Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit.
andern Ufer versetzt wird. Wer Eigenthümer sei, ist für die Statshoheit ganz gleich- gültig, und weder die Ausdehnung seiner Macht noch die Sicherheit seiner Grenze von der Frage, wem das Grundeigenthum gehöre, abhängig zu machen. Vgl. dar- über auch OppenheimIII. 7.
Durch Neubildung von Inseln kann überdem die Landesgrenze insofern er- weitert werden, als nun von dem Ufer der Insel aus nach dem Meere hin der Stat seine Macht weiter als bisher von dem Flußufer her erstrecken kann. Ein Beispiel einer solchen Erweiterung durch Inselbildung in der Mündung des Missisippi führt Phillimore an I. 240. Der Uferstat kann, schon um seiner Sicherheit willen, nicht zugeben, daß die im Meere, d. h. auf statenlosem Boden entstandene Insel der freien Occupation, vielleicht einer rivalisirenden Macht offen stehe, sondern vielmehr begründet die Statshoheit über das Flußgebiet und über die Mündung des Flusses ein natürliches Anrecht auf die Besetzung der Inseln, die durch An- schwemmungen des Flusses in bisher freiem Meer gebildet werden.
2. Grenzen des Statsgebiets.
296.
Wo zwei Statsgebiete zusammenstoßen, sind die Nachbarstaten ver- pflichtet, die Grenzlinie gemeinsam zu ordnen und möglichst klar zu be- zeichnen.
Die Pflicht der Grenzbestimmung folgt aus dem friedlichen Nebeneinandersein der Staten. Jeder von beiden ist berechtigt, bis an seine Grenze zu herrschen und jeder verpflichtet, nicht darüber hinaus in das Nachbargebiet überzugreifen. Daher haben beide Recht und Pflicht, die Grenze, die sie von einander scheidet und ihnen gemeinsam ist, auch gemeinsam ins Klare zu setzen. Die Analogie des privat- rechtlichenjudicium finium regundorum findet hier Anwendung, immerhin natürlich mit Berücksichtigung der Unterschiede zwischen dem Grundeigenthum der Privatpersonen und der öffentlich-rechtlichen Natur der Gebietshoheit. Als Grenz- zeichen werden Marksteine oder Grenzpfähle gesetzt, Graben gezogen, eine Lichtung durch den Wald hergestellt, Wälle und Mauern gebaut, schwimmende Tonnen be- festigt u. dgl.
297.
Wenn ein Gebirgszug die Grenze bildet zwischen zwei Ländern, so wird im Zweifel angenommen, daß der oberste Berggrat und die Wasser- scheide die Grenze bestimmen.
Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit.
andern Ufer verſetzt wird. Wer Eigenthümer ſei, iſt für die Statshoheit ganz gleich- gültig, und weder die Ausdehnung ſeiner Macht noch die Sicherheit ſeiner Grenze von der Frage, wem das Grundeigenthum gehöre, abhängig zu machen. Vgl. dar- über auch OppenheimIII. 7.
Durch Neubildung von Inſeln kann überdem die Landesgrenze inſofern er- weitert werden, als nun von dem Ufer der Inſel aus nach dem Meere hin der Stat ſeine Macht weiter als bisher von dem Flußufer her erſtrecken kann. Ein Beiſpiel einer ſolchen Erweiterung durch Inſelbildung in der Mündung des Miſſiſippi führt Phillimore an I. 240. Der Uferſtat kann, ſchon um ſeiner Sicherheit willen, nicht zugeben, daß die im Meere, d. h. auf ſtatenloſem Boden entſtandene Inſel der freien Occupation, vielleicht einer rivaliſirenden Macht offen ſtehe, ſondern vielmehr begründet die Statshoheit über das Flußgebiet und über die Mündung des Fluſſes ein natürliches Anrecht auf die Beſetzung der Inſeln, die durch An- ſchwemmungen des Fluſſes in bisher freiem Meer gebildet werden.
2. Grenzen des Statsgebiets.
296.
Wo zwei Statsgebiete zuſammenſtoßen, ſind die Nachbarſtaten ver- pflichtet, die Grenzlinie gemeinſam zu ordnen und möglichſt klar zu be- zeichnen.
