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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Drittes Buch.
dürfen gegen dieselben keine Zwangsmittel anwenden, weder gegen deren
Person, noch gegen deren Vermögen.

Es ist das wieder nur eine Folge der persönlichen Unabhängigkeit des Ex-
territorialen von anderer Statsgewalt. Die Civilgerichtsbarkeit ist freilich
nur zum Schutz der Privatrechte und des Privatverkehrs eingeführt. Das Privat-
recht aber ist seinem Wesen nach für Jedermann dasselbe und hat mit Statssouve-
veränetät nichts zu schaffen. Wenn der Souverän ein Haus sich zufertigen läßt
oder ererbt, oder einen Miethvertrag eingeht, oder einen Wechsel ausstellt, so erscheint
er in allen diesen Rechtsgeschäften ganz ebenso als Privatperson, wie jeder Andere
und handelt in denselben Rechtsformen, nach denselben Grundsätzen, mit denselben
Wirkungen. Als Privateigenthümer, als Privatgläubiger oder Schuldner ist er in
keiner Weise Repräsentant des Stats, nicht Souverän. Wenn trotzdem die civilisir-
ten Staten ihre Gerichte anweisen, in der Regel keine Civilklage gegen die exterri-
torialen Personen anzunehmen, so liegt der Hauptgrund in der völkerrechtlichen
Rücksicht, daß die Durchführung der gerichtlichen Zwangsmittel (Arrest,
Pfändung, Concurs, Versilberung) gegen die privatrechtliche Person und ihr Ver-
mögen mittelbar auch ihre völkerrechtliche Unverletzlichkeit, Unabhängigkeit und
Ehre treffen und gefährden würde. Man zieht es daher vor, im Interesse der
Sicherheit und Würde des statlichen Verkehrs von der strengen Consequenz des privat-
rechtlichen Grundsatzes abzusehen, und will das Gericht nicht der Gefahr aussetzen,
daß seine Autorität sich machtlos zeige. Ueberdem kam dieser Befreiung der Exter-
ritorialen von der Civilgerichtsbarkeit jene Fiction zu Statten, indem nun fingirt
wurde, sie wohnen nicht innerhalb des Gerichtsbezirkes der inländischen Civilgerichte,
sondern ihr Domicil liege in ihrer Heimat. Während daher im Mittelalter noch,
welches den privatlichen Charakter des Rechts mit Vorliebe betont, die privatrecht-
liche Klage gegen Fürsten unbedenklich überall an Hand genommen wurde, wo die
Gerichtsbarkeit an sich begründet erschien, so ist dagegen in der neuern Zeit die
Exemtion der souveränen Personen auch von der fremden Civilgerichtsbarkeit allge-
meiner zur Uebung der gebildeten Völker geworden. Im Jahr 1827 hat sich das
französische Civilgericht von Havre sogar, ungeachtet der abweichenden Meinung der
Statsanwaltschaft, für incompetent erklärt, eine Civilklage gegen den Präsidenten der
Negerrepublik von Haiti an Hand zu nehmen. Vgl. Phillimore II. App. IV.

140.

Ausnahmsweise wird die einheimische Gerichtsbarkeit der Civilgerichte
begründet:

a) insofern die Klage auch dann hierorts anzubringen wäre, wenn
der Exterritoriale in Wahrheit außer dem Lande wohnte und die
Execution ohne Gefährdung der statlichen Unabhängigkeit und
Ehre durchzuführen ist, wie insbesondere bei Realklagen auf lie-
gendes Gut;

Drittes Buch.
dürfen gegen dieſelben keine Zwangsmittel anwenden, weder gegen deren
Perſon, noch gegen deren Vermögen.

Es iſt das wieder nur eine Folge der perſönlichen Unabhängigkeit des Ex-
territorialen von anderer Statsgewalt. Die Civilgerichtsbarkeit iſt freilich
nur zum Schutz der Privatrechte und des Privatverkehrs eingeführt. Das Privat-
recht aber iſt ſeinem Weſen nach für Jedermann dasſelbe und hat mit Statsſouve-
veränetät nichts zu ſchaffen. Wenn der Souverän ein Haus ſich zufertigen läßt
oder ererbt, oder einen Miethvertrag eingeht, oder einen Wechſel ausſtellt, ſo erſcheint
er in allen dieſen Rechtsgeſchäften ganz ebenſo als Privatperſon, wie jeder Andere
und handelt in denſelben Rechtsformen, nach denſelben Grundſätzen, mit denſelben
Wirkungen. Als Privateigenthümer, als Privatgläubiger oder Schuldner iſt er in
keiner Weiſe Repräſentant des Stats, nicht Souverän. Wenn trotzdem die civiliſir-
ten Staten ihre Gerichte anweiſen, in der Regel keine Civilklage gegen die exterri-
torialen Perſonen anzunehmen, ſo liegt der Hauptgrund in der völkerrechtlichen
Rückſicht, daß die Durchführung der gerichtlichen Zwangsmittel (Arreſt,
Pfändung, Concurs, Verſilberung) gegen die privatrechtliche Perſon und ihr Ver-
mögen mittelbar auch ihre völkerrechtliche Unverletzlichkeit, Unabhängigkeit und
Ehre treffen und gefährden würde. Man zieht es daher vor, im Intereſſe der
Sicherheit und Würde des ſtatlichen Verkehrs von der ſtrengen Conſequenz des privat-
rechtlichen Grundſatzes abzuſehen, und will das Gericht nicht der Gefahr ausſetzen,
daß ſeine Autorität ſich machtlos zeige. Ueberdem kam dieſer Befreiung der Exter-
ritorialen von der Civilgerichtsbarkeit jene Fiction zu Statten, indem nun fingirt
wurde, ſie wohnen nicht innerhalb des Gerichtsbezirkes der inländiſchen Civilgerichte,
ſondern ihr Domicil liege in ihrer Heimat. Während daher im Mittelalter noch,
welches den privatlichen Charakter des Rechts mit Vorliebe betont, die privatrecht-
liche Klage gegen Fürſten unbedenklich überall an Hand genommen wurde, wo die
Gerichtsbarkeit an ſich begründet erſchien, ſo iſt dagegen in der neuern Zeit die
Exemtion der ſouveränen Perſonen auch von der fremden Civilgerichtsbarkeit allge-
meiner zur Uebung der gebildeten Völker geworden. Im Jahr 1827 hat ſich das
franzöſiſche Civilgericht von Havre ſogar, ungeachtet der abweichenden Meinung der
Statsanwaltſchaft, für incompetent erklärt, eine Civilklage gegen den Präſidenten der
Negerrepublik von Haiti an Hand zu nehmen. Vgl. Phillimore II. App. IV.

