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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Neunzehntes Cap. Verhältnisz d. States zur Familie. 1. Geschlechterstat
etc.
des States, der Familie die erforderliche Nahrung und den
nöthigen Unterhalt zu verschaffen. Ein weiteres Verbot der
Ehe dagegen, insbesondere der Vorbehalt einer willkürlichen
Genehmigung der Gemeinden, ist ein nicht zu rechtfertigen-
der Eingriff in das natürliche Recht des Individuums.

Die gesetzliche Erschwerung der Ehen vermag überdem
die Erzeugung unehelicher Kinder nicht zu hindern; im
Gegentheil das Uebel einer groszen Zahl familienloser und
daher ärmlich genährter und mangelhaft erzogener Unehe-
licher wird dadurch vermehrt. Die Gründung einer Familie
und die Hülfe der Frau üben einen sittigenden Einflusz aus
auf die Männer und wirken für den ökonomischen Bestand
der Haushaltung im Groszen und Ganzen eher wohlthätig als
schädlich. Daher ist als Regel nicht die Beschränkung, son-
dern umgekehrt die volle Freiheit der Eheschlieszung
zu empfehlen. Die Gesetzgebung, welche für Alle zu sorgen
hat, musz es auch dem armen Mann ermöglichen, eine Ge-
nossin seiner Armuth und eine ehrliche und eheliche Mutter
seiner Kinder zu wählen.

6. Mit Recht enthält sich der Stat einläszlicher Vorschrif-
ten über das geschlechtliche Verhältnisz der Ehegatten. 8
Sie gehören vorzugsweise dem individuellen Leben und der
Sitte an. Wohl aber ist er befugt und veranlaszt, offenbare,
über den Kreis des engen Familienkreises hinaus wirkende
Immoralität und den Bruch der ehelichen Treue auf Klage des
verletzten Ehegatten mit Strafe zu bedrohen, und so durch seine
Gesetzgebung die gute Sitte und die Reinheit der Ehe zu stützen.


8 In den Gesetzen Manu's (III. 46.) kommen darüber folgende Be-
stimmungen vor: "16 Tage und 16 Nächte von der Erscheinung der
Regeln an sind die natürliche Zeit der Frauen. An den 4 ersten Nächten
und ebenso an den 11ten und 13ten dürfen sie nicht heimgesucht werden.
Die übrigen 10 dagegen sind erlaubt, und unter diesen die geraden der
Erzeugung von Söhnen, die ungeraden der von Töchtern günstig." Auch
die jüdische Gesetzgebung und späterhin das kanonische Recht
haben darüber Bestimmungen.
Bluntschli, allgemeine Statslehre. 15

Neunzehntes Cap. Verhältnisz d. States zur Familie. 1. Geschlechterstat
etc.
des States, der Familie die erforderliche Nahrung und den
nöthigen Unterhalt zu verschaffen. Ein weiteres Verbot der
Ehe dagegen, insbesondere der Vorbehalt einer willkürlichen
Genehmigung der Gemeinden, ist ein nicht zu rechtfertigen-
der Eingriff in das natürliche Recht des Individuums.

Die gesetzliche Erschwerung der Ehen vermag überdem
die Erzeugung unehelicher Kinder nicht zu hindern; im
Gegentheil das Uebel einer groszen Zahl familienloser und
daher ärmlich genährter und mangelhaft erzogener Unehe-
licher wird dadurch vermehrt. Die Gründung einer Familie
und die Hülfe der Frau üben einen sittigenden Einflusz aus
auf die Männer und wirken für den ökonomischen Bestand
der Haushaltung im Groszen und Ganzen eher wohlthätig als
schädlich. Daher ist als Regel nicht die Beschränkung, son-
dern umgekehrt die volle Freiheit der Eheschlieszung
zu empfehlen. Die Gesetzgebung, welche für Alle zu sorgen
hat, musz es auch dem armen Mann ermöglichen, eine Ge-
nossin seiner Armuth und eine ehrliche und eheliche Mutter
seiner Kinder zu wählen.

