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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Achtes Capitel. V. Kasten. Stände. Classen. B. Die Stände.
überall in Europa finden, ist durchgehends Erbadel und hat
gewöhnlich die wichtigsten Funktionen der beiden obersten
Kasten in sich vereinigt. Die Erblichkeit des Uradels wird
gewöhnlich schon durch die Sprache bezeugt. Die griechischen
Eupatriden und die römischen Patricier sind schon um
ihrer Abstammung willen von edeln Vätern so benannt, die
germanischen Adalinge haben ihren Namen von dem Ge-
schlechte (adal), von dem sie ihr Blut erbten. 2 Auch die
Lucumonen der Etrurier und die gallischen Ritter waren
Erbadel. Die obersten Adelsgeschlechter, die fürstlichen Fami-
lien suchte die alte Sage überdem mit besonderer Vorliebe von
unmittelbarer Erzeugung der Götter oder der Heroen abzuleiten
und durch die Annahme göttlichen Blutes zu ehren Diesem
Uradel kommt gewöhnlich das Priesterthum und die Wissen-
schaft von den göttlichen Dingen, ihm auch die Kunde und
Pflege des Rechtes zu. Die höhern obrigkeitlichen Aemter
werden aus ihm vorzugsweise bestellt; und in der Kriegsver-
fassung nehmen die Edeln durchweg einen hohen Rang ein.
Dagegen sind ihnen die bürgerlichen Gewerbe meistens ver-
schlossen. Gewöhnlich haben sie hörige Leute in ihrem Schutze
und in ihrem Dienste, und sind auch im Privatrecht durch
ihre Gutsherrschaft ausgezeichnet. Sie lieben es auf Burgen
zu wohnen, und suchen auch in den Städten die Höhen aus.

Diese charakteristischen Züge finden sich mit geringen
Abweichungen in der historischen Jugendzeit der europäischen
Völker wieder. Je weiter wir in die Vorzeit hinauf steigen,
desto ähnlicher erscheint diese religiös-politische Institution.

3. Die Gemeinfreien bilden bei Griechen, Römern und
Germanen den eigentlichen Kern des Demos und des Volkes.
Ihnen gebührt das Volks- und Landrecht in vollem Masze.
Auf ihnen vornehmlich beruht die Kraft des States. Der Adel
hebt sich über sie empor, aber nicht wie die höhere indische

2 Sehr gut darüber
Schmitthenner Statsrecht. S. 31. u. 103.

Achtes Capitel. V. Kasten. Stände. Classen. B. Die Stände.
überall in Europa finden, ist durchgehends Erbadel und hat
gewöhnlich die wichtigsten Funktionen der beiden obersten
Kasten in sich vereinigt. Die Erblichkeit des Uradels wird
gewöhnlich schon durch die Sprache bezeugt. Die griechischen
Eupatriden und die römischen Patricier sind schon um
ihrer Abstammung willen von edeln Vätern so benannt, die
germanischen Adalinge haben ihren Namen von dem Ge-
schlechte (adal), von dem sie ihr Blut erbten. 2 Auch die
Lucumonen der Etrurier und die gallischen Ritter waren
Erbadel. Die obersten Adelsgeschlechter, die fürstlichen Fami-
lien suchte die alte Sage überdem mit besonderer Vorliebe von
unmittelbarer Erzeugung der Götter oder der Heroen abzuleiten
und durch die Annahme göttlichen Blutes zu ehren Diesem
Uradel kommt gewöhnlich das Priesterthum und die Wissen-
schaft von den göttlichen Dingen, ihm auch die Kunde und
Pflege des Rechtes zu. Die höhern obrigkeitlichen Aemter
werden aus ihm vorzugsweise bestellt; und in der Kriegsver-
fassung nehmen die Edeln durchweg einen hohen Rang ein.
Dagegen sind ihnen die bürgerlichen Gewerbe meistens ver-
schlossen. Gewöhnlich haben sie hörige Leute in ihrem Schutze
und in ihrem Dienste, und sind auch im Privatrecht durch
ihre Gutsherrschaft ausgezeichnet. Sie lieben es auf Burgen
zu wohnen, und suchen auch in den Städten die Höhen aus.

Diese charakteristischen Züge finden sich mit geringen
Abweichungen in der historischen Jugendzeit der europäischen
Völker wieder. Je weiter wir in die Vorzeit hinauf steigen,
desto ähnlicher erscheint diese religiös-politische Institution.

3. Die Gemeinfreien bilden bei Griechen, Römern und
Germanen den eigentlichen Kern des Demos und des Volkes.
Ihnen gebührt das Volks- und Landrecht in vollem Masze.
Auf ihnen vornehmlich beruht die Kraft des States. Der Adel
hebt sich über sie empor, aber nicht wie die höhere indische

2 Sehr gut darüber
Schmitthenner Statsrecht. S. 31. u. 103.
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[131/0149] Achtes Capitel. V. Kasten. Stände. Classen. B. Die Stände. überall in Europa finden, ist durchgehends Erbadel und hat gewöhnlich die wichtigsten Funktionen der beiden obersten Kasten in sich vereinigt. Die Erblichkeit des Uradels wird gewöhnlich schon durch die Sprache bezeugt. Die griechischen Eupatriden und die römischen Patricier sind schon um ihrer Abstammung willen von edeln Vätern so benannt, die germanischen Adalinge haben ihren Namen von dem Ge- schlechte (adal), von dem sie ihr Blut erbten. 2 Auch die Lucumonen der Etrurier und die gallischen Ritter waren Erbadel. Die obersten Adelsgeschlechter, die fürstlichen Fami- lien suchte die alte Sage überdem mit besonderer Vorliebe von unmittelbarer Erzeugung der Götter oder der Heroen abzuleiten und durch die Annahme göttlichen Blutes zu ehren Diesem Uradel kommt gewöhnlich das Priesterthum und die Wissen- schaft von den göttlichen Dingen, ihm auch die Kunde und Pflege des Rechtes zu. Die höhern obrigkeitlichen Aemter werden aus ihm vorzugsweise bestellt; und in der Kriegsver- fassung nehmen die Edeln durchweg einen hohen Rang ein. Dagegen sind ihnen die bürgerlichen Gewerbe meistens ver- schlossen. Gewöhnlich haben sie hörige Leute in ihrem Schutze und in ihrem Dienste, und sind auch im Privatrecht durch ihre Gutsherrschaft ausgezeichnet. Sie lieben es auf Burgen zu wohnen, und suchen auch in den Städten die Höhen aus. Diese charakteristischen Züge finden sich mit geringen Abweichungen in der historischen Jugendzeit der europäischen Völker wieder. Je weiter wir in die Vorzeit hinauf steigen, desto ähnlicher erscheint diese religiös-politische Institution. 3. Die Gemeinfreien bilden bei Griechen, Römern und Germanen den eigentlichen Kern des Demos und des Volkes. Ihnen gebührt das Volks- und Landrecht in vollem Masze. Auf ihnen vornehmlich beruht die Kraft des States. Der Adel hebt sich über sie empor, aber nicht wie die höhere indische 2 Sehr gut darüber Schmitthenner Statsrecht. S. 31. u. 103.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/149>, abgerufen am 26.04.2024.