Dem State liegt freilich auch gegen andere Personen die Pflicht ob, sie wider Gewaltthat zu schützen. Aber diese allgemeine Schutzpflicht wird zu Gunsten des directen Völkerverkehrs mit Bezug auf die Gesanten gesteigert und gleichsam poten- zirt. Der besendete Stat hat darauf eine besondere Sorge zu verwenden und je nach Bedürfniß dem Gesanten eine außerordentliche Bedeckung oder Schutzwache zur Sicherung beizuordnen.
193.
Die widerrechtliche Verletzung des Gesanten gilt zugleich als Ver- letzung des repräsentirten States, und in schweren Fällen als Verletzung auch der völkerrechtlichen Statengenossenschaft überhaupt.
Alle Staten sind dabei betheiligt, daß die Unverletzlichkeit der Gesanten aner- kannt und geschützt bleibe; daher sind auch die übrigen Staten berechtigt, theils das Begehren um Genugthuung des zunächst betheiligten States zu unterstützen, theils sogar von sich aus auf Wiederherstellung des Rechts und Sühne zu dringen. Vgl. PhillimoreII. 142.
194.
Wird ein Gesanter in gerechter Nothwehr verletzt, so ist kein Grund zu völkerrechtlicher Beschwerde da, denn Nothwehr ist erlaubt.
Vgl. oben § 144.
195.
Ein Gesanter, der sich in Gefahr begibt, ist auch den Zufällen die- ser Gefahr ausgesetzt; wenn er dabei verletzt wird, so ist das keine Belei- digung seines States und keine Verletzung des Völkerrechts.
Wenn er z. B., ohne die nöthige Vorsicht zu üben, sich in einen aufrührerischen Haufen begibt, und an dem Straßenkampfe Theil nimmt oder wenn er sich auf ein Duell einläßt und bei dieser Gelegenheit verwundet oder gar getödtet wird, so trifft diese Verletzung ihn nicht als Gesanten und daher auch nicht den von ihm repräsen- tirten Stat. Es ist das ein persönlicher Unfall, für den nicht der Stat verant- wortlich gemacht werden kann, der die Unverletzlichkeit des Gesanten zu schützen hat.
196.
Ueberdem kommt den Gesanten das Recht der Exterritorialität zu. Dasselbe erstreckt sich auch auf ihr Gefolge und ihre Wohnung (§ 135 ff.).
Die Lehre von der Exterritorialität wurde vornehmlich im Hinblick auf die Ausnahmsstellung der Gesanten ausgebildet.
Drittes Buch.
Dem State liegt freilich auch gegen andere Perſonen die Pflicht ob, ſie wider Gewaltthat zu ſchützen. Aber dieſe allgemeine Schutzpflicht wird zu Gunſten des directen Völkerverkehrs mit Bezug auf die Geſanten geſteigert und gleichſam poten- zirt. Der beſendete Stat hat darauf eine beſondere Sorge zu verwenden und je nach Bedürfniß dem Geſanten eine außerordentliche Bedeckung oder Schutzwache zur Sicherung beizuordnen.
193.
Die widerrechtliche Verletzung des Geſanten gilt zugleich als Ver- letzung des repräſentirten States, und in ſchweren Fällen als Verletzung auch der völkerrechtlichen Statengenoſſenſchaft überhaupt.
Alle Staten ſind dabei betheiligt, daß die Unverletzlichkeit der Geſanten aner- kannt und geſchützt bleibe; daher ſind auch die übrigen Staten berechtigt, theils das Begehren um Genugthuung des zunächſt betheiligten States zu unterſtützen, theils ſogar von ſich aus auf Wiederherſtellung des Rechts und Sühne zu dringen. Vgl. PhillimoreII. 142.
194.
Wird ein Geſanter in gerechter Nothwehr verletzt, ſo iſt kein Grund zu völkerrechtlicher Beſchwerde da, denn Nothwehr iſt erlaubt.
Vgl. oben § 144.