6. Mit Recht enthält sich der Stat einläszlicher Vorschrif-
ten über das geschlechtliche Verhältnisz der Ehegatten. 8
Sie gehören vorzugsweise dem individuellen Leben und der
Sitte an. Wohl aber ist er befugt und veranlaszt, offenbare,
über den Kreis des engen Familienkreises hinaus wirkende
Immoralität und den Bruch der ehelichen Treue auf Klage des
verletzten Ehegatten mit Strafe zu bedrohen, und so durch seine
Gesetzgebung die gute Sitte und die Reinheit der Ehe zu stützen.


8 In den Gesetzen Manu's (III. 46.) kommen darüber folgende Be-
stimmungen vor: „16 Tage und 16 Nächte von der Erscheinung der
Regeln an sind die natürliche Zeit der Frauen. An den 4 ersten Nächten
und ebenso an den 11ten und 13ten dürfen sie nicht heimgesucht werden.
Die übrigen 10 dagegen sind erlaubt, und unter diesen die geraden der
Erzeugung von Söhnen, die ungeraden der von Töchtern günstig.“ Auch
die jüdische Gesetzgebung und späterhin das kanonische Recht
haben darüber Bestimmungen.
Bluntschli, allgemeine Statslehre. 15
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[225/0243] Neunzehntes Cap. Verhältnisz d. States zur Familie. 1. Geschlechterstat etc. des States, der Familie die erforderliche Nahrung und den nöthigen Unterhalt zu verschaffen. Ein weiteres Verbot der Ehe dagegen, insbesondere der Vorbehalt einer willkürlichen Genehmigung der Gemeinden, ist ein nicht zu rechtfertigen- der Eingriff in das natürliche Recht des Individuums. Die gesetzliche Erschwerung der Ehen vermag überdem die Erzeugung unehelicher Kinder nicht zu hindern; im Gegentheil das Uebel einer groszen Zahl familienloser und daher ärmlich genährter und mangelhaft erzogener Unehe- licher wird dadurch vermehrt. Die Gründung einer Familie und die Hülfe der Frau üben einen sittigenden Einflusz aus auf die Männer und wirken für den ökonomischen Bestand der Haushaltung im Groszen und Ganzen eher wohlthätig als schädlich. Daher ist als Regel nicht die Beschränkung, son- dern umgekehrt die volle Freiheit der Eheschlieszung zu empfehlen. Die Gesetzgebung, welche für Alle zu sorgen hat, musz es auch dem armen Mann ermöglichen, eine Ge- nossin seiner Armuth und eine ehrliche und eheliche Mutter seiner Kinder zu wählen. 6. Mit Recht enthält sich der Stat einläszlicher Vorschrif- ten über das geschlechtliche Verhältnisz der Ehegatten. 8 Sie gehören vorzugsweise dem individuellen Leben und der Sitte an. Wohl aber ist er befugt und veranlaszt, offenbare, über den Kreis des engen Familienkreises hinaus wirkende Immoralität und den Bruch der ehelichen Treue auf Klage des verletzten Ehegatten mit Strafe zu bedrohen, und so durch seine Gesetzgebung die gute Sitte und die Reinheit der Ehe zu stützen. 8 In den Gesetzen Manu's (III. 46.) kommen darüber folgende Be- stimmungen vor: „16 Tage und 16 Nächte von der Erscheinung der Regeln an sind die natürliche Zeit der Frauen. An den 4 ersten Nächten und ebenso an den 11ten und 13ten dürfen sie nicht heimgesucht werden. Die übrigen 10 dagegen sind erlaubt, und unter diesen die geraden der Erzeugung von Söhnen, die ungeraden der von Töchtern günstig.“ Auch die jüdische Gesetzgebung und späterhin das kanonische Recht haben darüber Bestimmungen. Bluntschli, allgemeine Statslehre. 15

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/243>, abgerufen am 26.04.2024.