Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Siebentes Capitel. V. Kasten. Stände. Classen. A. Die Kasten.
heute noch an die Stammesvorurtheile an, um die nationale
Entwicklung zu erschweren, wenn es auch nicht mehr angeht,
sie zu verhindern.

In dem Stamme ist, wie die Geschichte lehrt, auch ein
Ansatz zu einer neuen Volksbildung zu erkennen.
Indem sich der Stamm abschlieszt und trennt von der Nation,
der er von Natur angehört, kann er mit der Zeit zu einem
neuen Volke werden, leichter aber zu einem neuen -- frei-
lich meistens kleinen Statsvolke, seltener zu einer neuen
Nation. Die letztere Bildung gelingt ihm nur, wenn er sich
mischt und in Folge der Mischung auch die Sprache ver-
ändert, wie es dem germanischen Stamme der Longobarden
in Italien geschehen ist, oder wenn er mit der Zeit seinen
Dialekt zu einer besondern Sprache ausbildet, wie die Hol-
länder es gethan haben.



Siebentes Capitel.
V. Kasten. Stände. Classen.
A. Die Kasten.

Innerhalb der Nationen, Völker und Stämme, welche
alle räumlich gesondert erscheinen, zeigen sich weitere, aber
räumlich verbundene Unterschiede, welche wieder eine
statsrechtliche Bedeutung haben; verschiedene feste Schichten
in dem Bau der Gesellschaft oder verschiedene Richtungen
des Gesammtlebens oder verschiedene Stufen der politischen
Bedeutung und Bildung, d. h. Kasten oder Stände oder
Classen.

Die Kastenordnung hat ihre wichtigste Anwendung
in Indien gefunden, ist aber auch in Aegypten und Persien
von Einflusz geworden. Sie gehört vorzugsweise dem alt-

Siebentes Capitel. V. Kasten. Stände. Classen. A. Die Kasten.
heute noch an die Stammesvorurtheile an, um die nationale
Entwicklung zu erschweren, wenn es auch nicht mehr angeht,
sie zu verhindern.

In dem Stamme ist, wie die Geschichte lehrt, auch ein
Ansatz zu einer neuen Volksbildung zu erkennen.
Indem sich der Stamm abschlieszt und trennt von der Nation,
der er von Natur angehört, kann er mit der Zeit zu einem
neuen Volke werden, leichter aber zu einem neuen — frei-
lich meistens kleinen Statsvolke, seltener zu einer neuen
Nation. Die letztere Bildung gelingt ihm nur, wenn er sich
mischt und in Folge der Mischung auch die Sprache ver-
ändert, wie es dem germanischen Stamme der Longobarden
in Italien geschehen ist, oder wenn er mit der Zeit seinen
Dialekt zu einer besondern Sprache ausbildet, wie die Hol-
länder es gethan haben.



Siebentes Capitel.
V. Kasten. Stände. Classen.
A. Die Kasten.

Innerhalb der Nationen, Völker und Stämme, welche
alle räumlich gesondert erscheinen, zeigen sich weitere, aber
räumlich verbundene Unterschiede, welche wieder eine
statsrechtliche Bedeutung haben; verschiedene feste Schichten
in dem Bau der Gesellschaft oder verschiedene Richtungen
des Gesammtlebens oder verschiedene Stufen der politischen
Bedeutung und Bildung, d. h. Kasten oder Stände oder
Classen.

