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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
Kaste über die niedere als ein grundverschiedenes Wesen, son-
dern als ein wesentlich in demselben Volksrechte wurzelnder
und mit den Freien verbundener, wenn auch hervorragender
und ausgezeichneter Stand.

Die Gemeinfreien sind in der ältesten Zeit regelmäszig
Grundeigenthümer und Ackerbauer. Als solche zeigen sich
die Geomoren in der athenischen Verfassung zu Theseus
Zeit, die gewöhnlichen Spartiaten, die römischen Plebejer,
die Freien aller germanischen Stämme, bei denen freie Ge-
burt und freies Gut einer besondern Achtung in dem Rechts-
organismus genieszen. Auch mit dem Handel, obwohl anfangs
weniger gerne, beschäftigen sich die Freien. Ihre Lebensweise
ist somit der der Visas wohl zu vergleichen. Aber durch die
Waffenfähigkeit -- sie voraus bilden die Massen des Fuszvolks
-- werden sie in öffentlicher Ehre höher als diese gehoben,
und in der Gemeinde üben sie auch je nach der besondern
Verfassung politische Rechte aus.

Als Freie sind sie zwar der Obrigkeit unterthan, aber
nicht einem besondern Herrn zugehörig. Schutzherrschaft
kommt ihnen anfangs wohl nicht zu, aber Eigene können sie
besitzen. Auch ihr Stand ist ursprünglich ein Erbstand. In
der Regel wird man als Freier (ingenuus) geboren.

4. Endlich werden wir mancherlei Spuren eines freilich
schon in diesen ersten Zeiten offenbar in der Auflösung be-
griffenen und daher etwas räthselhaften Standes von hörigen
Leuten
gewahr, welchem wie den indischen Sudras die niedern
Handthierungen des Lebens zukommen. Zuweilen besteht er
ebenfalls aus unterworfenen Landbewohnern, aber durchweg nur
von derselben Rasse, wie die Sieger, zuweilen kommen die
armen Leute durch spätern Herrendruck und wirthschaftliche
Verschuldung in die dauernde Abhängigkeit. Dahin gehören
die Pelaten und Theten in Griechenland, die Clienten
der Römer, der Gallier, der Britten, die Liten der Germanen.
Sie haben einen Mund- und Schutzherrn, bei den Griechen

Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
Kaste über die niedere als ein grundverschiedenes Wesen, son-
dern als ein wesentlich in demselben Volksrechte wurzelnder
und mit den Freien verbundener, wenn auch hervorragender
und ausgezeichneter Stand.

Die Gemeinfreien sind in der ältesten Zeit regelmäszig
Grundeigenthümer und Ackerbauer. Als solche zeigen sich
die Geomoren in der athenischen Verfassung zu Theseus
Zeit, die gewöhnlichen Spartiaten, die römischen Plebejer,
die Freien aller germanischen Stämme, bei denen freie Ge-
burt und freies Gut einer besondern Achtung in dem Rechts-
organismus genieszen. Auch mit dem Handel, obwohl anfangs
weniger gerne, beschäftigen sich die Freien. Ihre Lebensweise
ist somit der der Visas wohl zu vergleichen. Aber durch die
Waffenfähigkeit — sie voraus bilden die Massen des Fuszvolks
— werden sie in öffentlicher Ehre höher als diese gehoben,
und in der Gemeinde üben sie auch je nach der besondern
Verfassung politische Rechte aus.

Als Freie sind sie zwar der Obrigkeit unterthan, aber
nicht einem besondern Herrn zugehörig. Schutzherrschaft
kommt ihnen anfangs wohl nicht zu, aber Eigene können sie
besitzen. Auch ihr Stand ist ursprünglich ein Erbstand. In
der Regel wird man als Freier (ingenuus) geboren.

4. Endlich werden wir mancherlei Spuren eines freilich
schon in diesen ersten Zeiten offenbar in der Auflösung be-
griffenen und daher etwas räthselhaften Standes von hörigen
Leuten
gewahr, welchem wie den indischen Sudras die niedern
Handthierungen des Lebens zukommen. Zuweilen besteht er
ebenfalls aus unterworfenen Landbewohnern, aber durchweg nur
von derselben Rasse, wie die Sieger, zuweilen kommen die
armen Leute durch spätern Herrendruck und wirthschaftliche
Verschuldung in die dauernde Abhängigkeit. Dahin gehören
die Pelaten und Theten in Griechenland, die Clienten
der Römer, der Gallier, der Britten, die Liten der Germanen.
Sie haben einen Mund- und Schutzherrn, bei den Griechen

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[132/0150] Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur. Kaste über die niedere als ein grundverschiedenes Wesen, son- dern als ein wesentlich in demselben Volksrechte wurzelnder und mit den Freien verbundener, wenn auch hervorragender und ausgezeichneter Stand. Die Gemeinfreien sind in der ältesten Zeit regelmäszig Grundeigenthümer und Ackerbauer. Als solche zeigen sich die Geomoren in der athenischen Verfassung zu Theseus Zeit, die gewöhnlichen Spartiaten, die römischen Plebejer, die Freien aller germanischen Stämme, bei denen freie Ge- burt und freies Gut einer besondern Achtung in dem Rechts- organismus genieszen. Auch mit dem Handel, obwohl anfangs weniger gerne, beschäftigen sich die Freien. Ihre Lebensweise ist somit der der Visas wohl zu vergleichen. Aber durch die Waffenfähigkeit — sie voraus bilden die Massen des Fuszvolks — werden sie in öffentlicher Ehre höher als diese gehoben, und in der Gemeinde üben sie auch je nach der besondern Verfassung politische Rechte aus. Als Freie sind sie zwar der Obrigkeit unterthan, aber nicht einem besondern Herrn zugehörig. Schutzherrschaft kommt ihnen anfangs wohl nicht zu, aber Eigene können sie besitzen. Auch ihr Stand ist ursprünglich ein Erbstand. In der Regel wird man als Freier (ingenuus) geboren. 4. Endlich werden wir mancherlei Spuren eines freilich schon in diesen ersten Zeiten offenbar in der Auflösung be- griffenen und daher etwas räthselhaften Standes von hörigen Leuten gewahr, welchem wie den indischen Sudras die niedern Handthierungen des Lebens zukommen. Zuweilen besteht er ebenfalls aus unterworfenen Landbewohnern, aber durchweg nur von derselben Rasse, wie die Sieger, zuweilen kommen die armen Leute durch spätern Herrendruck und wirthschaftliche Verschuldung in die dauernde Abhängigkeit. Dahin gehören die Pelaten und Theten in Griechenland, die Clienten der Römer, der Gallier, der Britten, die Liten der Germanen. Sie haben einen Mund- und Schutzherrn, bei den Griechen

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/150>, abgerufen am 26.04.2024.