schaftlich, obgleich in einer ungleich größern Voll- kommenheit; denn keine Gattung der Thiere hat ein so viel befassendes, dauerhaftes Gedächtniß, eine solche Lebhaftigkeit der Einbildungskraft, und so einherstürmende Leidenschaften.
§. 288.
Allein das größte und einzige Vorrecht der Menschenseele besteht in dem Gebrauche des Ver- standes, der nicht nur die Quelle unserer Beur- theilungskraft und unserer abgezogenen Begriffe ist, sondern auch über alle andere Geistesfähig- keiten seine Herrschaft verbreitet; da hingegen die Thiere, damit die Verrichtungen den Absich- ten der Natur entsprechen, in Ermanglung des Verstandes mit blinden und unwillkührlichen Trie- ben (instinctus) ausgerüstet sind, die dem Men- schen, den Geschlechtstrieb ausgenommen, ver- sagt sind.
§. 289.
Der Unterschied aber, welcher zwischen dem Instinkt der Thiere, und zwischen dem menschli- chen Verstande Statt findet, fällt deutlich in die Augen.
Der Instinkt ist eine angebohrne Fähigkeit, der Verstand hingegen ein Resultat der Kultur, und der Erziehung.
Die Instinkte bleiben immer dieselben, sind keiner Erweiterung fähig, u. s. w. Die Erwei- terung des Verstandes hat keine bestimmten Grenzen.
Der Instinkt entspricht genau der Lebenswei- se, dem Klima u. s. w. einer jeglichen Thiergat- tung, und paßt also schon aus diesem Grunde nicht auf dem Menschen, der an kein Klima, an
schaftlich, obgleich in einer ungleich größern Voll- kommenheit; denn keine Gattung der Thiere hat ein so viel befassendes, dauerhaftes Gedächtniß, eine solche Lebhaftigkeit der Einbildungskraft, und so einherstürmende Leidenschaften.
§. 288.
Allein das größte und einzige Vorrecht der Menschenseele besteht in dem Gebrauche des Ver- standes, der nicht nur die Quelle unserer Beur- theilungskraft und unserer abgezogenen Begriffe ist, sondern auch über alle andere Geistesfähig- keiten seine Herrschaft verbreitet; da hingegen die Thiere, damit die Verrichtungen den Absich- ten der Natur entsprechen, in Ermanglung des Verstandes mit blinden und unwillkührlichen Trie- ben (instinctus) ausgerüstet sind, die dem Men- schen, den Geschlechtstrieb ausgenommen, ver- sagt sind.
§. 289.
Der Unterschied aber, welcher zwischen dem Instinkt der Thiere, und zwischen dem menschli- chen Verstande Statt findet, fällt deutlich in die Augen.
Der Instinkt ist eine angebohrne Fähigkeit, der Verstand hingegen ein Resultat der Kultur, und der Erziehung.
Die Instinkte bleiben immer dieselben, sind keiner Erweiterung fähig, u. s. w. Die Erwei- terung des Verstandes hat keine bestimmten Grenzen.
Der Instinkt entspricht genau der Lebenswei- se, dem Klima u. s. w. einer jeglichen Thiergat- tung, und paßt also schon aus diesem Grunde nicht auf dem Menschen, der an kein Klima, an
<TEI><textxml:id="blume_hbnatur_000071"><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0200"xml:id="pb182_0001"n="182"/>
schaftlich, obgleich in einer ungleich größern Voll-<lb/>
kommenheit; denn keine Gattung der Thiere hat<lb/>
ein so viel befassendes, dauerhaftes Gedächtniß,<lb/>
eine solche Lebhaftigkeit der Einbildungskraft, und<lb/>
so einherstürmende Leidenschaften.</p></div><divn="2"><headrendition="#c">§. 288.</head><lb/><p>Allein das größte und einzige Vorrecht der<lb/>
Menschenseele besteht in dem Gebrauche des Ver-<lb/>
standes, der nicht nur die Quelle unserer Beur-<lb/>
theilungskraft und unserer abgezogenen Begriffe<lb/>
ist, sondern auch über alle andere Geistesfähig-<lb/>
keiten seine Herrschaft verbreitet; da hingegen<lb/>
die Thiere, damit die Verrichtungen den Absich-<lb/>
ten der Natur entsprechen, in Ermanglung des<lb/>
Verstandes mit blinden und unwillkührlichen Trie-<lb/>
ben (<hirendition="#aq">instinctus</hi>) ausgerüstet sind, die dem Men-<lb/>
schen, den Geschlechtstrieb ausgenommen, ver-<lb/>
sagt sind.</p></div><divn="2"><headrendition="#c">§. 289.</head><lb/><p>Der Unterschied aber, welcher zwischen dem<lb/>
Instinkt der Thiere, und zwischen dem menschli-<lb/>
chen Verstande Statt findet, fällt deutlich in die<lb/>
Augen.</p><p>Der Instinkt ist eine angebohrne Fähigkeit,<lb/>
der Verstand hingegen ein Resultat der Kultur,<lb/>
und der Erziehung.</p><p>Die Instinkte bleiben immer dieselben, sind<lb/>
keiner Erweiterung fähig, u. s. w. Die Erwei-<lb/>
terung des Verstandes hat keine bestimmten<lb/>
Grenzen.</p><p>Der Instinkt entspricht genau der Lebenswei-<lb/>
se, dem Klima u. s. w. einer jeglichen Thiergat-<lb/>
tung, und paßt also schon aus diesem Grunde<lb/>
nicht auf dem Menschen, der an kein Klima, an<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[182/0200]
schaftlich, obgleich in einer ungleich größern Voll-
kommenheit; denn keine Gattung der Thiere hat
ein so viel befassendes, dauerhaftes Gedächtniß,
eine solche Lebhaftigkeit der Einbildungskraft, und
so einherstürmende Leidenschaften.
§. 288.
Allein das größte und einzige Vorrecht der
Menschenseele besteht in dem Gebrauche des Ver-
standes, der nicht nur die Quelle unserer Beur-
theilungskraft und unserer abgezogenen Begriffe
ist, sondern auch über alle andere Geistesfähig-
keiten seine Herrschaft verbreitet; da hingegen
die Thiere, damit die Verrichtungen den Absich-
ten der Natur entsprechen, in Ermanglung des
Verstandes mit blinden und unwillkührlichen Trie-
ben (instinctus) ausgerüstet sind, die dem Men-
schen, den Geschlechtstrieb ausgenommen, ver-
sagt sind.
§. 289.
Der Unterschied aber, welcher zwischen dem
Instinkt der Thiere, und zwischen dem menschli-
chen Verstande Statt findet, fällt deutlich in die
Augen.
Der Instinkt ist eine angebohrne Fähigkeit,
der Verstand hingegen ein Resultat der Kultur,
und der Erziehung.
Die Instinkte bleiben immer dieselben, sind
keiner Erweiterung fähig, u. s. w. Die Erwei-
terung des Verstandes hat keine bestimmten
Grenzen.
Der Instinkt entspricht genau der Lebenswei-
se, dem Klima u. s. w. einer jeglichen Thiergat-
tung, und paßt also schon aus diesem Grunde
nicht auf dem Menschen, der an kein Klima, an
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Blumenbach, Johann Friedrich: Anfangsgründe der Physiologie. (Übers. Joseph Eyerel). Wien, 1789, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_physiologie_1789/200>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.