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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Erstes Buch. Der Statsbegriff.
teles wurde in manchen Klosterschulen beachtet. Sogar
der gepriesenste Doktor der Theologie, Thomas von Aquino,
interpretirte das berühmte Werk des hellenischen Philosophen.

Aber trotz alledem war die Rechtsbildung und ganz be-
sonders die Statsordnung des Mittelalters grundverschieden
von dem antiken Recht und Stat. Der germanische Grund-
charakter in den Institutionen und die kirchlich-theologischen
Principien in den Ideen waren durchaus vorherrschend.

Erst in der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts er-
wachte das Andenken an die klassische Periode wieder leb-
hafter und der klassische Geist der Griechen und der Römer
feierte seine Wiedergeburt (renaissance). Die Kunstwerke der
Alten wirken nun befreiend und verschönernd auf die italieni-
schen Künstler, in der Architektur, der Plastik, der Malerei
und in der Poesie. Die Gedanken der antiken Wissenschaft
kommen wieder zu Ehren und durchbrechen die klösterlich-
theologischen Gehäge der mittelalterlichen Scholastik. Der
Humanismus erhebt sich über die kirchliche Weltscheu und
eine hellere freudigere Weltanschauung findet an den Höfen
und in den Städten vielfältigen Beifall. Wie fast zweitausend
Jahre früher die Sophisten die Lehrer wurden der griechi-
schen Zöglinge aus angesehenen Familien, so werden nun
die Humanisten die bevorzugten Lehrer der aufstrebenden
Jugend in Italien, Frankreich und Deutschland. Die Gebil-
deten lassen sich nicht mehr durch den Vorwurf zurück-
schrecken, dasz sie wieder aus Christen zu Heiden werden.
Die Päpste selber gehen dieser Bewegung der Geister mit
leuchtendem Vorbilde voran: Nicolaus V. (1447-1455),
Pius II. (Aeneas Sylvius 1458-1464), Julius II. (1503
bis 1514), Leo X. (1513-1521) beschützen und fördern die
freiere Kunstrichtung der Renaissance. Die fürstlichen Me-
dici
, voran Cosmo (1428-1464) und Lorenzo (1472-1492)
erheben das schöne Florenz zu einem neuen italienischen
Athen.


Erstes Buch. Der Statsbegriff.
teles wurde in manchen Klosterschulen beachtet. Sogar
der gepriesenste Doktor der Theologie, Thomas von Aquino,
interpretirte das berühmte Werk des hellenischen Philosophen.

Aber trotz alledem war die Rechtsbildung und ganz be-
sonders die Statsordnung des Mittelalters grundverschieden
von dem antiken Recht und Stat. Der germanische Grund-
charakter in den Institutionen und die kirchlich-theologischen
Principien in den Ideen waren durchaus vorherrschend.

Erst in der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts er-
wachte das Andenken an die klassische Periode wieder leb-
hafter und der klassische Geist der Griechen und der Römer
feierte seine Wiedergeburt (renaissance). Die Kunstwerke der
Alten wirken nun befreiend und verschönernd auf die italieni-
schen Künstler, in der Architektur, der Plastik, der Malerei
und in der Poesie. Die Gedanken der antiken Wissenschaft
kommen wieder zu Ehren und durchbrechen die klösterlich-
theologischen Gehäge der mittelalterlichen Scholastik. Der
Humanismus erhebt sich über die kirchliche Weltscheu und
eine hellere freudigere Weltanschauung findet an den Höfen
und in den Städten vielfältigen Beifall. Wie fast zweitausend
Jahre früher die Sophisten die Lehrer wurden der griechi-
schen Zöglinge aus angesehenen Familien, so werden nun
die Humanisten die bevorzugten Lehrer der aufstrebenden
Jugend in Italien, Frankreich und Deutschland. Die Gebil-
deten lassen sich nicht mehr durch den Vorwurf zurück-
schrecken, dasz sie wieder aus Christen zu Heiden werden.
Die Päpste selber gehen dieser Bewegung der Geister mit
leuchtendem Vorbilde voran: Nicolaus V. (1447-1455),
Pius II. (Aeneas Sylvius 1458-1464), Julius II. (1503
bis 1514), Leo X. (1513-1521) beschützen und fördern die
freiere Kunstrichtung der Renaissance. Die fürstlichen Me-
dici
, voran Cosmo (1428-1464) und Lorenzo (1472-1492)
erheben das schöne Florenz zu einem neuen italienischen
Athen.


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[50/0068] Erstes Buch. Der Statsbegriff. teles wurde in manchen Klosterschulen beachtet. Sogar der gepriesenste Doktor der Theologie, Thomas von Aquino, interpretirte das berühmte Werk des hellenischen Philosophen. Aber trotz alledem war die Rechtsbildung und ganz be- sonders die Statsordnung des Mittelalters grundverschieden von dem antiken Recht und Stat. Der germanische Grund- charakter in den Institutionen und die kirchlich-theologischen Principien in den Ideen waren durchaus vorherrschend. Erst in der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts er- wachte das Andenken an die klassische Periode wieder leb- hafter und der klassische Geist der Griechen und der Römer feierte seine Wiedergeburt (renaissance). Die Kunstwerke der Alten wirken nun befreiend und verschönernd auf die italieni- schen Künstler, in der Architektur, der Plastik, der Malerei und in der Poesie. Die Gedanken der antiken Wissenschaft kommen wieder zu Ehren und durchbrechen die klösterlich- theologischen Gehäge der mittelalterlichen Scholastik. Der Humanismus erhebt sich über die kirchliche Weltscheu und eine hellere freudigere Weltanschauung findet an den Höfen und in den Städten vielfältigen Beifall. Wie fast zweitausend Jahre früher die Sophisten die Lehrer wurden der griechi- schen Zöglinge aus angesehenen Familien, so werden nun die Humanisten die bevorzugten Lehrer der aufstrebenden Jugend in Italien, Frankreich und Deutschland. Die Gebil- deten lassen sich nicht mehr durch den Vorwurf zurück- schrecken, dasz sie wieder aus Christen zu Heiden werden. Die Päpste selber gehen dieser Bewegung der Geister mit leuchtendem Vorbilde voran: Nicolaus V. (1447-1455), Pius II. (Aeneas Sylvius 1458-1464), Julius II. (1503 bis 1514), Leo X. (1513-1521) beschützen und fördern die freiere Kunstrichtung der Renaissance. Die fürstlichen Me- dici, voran Cosmo (1428-1464) und Lorenzo (1472-1492) erheben das schöne Florenz zu einem neuen italienischen Athen.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/68>, abgerufen am 27.04.2024.