195.
Ein Geſanter, der ſich in Gefahr begibt, iſt auch den Zufällen die- ſer Gefahr ausgeſetzt; wenn er dabei verletzt wird, ſo iſt das keine Belei- digung ſeines States und keine Verletzung des Völkerrechts.
Wenn er z. B., ohne die nöthige Vorſicht zu üben, ſich in einen aufrühreriſchen Haufen begibt, und an dem Straßenkampfe Theil nimmt oder wenn er ſich auf ein Duell einläßt und bei dieſer Gelegenheit verwundet oder gar getödtet wird, ſo trifft dieſe Verletzung ihn nicht als Geſanten und daher auch nicht den von ihm repräſen- tirten Stat. Es iſt das ein perſönlicher Unfall, für den nicht der Stat verant- wortlich gemacht werden kann, der die Unverletzlichkeit des Geſanten zu ſchützen hat.
196.
Ueberdem kommt den Geſanten das Recht der Exterritorialität zu. Dasſelbe erſtreckt ſich auch auf ihr Gefolge und ihre Wohnung (§ 135 ff.).
Die Lehre von der Exterritorialität wurde vornehmlich im Hinblick auf die Ausnahmsſtellung der Geſanten ausgebildet.
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Drittes Buch.
Dem State liegt freilich auch gegen andere Perſonen die Pflicht ob, ſie wider
Gewaltthat zu ſchützen. Aber dieſe allgemeine Schutzpflicht wird zu Gunſten des
directen Völkerverkehrs mit Bezug auf die Geſanten geſteigert und gleichſam poten-
zirt. Der beſendete Stat hat darauf eine beſondere Sorge zu verwenden und je
nach Bedürfniß dem Geſanten eine außerordentliche Bedeckung oder Schutzwache zur
Sicherung beizuordnen.
193.
Die widerrechtliche Verletzung des Geſanten gilt zugleich als Ver-
letzung des repräſentirten States, und in ſchweren Fällen als Verletzung
auch der völkerrechtlichen Statengenoſſenſchaft überhaupt.
Alle Staten ſind dabei betheiligt, daß die Unverletzlichkeit der Geſanten aner-
kannt und geſchützt bleibe; daher ſind auch die übrigen Staten berechtigt, theils das
Begehren um Genugthuung des zunächſt betheiligten States zu unterſtützen, theils
ſogar von ſich aus auf Wiederherſtellung des Rechts und Sühne zu dringen. Vgl.
Phillimore II. 142.
194.
Wird ein Geſanter in gerechter Nothwehr verletzt, ſo iſt kein Grund
zu völkerrechtlicher Beſchwerde da, denn Nothwehr iſt erlaubt.
Vgl. oben § 144.
195.
Ein Geſanter, der ſich in Gefahr begibt, iſt auch den Zufällen die-
ſer Gefahr ausgeſetzt; wenn er dabei verletzt wird, ſo iſt das keine Belei-
digung ſeines States und keine Verletzung des Völkerrechts.
Wenn er z. B., ohne die nöthige Vorſicht zu üben, ſich in einen aufrühreriſchen
Haufen begibt, und an dem Straßenkampfe Theil nimmt oder wenn er ſich auf ein
Duell einläßt und bei dieſer Gelegenheit verwundet oder gar getödtet wird, ſo trifft
dieſe Verletzung ihn nicht als Geſanten und daher auch nicht den von ihm repräſen-
tirten Stat. Es iſt das ein perſönlicher Unfall, für den nicht der Stat verant-
wortlich gemacht werden kann, der die Unverletzlichkeit des Geſanten zu ſchützen hat.
196.
Ueberdem kommt den Geſanten das Recht der Exterritorialität zu.
Dasſelbe erſtreckt ſich auch auf ihr Gefolge und ihre Wohnung (§ 135 ff.).
Die Lehre von der Exterritorialität wurde vornehmlich im Hinblick auf die
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/158>, abgerufen am 22.12.2024.
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