hatte früher angenommen, daß in dem Conflictfall das ältere Recht vorgehe. Aber ich habe mich seither überzeugt, daß der Grundsatz der Auswanderungsfreiheit und zugleich der thatsächlich nähere Verband mit dem State des Wohnorts als entscheidend anerkannt werden muß. Vgl. v. Bar, Internat. Privat- und Straf- recht S. 88.
3. Hoheitsrecht und Schutzpflicht des States gegenüber seinen Stats- genossen im Ausland.
375.
Der Stat ist berechtigt, aus öffentlich-rechtlichen Gründen, insbeson- dere zur Erfüllung der Kriegspflicht, seine Angehörigen aus einem fremden Lande weg- und heimzurufen.
Der fremde Stat ist aber nicht verpflichtet, demselben bei dem Voll- zug dieses Befehls beizustehen und solche Fremde aus seinem Gebiete weg- zuweisen.
Man nennt diesen Recht jus avocandi. Es ist eine Folge der Herrschaft des Stats über seine Angehörigen, aber diese Herrschaft ist nicht eine absolute, son- dern eine verfassungsmäßig beschränkte. Es darf daher der Rückruf nicht aus bloßer Laune geschehen. Aber auch den wohl begründeten Rückruf braucht der Aufenthaltsstat nicht zu unterstützen, da das ganze Verhältniß nur der Beziehung des Statsgenossen zu seinem Heimatstat angehört, der Aufenthaltsstat aber kein In- teresse daran und daher keinen Grund hat, die persönliche Freiheit der fremden Rei- senden oder derer, die sich in seinem Gebiete aufhalten wollen, zu beschränken.
376.
Die Steuerpflicht gegen den Stat wird in der heutigen Rechtsbil- dung regelmäßig von dem Wohnort, und nicht von dem Statsverband abhängig gemacht.
Ausnahmsweise aber kann der Heimatstat von seinen im Ausland lebenden Bürgern oder Angehörigen gewisse Steuern (z. B. Armensteuern) fordern. Wenn aber das geschieht, so ist der Stat des Wohnorts oder Aufenthaltsorts in keiner Weise verbunden, bei der Steuererhebung mit- zuwirken.
Die Statshoheit im Verhältniß zu den Perſonen.
hatte früher angenommen, daß in dem Conflictfall das ältere Recht vorgehe. Aber ich habe mich ſeither überzeugt, daß der Grundſatz der Auswanderungsfreiheit und zugleich der thatſächlich nähere Verband mit dem State des Wohnorts als entſcheidend anerkannt werden muß. Vgl. v. Bar, Internat. Privat- und Straf- recht S. 88.
3. Hoheitsrecht und Schutzpflicht des States gegenüber ſeinen Stats- genoſſen im Ausland.
375.
Der Stat iſt berechtigt, aus öffentlich-rechtlichen Gründen, insbeſon- dere zur Erfüllung der Kriegspflicht, ſeine Angehörigen aus einem fremden Lande weg- und heimzurufen.
Der fremde Stat iſt aber nicht verpflichtet, demſelben bei dem Voll- zug dieſes Befehls beizuſtehen und ſolche Fremde aus ſeinem Gebiete weg- zuweiſen.
Man nennt dieſen Recht jus avocandi. Es iſt eine Folge der Herrſchaft des Stats über ſeine Angehörigen, aber dieſe Herrſchaft iſt nicht eine abſolute, ſon- dern eine verfaſſungsmäßig beſchränkte. Es darf daher der Rückruf nicht aus bloßer Laune geſchehen. Aber auch den wohl begründeten Rückruf braucht der Aufenthaltsſtat nicht zu unterſtützen, da das ganze Verhältniß nur der Beziehung des Statsgenoſſen zu ſeinem Heimatſtat angehört, der Aufenthaltsſtat aber kein In- tereſſe daran und daher keinen Grund hat, die perſönliche Freiheit der fremden Rei- ſenden oder derer, die ſich in ſeinem Gebiete aufhalten wollen, zu beſchränken.
376.
Die Steuerpflicht gegen den Stat wird in der heutigen Rechtsbil- dung regelmäßig von dem Wohnort, und nicht von dem Statsverband abhängig gemacht.
Ausnahmsweiſe aber kann der Heimatſtat von ſeinen im Ausland lebenden Bürgern oder Angehörigen gewiſſe Steuern (z. B. Armenſteuern) fordern. Wenn aber das geſchieht, ſo iſt der Stat des Wohnorts oder Aufenthaltsorts in keiner Weiſe verbunden, bei der Steuererhebung mit- zuwirken.
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Die Statshoheit im Verhältniß zu den Perſonen.
hatte früher angenommen, daß in dem Conflictfall das ältere Recht vorgehe. Aber
ich habe mich ſeither überzeugt, daß der Grundſatz der Auswanderungsfreiheit und
zugleich der thatſächlich nähere Verband mit dem State des Wohnorts als
entſcheidend anerkannt werden muß. Vgl. v. Bar, Internat. Privat- und Straf-
recht S. 88.
3. Hoheitsrecht und Schutzpflicht des States gegenüber ſeinen Stats-
genoſſen im Ausland.
375.
Der Stat iſt berechtigt, aus öffentlich-rechtlichen Gründen, insbeſon-
dere zur Erfüllung der Kriegspflicht, ſeine Angehörigen aus einem fremden
Lande weg- und heimzurufen.
Der fremde Stat iſt aber nicht verpflichtet, demſelben bei dem Voll-
zug dieſes Befehls beizuſtehen und ſolche Fremde aus ſeinem Gebiete weg-
zuweiſen.
Man nennt dieſen Recht jus avocandi. Es iſt eine Folge der Herrſchaft
des Stats über ſeine Angehörigen, aber dieſe Herrſchaft iſt nicht eine abſolute, ſon-
dern eine verfaſſungsmäßig beſchränkte. Es darf daher der Rückruf nicht
aus bloßer Laune geſchehen. Aber auch den wohl begründeten Rückruf braucht der
Aufenthaltsſtat nicht zu unterſtützen, da das ganze Verhältniß nur der Beziehung
des Statsgenoſſen zu ſeinem Heimatſtat angehört, der Aufenthaltsſtat aber kein In-
tereſſe daran und daher keinen Grund hat, die perſönliche Freiheit der fremden Rei-
ſenden oder derer, die ſich in ſeinem Gebiete aufhalten wollen, zu beſchränken.
376.
Die Steuerpflicht gegen den Stat wird in der heutigen Rechtsbil-
dung regelmäßig von dem Wohnort, und nicht von dem Statsverband
abhängig gemacht.
Ausnahmsweiſe aber kann der Heimatſtat von ſeinen im Ausland
lebenden Bürgern oder Angehörigen gewiſſe Steuern (z. B. Armenſteuern)
fordern. Wenn aber das geſchieht, ſo iſt der Stat des Wohnorts oder
Aufenthaltsorts in keiner Weiſe verbunden, bei der Steuererhebung mit-
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/239>, abgerufen am 22.02.2025.
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