140.

Ausnahmsweiſe wird die einheimiſche Gerichtsbarkeit der Civilgerichte
begründet:

a) inſofern die Klage auch dann hierorts anzubringen wäre, wenn
der Exterritoriale in Wahrheit außer dem Lande wohnte und die
Execution ohne Gefährdung der ſtatlichen Unabhängigkeit und
Ehre durchzuführen iſt, wie insbeſondere bei Realklagen auf lie-
gendes Gut;
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[118/0140] Drittes Buch. dürfen gegen dieſelben keine Zwangsmittel anwenden, weder gegen deren Perſon, noch gegen deren Vermögen. Es iſt das wieder nur eine Folge der perſönlichen Unabhängigkeit des Ex- territorialen von anderer Statsgewalt. Die Civilgerichtsbarkeit iſt freilich nur zum Schutz der Privatrechte und des Privatverkehrs eingeführt. Das Privat- recht aber iſt ſeinem Weſen nach für Jedermann dasſelbe und hat mit Statsſouve- veränetät nichts zu ſchaffen. Wenn der Souverän ein Haus ſich zufertigen läßt oder ererbt, oder einen Miethvertrag eingeht, oder einen Wechſel ausſtellt, ſo erſcheint er in allen dieſen Rechtsgeſchäften ganz ebenſo als Privatperſon, wie jeder Andere und handelt in denſelben Rechtsformen, nach denſelben Grundſätzen, mit denſelben Wirkungen. Als Privateigenthümer, als Privatgläubiger oder Schuldner iſt er in keiner Weiſe Repräſentant des Stats, nicht Souverän. Wenn trotzdem die civiliſir- ten Staten ihre Gerichte anweiſen, in der Regel keine Civilklage gegen die exterri- torialen Perſonen anzunehmen, ſo liegt der Hauptgrund in der völkerrechtlichen Rückſicht, daß die Durchführung der gerichtlichen Zwangsmittel (Arreſt, Pfändung, Concurs, Verſilberung) gegen die privatrechtliche Perſon und ihr Ver- mögen mittelbar auch ihre völkerrechtliche Unverletzlichkeit, Unabhängigkeit und Ehre treffen und gefährden würde. Man zieht es daher vor, im Intereſſe der Sicherheit und Würde des ſtatlichen Verkehrs von der ſtrengen Conſequenz des privat- rechtlichen Grundſatzes abzuſehen, und will das Gericht nicht der Gefahr ausſetzen, daß ſeine Autorität ſich machtlos zeige. Ueberdem kam dieſer Befreiung der Exter- ritorialen von der Civilgerichtsbarkeit jene Fiction zu Statten, indem nun fingirt wurde, ſie wohnen nicht innerhalb des Gerichtsbezirkes der inländiſchen Civilgerichte, ſondern ihr Domicil liege in ihrer Heimat. Während daher im Mittelalter noch, welches den privatlichen Charakter des Rechts mit Vorliebe betont, die privatrecht- liche Klage gegen Fürſten unbedenklich überall an Hand genommen wurde, wo die Gerichtsbarkeit an ſich begründet erſchien, ſo iſt dagegen in der neuern Zeit die Exemtion der ſouveränen Perſonen auch von der fremden Civilgerichtsbarkeit allge- meiner zur Uebung der gebildeten Völker geworden. Im Jahr 1827 hat ſich das franzöſiſche Civilgericht von Havre ſogar, ungeachtet der abweichenden Meinung der Statsanwaltſchaft, für incompetent erklärt, eine Civilklage gegen den Präſidenten der Negerrepublik von Haiti an Hand zu nehmen. Vgl. Phillimore II. App. IV. 140. Ausnahmsweiſe wird die einheimiſche Gerichtsbarkeit der Civilgerichte begründet: a) inſofern die Klage auch dann hierorts anzubringen wäre, wenn der Exterritoriale in Wahrheit außer dem Lande wohnte und die Execution ohne Gefährdung der ſtatlichen Unabhängigkeit und Ehre durchzuführen iſt, wie insbeſondere bei Realklagen auf lie- gendes Gut;

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/140>, abgerufen am 21.11.2024.