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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Zweites Buch.
und ſich der Schutzhoheit desſelben unterworfen haben, gilt ebenfalls als
Halbſouveränetät, weil ſie durch eine übergeordnete höhere Souveränetät
dauernd beſchränkt wird.

Die Schutzhoheit iſt inſofern ähnlich der Lehenshoheit, als der Schirmherr,
wie der Lehensherr eine übergeordnete Stellung behauptet. Aber es wird nicht von
jenem wie von dieſem die halbe Souveränetät des Schutzſtates abgeleitet, ſondern
nur um der Rückſicht auf den Schirmherrn willen die Souveränetät des Schutzſtates
beſchränkt. Auch dieſes Verhältniß trägt übrigens den Keim des Todes in ſich,
denn ein Stat, der ſich nicht ſelber ſchützen kann, verdient nicht ein ſelbſtän-
diger Stat
zu bleiben. Die Beiſpiele ſolcher Staten ſind daher wieder ſelten in
dem heutigen Statenſyſtem. Die Republik Krakau, welche unter der Schutzhoheit
der drei Oſtmächte, Oeſterreich, Rußland und Preußen, geweſen war, iſt 1846 von
Oeſterreich einverleibt; die Joniſchen Inſeln, ein Schutzſtat Englands, ſind
1864 mit Griechenland vereinigt worden. Wenn auch die Donaufürſten-
thümer
zunächſt Vaſallenſtaten der Ottomaniſchen Pforte zugleich Schutzſtaten der
europäiſchen Großmächte ſind, ſo dient dieſes Schutzverhältniß eher dazu, ihr Wachs-
thum zur Unabhängigkeit von der Türkiſchen Herrſchaft zu fördern, als ihre freie
Entwicklung zu gefährden.

79.

Den Colonialſtaten, welche dem Mutterſtate untergeordnet ſind, kann
ebenfalls eine beſchränkte Selbſtändigkeit zugeſtanden ſein, ſo daß ſie als
halbſouveräne Staten in beſondere völkerrechtliche Beziehungen treten.

Schon die große Entfernung vieler überſeeiſchen Colonien von dem Mutter-
ſtate macht im Intereſſe derſelben eine beſondere Regierung und daher auch eine be-
ſondere Repräſentation oft wünſchenswerth. Wenn daher auch urſprünglich das
Mutterland der alleinige Sitz der Souveränetät war, ſo erfordert das Wachsthum
der Colonie doch mit der Zeit eine Ausſtattung mit größeren Rechten freier Bewe-
gung. So entwickeln ſich die Colonien zu eigenthümlichen Statsweſen, ähnlich
den Schutzſtaten und ſcheiden ſich zuletzt wohl auch als neue vollſouveräne Staten
aus. Die Geſchichte von Amerika enthält in dieſer Hinſicht große Lehren auch für
das Völkerrecht. Als Vorbild einer guten Colonialpolitik darf die engliſche gegen-
über von Canada und Auſtralien ſeit den Reformen von Lord Durham
(1836) angeſehen werden.

80.

In ähnlichen Verhältniſſen theilweiſer Abhängigkeit von den Haupt-
ſtaten und theilweiſer Selbſtändigkeit ſtehen auch die mancherlei Neben-
länder.

Es kommt hier freilich vieles darauf an, wie dieſe Nebenländer beſchaffen
ſeien, ob die darin lebende Bevölkerung fähig ſei, ihre öffentlichen Intereſſen ſelb-

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/112>, abgerufen am 30.12.2024.