Die Kastenordnung hat ihre wichtigste Anwendung
in Indien gefunden, ist aber auch in Aegypten und Persien
von Einflusz geworden. Sie gehört vorzugsweise dem alt-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0141" n="123"/><fw place="top" type="header">Siebentes Capitel. V. Kasten. Stände. Classen. A. Die Kasten.</fw><lb/>
heute noch an die Stammesvorurtheile an, um die nationale<lb/>
Entwicklung zu erschweren, wenn es auch nicht mehr angeht,<lb/>
sie zu verhindern.</p><lb/>
          <p>In dem Stamme ist, wie die Geschichte lehrt, auch ein<lb/><hi rendition="#g">Ansatz zu einer neuen Volksbildung</hi> zu erkennen.<lb/>
Indem sich der Stamm abschlieszt und trennt von der Nation,<lb/>
der er von Natur angehört, kann er mit der Zeit zu einem<lb/>
neuen Volke werden, leichter aber zu einem neuen &#x2014; frei-<lb/>
lich meistens kleinen Statsvolke, seltener zu einer neuen<lb/>
Nation. Die letztere Bildung gelingt ihm nur, wenn er sich<lb/>
mischt und in Folge der Mischung auch die Sprache ver-<lb/>
ändert, wie es dem germanischen Stamme der Longobarden<lb/>
in Italien geschehen ist, oder wenn er mit der Zeit seinen<lb/>
Dialekt zu einer besondern Sprache ausbildet, wie die Hol-<lb/>
länder es gethan haben.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>Siebentes Capitel.<lb/><hi rendition="#b">V. Kasten. Stände. Classen.<lb/>
A. Die Kasten.</hi></head><lb/>
          <p>Innerhalb der Nationen, Völker und Stämme, welche<lb/>
alle räumlich gesondert erscheinen, zeigen sich weitere, aber<lb/><hi rendition="#g">räumlich verbundene</hi> Unterschiede, welche wieder eine<lb/>
statsrechtliche Bedeutung haben; verschiedene feste Schichten<lb/>
in dem Bau der Gesellschaft oder verschiedene Richtungen<lb/>
des Gesammtlebens oder verschiedene Stufen der politischen<lb/>
Bedeutung und Bildung, d. h. <hi rendition="#g">Kasten</hi> oder <hi rendition="#g">Stände</hi> oder<lb/><hi rendition="#g">Classen</hi>.</p><lb/>
          <p>Die <hi rendition="#g">Kastenordnung</hi> hat ihre wichtigste Anwendung<lb/>
in Indien gefunden, ist aber auch in Aegypten und Persien<lb/>
von Einflusz geworden. Sie gehört vorzugsweise dem alt-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[123/0141] Siebentes Capitel. V. Kasten. Stände. Classen. A. Die Kasten. heute noch an die Stammesvorurtheile an, um die nationale Entwicklung zu erschweren, wenn es auch nicht mehr angeht, sie zu verhindern. In dem Stamme ist, wie die Geschichte lehrt, auch ein Ansatz zu einer neuen Volksbildung zu erkennen. Indem sich der Stamm abschlieszt und trennt von der Nation, der er von Natur angehört, kann er mit der Zeit zu einem neuen Volke werden, leichter aber zu einem neuen — frei- lich meistens kleinen Statsvolke, seltener zu einer neuen Nation. Die letztere Bildung gelingt ihm nur, wenn er sich mischt und in Folge der Mischung auch die Sprache ver- ändert, wie es dem germanischen Stamme der Longobarden in Italien geschehen ist, oder wenn er mit der Zeit seinen Dialekt zu einer besondern Sprache ausbildet, wie die Hol- länder es gethan haben. Siebentes Capitel. V. Kasten. Stände. Classen. A. Die Kasten. Innerhalb der Nationen, Völker und Stämme, welche alle räumlich gesondert erscheinen, zeigen sich weitere, aber räumlich verbundene Unterschiede, welche wieder eine statsrechtliche Bedeutung haben; verschiedene feste Schichten in dem Bau der Gesellschaft oder verschiedene Richtungen des Gesammtlebens oder verschiedene Stufen der politischen Bedeutung und Bildung, d. h. Kasten oder Stände oder Classen. Die Kastenordnung hat ihre wichtigste Anwendung in Indien gefunden, ist aber auch in Aegypten und Persien von Einflusz geworden. Sie gehört vorzugsweise dem alt-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/141
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/141>, abgerufen am 30.12.2024.