ermächtigt worden ist, wird dennoch insofern als Kriegspartei betrachtet, als sie als selbständige Kriegsmacht organisirt ist und an States Statt in gutem Glauben für öffentliches Recht streitet.
1. Es ist das zwar eine Ausnahme von der Regel, daß nur Staten Krieg führen, aber wenn die politische Partei statliche Zwecke verfolgt und wie eine Stats- macht organisirt ist, so stellt sie gewissermaßen den Stat dar. Das In- teresse der Humanität fordert, daß im Zweifel eine solche Partei eher als Kriegs- partei, nicht als eine Masse von Verbrechern behandelt werde. Indem sie stark genug ist, sich als öffentliche Macht, analog der Statsmacht zu behaupten, durch ihre kriegsmäßige Organisation auch Garantien der Ordnung gewährt, und durch ihre politischen Ziele ihr statliches Streben kund gibt, hat sie auch einen natürlichen Anspruch darauf, einem statlichen Heere ähnlich behandelt zu werden. Die Gefahren der Gewaltübung werden dann nicht bloß für sie selber, sondern ebenso für ihre Gegner ermäßigt. Wird sie dagegen nur strafrechtlich verfolgt, so wird dadurch der thatsächliche Kampf verwildert und es ist Gefahr, daß die bei- den streitenden Parteien in die Barbarei versinken und einander mit grausamen Repressalien zu überbieten suchen.
2. Von der Art sind manche Unternehmungen von Freischaren, um eine politische Umgestaltung zu erzwingen. Wenn dieselben wie ein wohlgeordnetes Kriegs- heer operiren, wie z. B. die deutschen Freischaren unter Major Schill oder die italienischen Freischaren, die mit Garibaldi nach Sicilien und Neapel zogen, so ist es angezeigt, sie als Kriegspartei zu behandeln.
3. Am nöthigsten ist es, den obigen Grundsatz bei Bürgerkriegen zur Anwendung zu bringen, obwohl gerade da die Leidenschaften am liebsten unter der ernsten Maske der Gerechtigkeit ihren Haß und ihre Rachsucht besser verbergen und ungehemmter wirksam zu machen suchen. Die Partei, welche die obrigkeitliche Au- torität für sich hat, erklärt dann gern die Partei, welche sich der Statsgewalt
Achtes Buch.
Es widerſtreitet den civiliſirten Statszuſtänden, in denen für eine privatrecht- liche Gerichtsbarkeit geſorgt iſt, daß über ſtreitiges Privatrecht Krieg geführt werde. Im Mittelalter noch war es anders. Das Fehderecht war in der That das Recht der bewaffneten Selbſthülfe auch bei Streitigkeiten zwiſchen Privatperſonen über ihr Eigenthum. Es iſt durch die Durchführung der ſtatlichen Gerichtsbarkeit verdrängt worden. Aber heute noch ſtehen die Völker, wenn ſie mit einander über ihr öffentliches Recht ſtreiten, auf demſelben barbariſchen Standpunkt, wie im Mittel- alter die Ritter und die Städte. Sie greifen zu den Waffen und ſchlagen zu, um ſich ihr Recht zu verſchaffen. Das Völkerrecht hat noch einen weiten Weg zu machen, bis es ihm gelingen wird, den Streit der Gewalt in einen wahren Rechts- ſtreit umzubilden.
512.
Eine bewaffnete Partei, welche nicht von einer beſtehenden Stats- gewalt zur Gewaltübung ermächtigt worden iſt, wird dennoch inſofern als Kriegspartei betrachtet, als ſie als ſelbſtändige Kriegsmacht organiſirt iſt und an States Statt in gutem Glauben für öffentliches Recht ſtreitet.
1. Es iſt das zwar eine Ausnahme von der Regel, daß nur Staten Krieg führen, aber wenn die politiſche Partei ſtatliche Zwecke verfolgt und wie eine Stats- macht organiſirt iſt, ſo ſtellt ſie gewiſſermaßen den Stat dar. Das In- tereſſe der Humanität fordert, daß im Zweifel eine ſolche Partei eher als Kriegs- partei, nicht als eine Maſſe von Verbrechern behandelt werde. Indem ſie ſtark genug iſt, ſich als öffentliche Macht, analog der Statsmacht zu behaupten, durch ihre kriegsmäßige Organiſation auch Garantien der Ordnung gewährt, und durch ihre politiſchen Ziele ihr ſtatliches Streben kund gibt, hat ſie auch einen natürlichen Anſpruch darauf, einem ſtatlichen Heere ähnlich behandelt zu werden. Die Gefahren der Gewaltübung werden dann nicht bloß für ſie ſelber, ſondern ebenſo für ihre Gegner ermäßigt. Wird ſie dagegen nur ſtrafrechtlich verfolgt, ſo wird dadurch der thatſächliche Kampf verwildert und es iſt Gefahr, daß die bei- den ſtreitenden Parteien in die Barbarei verſinken und einander mit grauſamen Repreſſalien zu überbieten ſuchen.