Die Pflicht der Grenzbeſtimmung folgt aus dem friedlichen Nebeneinanderſein der Staten. Jeder von beiden iſt berechtigt, bis an ſeine Grenze zu herrſchen und jeder verpflichtet, nicht darüber hinaus in das Nachbargebiet überzugreifen. Daher haben beide Recht und Pflicht, die Grenze, die ſie von einander ſcheidet und ihnen gemeinſam iſt, auch gemeinſam ins Klare zu ſetzen. Die Analogie des privat- rechtlichenjudicium finium regundorum findet hier Anwendung, immerhin natürlich mit Berückſichtigung der Unterſchiede zwiſchen dem Grundeigenthum der Privatperſonen und der öffentlich-rechtlichen Natur der Gebietshoheit. Als Grenz- zeichen werden Markſteine oder Grenzpfähle geſetzt, Graben gezogen, eine Lichtung durch den Wald hergeſtellt, Wälle und Mauern gebaut, ſchwimmende Tonnen be- feſtigt u. dgl.
297.
Wenn ein Gebirgszug die Grenze bildet zwiſchen zwei Ländern, ſo wird im Zweifel angenommen, daß der oberſte Berggrat und die Waſſer- ſcheide die Grenze beſtimmen.
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Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit.
andern Ufer verſetzt wird. Wer Eigenthümer ſei, iſt für die Statshoheit ganz gleich-
gültig, und weder die Ausdehnung ſeiner Macht noch die Sicherheit ſeiner Grenze
von der Frage, wem das Grundeigenthum gehöre, abhängig zu machen. Vgl. dar-
über auch Oppenheim III. 7.
Durch Neubildung von Inſeln kann überdem die Landesgrenze inſofern er-
weitert werden, als nun von dem Ufer der Inſel aus nach dem Meere hin der Stat
ſeine Macht weiter als bisher von dem Flußufer her erſtrecken kann. Ein Beiſpiel
einer ſolchen Erweiterung durch Inſelbildung in der Mündung des Miſſiſippi
führt Phillimore an I. 240. Der Uferſtat kann, ſchon um ſeiner Sicherheit
willen, nicht zugeben, daß die im Meere, d. h. auf ſtatenloſem Boden entſtandene
Inſel der freien Occupation, vielleicht einer rivaliſirenden Macht offen ſtehe, ſondern
vielmehr begründet die Statshoheit über das Flußgebiet und über die Mündung
des Fluſſes ein natürliches Anrecht auf die Beſetzung der Inſeln, die durch An-
ſchwemmungen des Fluſſes in bisher freiem Meer gebildet werden.
2. Grenzen des Statsgebiets.
296.
Wo zwei Statsgebiete zuſammenſtoßen, ſind die Nachbarſtaten ver-
pflichtet, die Grenzlinie gemeinſam zu ordnen und möglichſt klar zu be-
zeichnen.
Die Pflicht der Grenzbeſtimmung folgt aus dem friedlichen Nebeneinanderſein
der Staten. Jeder von beiden iſt berechtigt, bis an ſeine Grenze zu herrſchen und
jeder verpflichtet, nicht darüber hinaus in das Nachbargebiet überzugreifen. Daher
haben beide Recht und Pflicht, die Grenze, die ſie von einander ſcheidet und ihnen
gemeinſam iſt, auch gemeinſam ins Klare zu ſetzen. Die Analogie des privat-
rechtlichen judicium finium regundorum findet hier Anwendung, immerhin
natürlich mit Berückſichtigung der Unterſchiede zwiſchen dem Grundeigenthum der
Privatperſonen und der öffentlich-rechtlichen Natur der Gebietshoheit. Als Grenz-
zeichen werden Markſteine oder Grenzpfähle geſetzt, Graben gezogen, eine Lichtung
durch den Wald hergeſtellt, Wälle und Mauern gebaut, ſchwimmende Tonnen be-
feſtigt u. dgl.
297.
Wenn ein Gebirgszug die Grenze bildet zwiſchen zwei Ländern, ſo
wird im Zweifel angenommen, daß der oberſte Berggrat und die Waſſer-
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/197>, abgerufen am 03.03.2025.
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