2. Von der Art ſind manche Unternehmungen von Freiſcharen, um eine politiſche Umgeſtaltung zu erzwingen. Wenn dieſelben wie ein wohlgeordnetes Kriegs- heer operiren, wie z. B. die deutſchen Freiſcharen unter Major Schill oder die italieniſchen Freiſcharen, die mit Garibaldi nach Sicilien und Neapel zogen, ſo iſt es angezeigt, ſie als Kriegspartei zu behandeln.
3. Am nöthigſten iſt es, den obigen Grundſatz bei Bürgerkriegen zur Anwendung zu bringen, obwohl gerade da die Leidenſchaften am liebſten unter der ernſten Maske der Gerechtigkeit ihren Haß und ihre Rachſucht beſſer verbergen und ungehemmter wirkſam zu machen ſuchen. Die Partei, welche die obrigkeitliche Au- torität für ſich hat, erklärt dann gern die Partei, welche ſich der Statsgewalt
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Achtes Buch.
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werde. Im Mittelalter noch war es anders. Das Fehderecht war in der That
das Recht der bewaffneten Selbſthülfe auch bei Streitigkeiten zwiſchen Privatperſonen
über ihr Eigenthum. Es iſt durch die Durchführung der ſtatlichen Gerichtsbarkeit
verdrängt worden. Aber heute noch ſtehen die Völker, wenn ſie mit einander über
ihr öffentliches Recht ſtreiten, auf demſelben barbariſchen Standpunkt, wie im Mittel-
alter die Ritter und die Städte. Sie greifen zu den Waffen und ſchlagen zu, um
ſich ihr Recht zu verſchaffen. Das Völkerrecht hat noch einen weiten Weg zu machen,
bis es ihm gelingen wird, den Streit der Gewalt in einen wahren Rechts-
ſtreit umzubilden.
512.
Eine bewaffnete Partei, welche nicht von einer beſtehenden Stats-
gewalt zur Gewaltübung ermächtigt worden iſt, wird dennoch inſofern als
Kriegspartei betrachtet, als ſie als ſelbſtändige Kriegsmacht organiſirt iſt
und an States Statt in gutem Glauben für öffentliches Recht ſtreitet.
1. Es iſt das zwar eine Ausnahme von der Regel, daß nur Staten Krieg
führen, aber wenn die politiſche Partei ſtatliche Zwecke verfolgt und wie eine Stats-
macht organiſirt iſt, ſo ſtellt ſie gewiſſermaßen den Stat dar. Das In-
tereſſe der Humanität fordert, daß im Zweifel eine ſolche Partei eher als Kriegs-
partei, nicht als eine Maſſe von Verbrechern behandelt werde. Indem ſie ſtark
genug iſt, ſich als öffentliche Macht, analog der Statsmacht zu behaupten, durch
ihre kriegsmäßige Organiſation auch Garantien der Ordnung gewährt, und
durch ihre politiſchen Ziele ihr ſtatliches Streben kund gibt, hat ſie auch einen
natürlichen Anſpruch darauf, einem ſtatlichen Heere ähnlich behandelt zu werden.
Die Gefahren der Gewaltübung werden dann nicht bloß für ſie ſelber, ſondern
ebenſo für ihre Gegner ermäßigt. Wird ſie dagegen nur ſtrafrechtlich verfolgt,
ſo wird dadurch der thatſächliche Kampf verwildert und es iſt Gefahr, daß die bei-
den ſtreitenden Parteien in die Barbarei verſinken und einander mit grauſamen
Repreſſalien zu überbieten ſuchen.
2. Von der Art ſind manche Unternehmungen von Freiſcharen, um eine
politiſche Umgeſtaltung zu erzwingen. Wenn dieſelben wie ein wohlgeordnetes Kriegs-
heer operiren, wie z. B. die deutſchen Freiſcharen unter Major Schill oder die
italieniſchen Freiſcharen, die mit Garibaldi nach Sicilien und Neapel zogen, ſo
iſt es angezeigt, ſie als Kriegspartei zu behandeln.
3. Am nöthigſten iſt es, den obigen Grundſatz bei Bürgerkriegen zur
Anwendung zu bringen, obwohl gerade da die Leidenſchaften am liebſten unter der
ernſten Maske der Gerechtigkeit ihren Haß und ihre Rachſucht beſſer verbergen und
ungehemmter wirkſam zu machen ſuchen. Die Partei, welche die obrigkeitliche Au-
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/310>, abgerufen am 22.12.2024.
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